Die Hebelwirkung des
Arbeitsmarkts für das
Rentensystem nutzen

Das Schweizer 3-Säulen-Prinzip ist seit 50 Jahren ein Erfolgsmodell. Um die ­Herausforderungen der Zukunft zu meistern, sollte die Symbiose von Arbeitsmarkt und Altersvorsorge gestärkt werden.

Die Hebelwirkung des  Arbeitsmarkts für das  Rentensystem nutzen
Melanie Hähner (l.) und Tamara Erhardt, zvg.

 

Das Jahr 2022 war in zweierlei Hinsicht historisch für die Schweizer Altersvorsorge: Zum ­einen wurde mit der AHV-21-Vorlage die erste Reform der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) seit 27 Jahren vom Volk angenommen. Zum anderen feierte das 3-Säulen-Modell sein 50-Jahr-Jubiläum. Ein guter Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen und ­einen Blick in die Zukunft zu werfen. Dabei gehen wir besonders auf die Rolle des Arbeitsmarkts ein – denn er ist für die Altersvorsorge entscheidend, was aber viel zu wenig thematisiert wird.

Organisch gewachsen

Pioniere der Schweizer Altersvorsorge waren die Eisenbahn-, Metall- und Maschinenbauunternehmen. Bis zum Zweiten Weltkrieg bestand die Altersvorsorge hauptsächlich aus vom Arbeitgeber freiwillig betriebenen beruflichen Vorsorgeeinrichtungen. Für die Unternehmen war dies mitunter eine Möglichkeit, Arbeitskräfte an die eigene Firma zu binden.1 Erst 1947 wurde die staatliche Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) per Volksentscheid eingeführt. Parallel dazu etablierte sich mit den Lebensversicherungen die private Vorsorge. Das 3-Säulen-Modell in seiner heutigen Form entwickelte sich folglich organisch. 1972 wurde es mit einem deutlichen Volks-Ja verfassungsrechtlich verankert. Der oftmals als Vater der AHV bezeichnete Bundesrat Hans-Peter Tschudi hielt pragmatisch fest: «Zweifellos hätte niemand das 3-Säulen-System vorgeschlagen, wenn die Altersvorsorge in unserem Land zu diesem Zeitpunkt völlig neu hätte aufgebaut werden können. […] Es wäre falsch, aber auch politisch aussichtslos, das Rad rückwärts drehen und die zahlreichen Kassen auflösen zu wollen.»2

Eine Evaluation 50 Jahre nach der Etablierung zeigt jedoch: Das 3-Säulen-Modell hat sich bewährt. Die drei Säulen verfolgen drei verschiedene Ziele und werden unterschiedlich finanziert. Damit ermöglichen sie eine Risikodiversifikation.

Gute Noten im Ländervergleich

Im Vergleich mit Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Schweden erzielt das Schweizer Modell eine insgesamt positive Bilanz.3 Es besticht erstens dadurch, dass die erforderliche private Sparquote gering ist. Mit den Renten aus der obligatorischen ersten und zweiten Säule ist somit bereits ein Grossteil eines durchschnittlichen Lebensstandards finanzierbar. Zweitens zeichnet sich die Schweizer Altersvorsorge durch einkommensabhängige Lohnersatzraten aus. Lohnersatzraten geben Auskunft darüber, welcher Anteil des Lohnes im Alter als Rente zur Verfügung steht. Die vergleichsweise tiefen Lohnersatzraten für hohe Einkommen verhindern, dass das private Sparen von einkommensstarken Personen durch die staatliche Altersvorsorge verdrängt wird. Und drittens belegt die Schweiz einen Spitzenplatz punkto Höhe des Vorsorgekapitals im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Dies vermag – zumindest teilweise – die Folgen der alternden Bevölkerung auf die Altersvorsorge abzuschwächen, weil es grundsätzlich in der zweiten Säule keine Umverteilung von Jung zu Alt gibt beziehungsweise geben sollte. Zudem geht ein höherer Anteil an kapitalgedeckter Vorsorge auch mit einem erhöhten Wirtschaftswachstum einher.4

Die berufliche Vorsorge war nicht nur die Pionierin der Schweizer Altersvorsorge, vielmehr hat sie im Vergleich zu anderen Ländern auch heute noch eine gewichtige Stellung. Allerdings sind seit der Etablierung einige Jahrzehnte ins Land gezogen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich verändert, Optimierungspotenzial hat sich angestaut. Namentlich die Resilienz unseres Vorsorgesystems gegenüber dem demografischen Wandel muss erhöht werden.

«Die vergleichsweise tiefen Lohnersatzraten für hohe Einkommen verhindern, dass das private Sparen von einkommensstarken Personen durch die staatliche Altersvorsorge verdrängt wird.»

Drei Stellschrauben

Die Alterung der Gesellschaft ist eine Herausforderung, mit der die meisten westlichen Länder zu kämpfen haben. Insbesondere umlagefinanzierte Systeme wie etwa die AHV sind davon abhängig, dass die laufenden Renten durch die arbeitende Bevölkerung finanziert werden können. Das Schweizer Modell mit seiner starken zweiten Säule ist etwas weniger davon betroffen als Länder, die vor allem auf eine umlagefinanzierte Altersvorsorge bauen. Dennoch zeigt sich mit Blick auf das bald drohende negative Umlageergebnis der AHV auch bei uns, welch grosse Herausforderung der demografische Wandel darstellt.

Nicht nur die Herausforderungen sind altbekannt, sondern auch die potentiellen Lösungsansätze. Im Grundsatz gibt es nur drei Stellschrauben, an denen…