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Die grosse unbekannte Steuer

Sie ist teuer, ungerecht und aufwendig: die helvetische Mehrwertsteuer. Eine grundlegende Reform täte schon seit längerem Not. Nun bietet sich die Chance.

Die Mehrwertsteuer ist nicht nur die jüngste, sondern wohl auch die unbekannteste «grosse» Steuer der Schweiz. Das ist so paradox wie verständlich. Paradox, weil jeder die Steuer jeden Tag x-fach begleicht. Verständlich, weil der Konsument effektiv kaum je mit der Steuer in Kontakt kommt. Die Unternehmen veranlagen die Steuer und sind mit dem Inkasso betraut. Sie füllen die Steuererklärung aus und liefern, gleichsam als Vollzugsgehilfen des Bundes, die einkassierten Steuern an den Staat ab. Das tun sie gratis und franko – und vor allem: sie tun es gänzlich auf eigenes Risiko.

Die Mehrwertsteuer ist ein wichtiges Thema für die Wirtschaft. Spätestens seit der Zwischenbilanz 2005, zehn Jahre nach der Einführung, ist bekannt, dass die Mehrwertsteuer in ihrer heutigen Form nicht weitergeführt werden kann. Sie ist zu kompliziert, zu aufwendig und zu teuer. Jährliche Belastungen der Unternehmen in Milliardenhöhe sind für eine Konsumsteuer nicht akzeptabel. Weder ist die Mehrwertsteuer unter systematischen Gesichtspunkten überzeugend – zu viele Wettbewerbsverzerrungen, zu hohe Schattenbelastungen der Wirtschaft («taxe occulte») –, noch vermag sie technisch, also beim Verfahren, dem Formalismus etc., selbst bescheidenen Anforderungen zu genügen. Eine Totalrevision, wie sie seit längerem diskutiert wird, ist unumgänglich. Dass die Entlastung der Unternehmen dabei im Vordergrund stehen muss – Entlastung von einer Steuer, die keine Belastung darstellen sollte –, scheint in der Diskussion freilich oft vergessenzugehen.

Nach einer Vernehmlassung im letzten Jahr, hat der Bundesrat nun Eckwerte für eine geplante Totalreform beschlossen. Die Reform soll zweiteilig erfolgen. In einem ersten Teil geht es darum, das Mehrwertsteuergesetz vollständig zu überarbeiten. Ziele sind Einfachheit, Rechtssicherheit, Transparenz und Kundenfreundlichkeit. Der zweite Teil hat den Ersatz der heutigen drei Steuersätze von 7,6 Prozent (Normalsatz), 3,6 Prozent (Beherbergungssatz) und 2,4 Prozent (reduzierter Satz) durch einen Einheitssatz zum Ziel. Parallel dazu soll ein möglichst grosser Teil der heutigen Steuerausnahmen aufgehoben werden. Bei gleichbleibenden Steuererträgen würde der Einheitssatz 6,0 Prozent betragen. Eine entsprechende Botschaft will der Bundesrat noch vor den Sommerferien vorlegen.

Eine totalrevidierte Mehrwertsteuer mit Einheitssatz und deutlich reduziertem Ausnahmenkatalog vermag unter vielen Gesichtspunkten zu überzeugen. Sie würde nicht nur wesentliche Vereinfachungen und deutlich mehr Rechtssicherheit bringen, sondern auch messbare Wachstums- und Wohlstandsgewinne für die Volkswirtschaft und die privaten Haushalte. Der Konsum wäre unverzerrter und seine steuerliche Belastung transparenter.

Unter einer totalrevidierten Mehrwertsteuer mit Einheitssatz würde mit spitzfindigen Abgrenzungen, wie der Nichtbesteuerung interaktiver Fernkurse und der Steuerbelastung auf autodidaktischen Fernkursen, aufgeräumt; würde die Frage überflüssig, ob Kinderschokolade ein privilegiert besteuertes Nahrungsmittel oder ein normal besteuertes Spielzeug darstellt; würde nicht mehr jede zehnte Steuerkontrolle mit einer teuren Nachbelastung wegen falsch verwendeten Steuersatzes enden; könnte bis zu einem Viertel der amtlichen Publikationen ersatzlos gestrichen werden; würden Unternehmen von administrativem Ballast mit geschätzten Kosten von 400 Millionen Franken jährlich befreit; könnten alle erwerbstätigen Haushalte längerfristig mit steigenden Einkommen rechnen; würden verdeckte Steuerbelastungen offen ausgewiesen (Gesundheitswesen) und unverständliche Verzerrungen des Konsums beseitigt – Steuer auf dem Hallenbadeintritt, nicht aber auf dem Startgeld zum Iron-Man-Triathlon –; würden nicht Windeln und Trambillete hoch besteuert, Popcorn und Kaviar tief.

Dass der Einheitssatz und die Beseitigung eines grossen Teils der Steuerausnahmen die richtige Lösung darstellen, ist in der Fachwelt weitgehend unbestritten. Selbst die EU-Kommission, die bekanntlich für Staaten arbeitet, die auf dem Feld der steuerlichen Privilegierung der Mehrwertsteuer wenig zurückhaltend sind, stellte jüngst klipp und klar fest: «Von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, wäre ein einheitlicher Steuersatz (pro Mitgliedstaat) die beste Handlungsalternative.» Anders als in ihren Bemühungen um die Einschränkung des internationalen Steuerwettbewerbs, ist der EU-Kommission hier mit Blick auf die Mehrwertsteuer zuzustimmen. Die Schweiz hat es in der Hand, sie mit einer konsequenten Reform zu revitalisieren. Sie sollte die Chance nutzen.

CHRISTOPH A. SCHALTEGGER, geboren 1972, ist promovierter Volkswirt und stellvertretender Bereichsleiter Finanz-, Steuer- und Infrastrukturpolitik bei economiesuisse.

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