Die goldene Steuerkarte
Steuerzahler sind eigentlich weder Schuldner noch Deppen, sondern Gönner und Träger des Gemeinwesens. Wie müsste ein Steuersystem aussehen, das dies verdeutlicht? Konkreter Vorschlag für eine Reform, die aus Untertanen freie Bürger macht.
Der Staat kommt mit seinem Geld nicht aus, auch wenn die Steuereinnahmen weiter steigen. Anderseits braucht er finanzielle Hilfe seitens der Bürger, weil er sonst keine öffentlichen Güter herzustellen vermag. Die Meinung darüber, was er mit wie vielen Mitteln leisten soll (und kann), gehen deshalb naturgemäss auseinander. Weitgehende Einigkeit besteht indes darüber, dass innere und äussere Sicherheit, Schutz der Bürgerrechte, des Eigentums und eine elementare soziale Sicherung zum staatlichen Leistungskatalog gehören. Doch muss der Staat wirklich für Theater und Museen, Schwimmbäder und Sportplätze, Kindertagesstätten und Universitäten, Autobahnen und Eisenbahnverkehr, Rettungspakete für Krisenländer und Krisenbanken, sozialen Wohnungsbau und Quartiersmanagement sorgen? Und müssen wir wirklich alle dafür zahlen, auch wenn wir nicht alle davon profitieren und nicht mal profitieren wollen?
Den Absolutismus überwinden
Neben der Frage der Höhe der Steuerabgabe ist vor allem das Prozedere des Steuereinzugs überdenkenswert. Der Philosoph Peter Sloterdijk bemerkte in diesem Magazin zu Recht, dass unser Steuersystem den Gaben- oder Spendencharakter der zivilen Steuer absichtlich ausblende und stattdessen nur ihren Zwangs-, Pflicht- und Schuldcharakter hervorhebe.
Er spricht vom «herrschenden Missverständnis der Steuern als Schulden der Bürger beim Fiskus» und zeigt, dass solche Haltungen vormodernen, d.h. vordemokratischen Charakter haben: «Hierin ist nichts anderes zu sehen als ein verfestigtes Relikt des Absolutismus, in dem man den Staat als Allgeber verklärte.»1 Daher schlägt Sloterdijk vor, dass jeder Bürger einen Teil der Steuer einem bestimmten Zweck zuführen können soll. Nur so werden aus Schuldnern wieder jene Geber, die sie de facto sind.
Sloterdijks Vorschlag geht zweifellos in die richtige Richtung. Dennoch greift er zu kurz, und zwar aus zwei Gründen:
1. Die Geber sollen nur mehr Mitsprache über die Verwendung ihrer Steuer bekommen, nicht aber über ihre Höhe. Am vormodernen Zwang zur Grosszügigkeit ändert sich insofern nichts.
2. Die Steuerzahler sollen durch ihre Zuwendung keinen konkreten Gegenwert bekommen. Sie profitieren alleine vom wiedergewonnenen Gefühl, etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun. Nicht allen wird dies reichen, am wenigsten jenen, die sich wirklich als souveräne Bürger verstehen.
Das Konzept der «goldenen Steuerkarte» setzt genau hier an. Zu zahlen wäre danach zunächst eine Grundsteuer für die oben erwähnten, grundlegenden Staatsleistungen. Es ist davon auszugehen, dass für diese Leistungen bereits die Einnahmen aus den indirekten Steuern reichen. Weitergehende Leistungen, die nicht notwendigerweise vom Staat bereitgestellt werden müssen, von denen aber niemand ausgeschlossen werden kann (zusätzliche Ausgaben etwa für die Landesverteidigung, den Umweltschutz oder die Finanzmarktstabilität), werden durch einen fixen Einkommenssteuersatz finanziert (sagen wir: maximal 15 Prozent). Das wäre die Sloterdijk-Steuer. Die Steuerzahler können hierbei im Gegensatz zu den indirekten Steuern beim Ausfüllen der Steuererklärung auswählen, ob mit ihrem Geld die Eurozone stabilisiert, die Bundeswehr über die Grundausstattung hinaus ausgebaut oder die Energieversorgung umgebaut werden soll. Da sie die Steuer in jedem Fall entrichten und nur sogenannte Allmendegüter (Güter ohne Ausschlussmöglichkeit) zur Auswahl stehen, kommt es zu keinem Trittbrettfahrerproblem.
Neben die indirekten Steuern und die Sloterdijk-Steuer tritt nun eine optionale Zusatzsteuer. Bei ihr können die Steuerzahler nicht nur entscheiden, wofür die Steuer verwendet wird, sondern auch, ob sie sie überhaupt entrichten wollen. Zudem gibt es für diese Steuer im Gegenzug konkrete Privilegien. Wer freiwillig einen gewissen Prozentsatz seines Einkommens in Form der Zusatzsteuer bezahlt, erhält eine oder mehrere Steuerkarten. Ähnlich wie bei Abonnenten von Pay-TV-Sendern können sich die Bürger ihren Vorstellungen und Wünschen entsprechend individuelle «Pakete» sichern, also Steuerkarten für die Bereiche, in denen sie sich mehr staatliches Engagement bzw. Angebot wünschen: die Kultur-Steuerkarte, die Verkehrs-Steuerkarte, die Bildungs- und Wissenschafts-Steuerkarte, die Sport- und Freizeit-Steuerkarte oder die Steuerkarte «Zusätzliche europäische Solidarität». Und als Krönung für die Mitbürger mit hohem Staatsvertrauen, ausgeprägter Grosszügigkeit und regem Interesse am öffentlich-rechtlichen Angebot: Für das Kombi-All-Inclusive-Paket und einen hohen Steuersatz gibt es die goldene Steuerkarte.
Prestigegewinn
Die Steuerkarten sind zunächst als Ausdruck von Grosszügigkeit mit der Aussicht auf Prestigegewinn verbunden. Zudem sind mit den Steuerkarten besondere Nutzungsrechte verbunden: mit der Kulturkarte zum Beispiel freier Eintritt ins Theater. Und mit der goldenen Steuerkarte sogar in die eigens eingerichteten Logen. Kinder können über die Bildungskarte gebührenfrei in öffentlichen Kitas betreut und in Schulen und Universitäten ausgebildet werden. Die Autobahnen bleiben mit der Verkehrs-Steuerkarte kostenfrei zugänglich, im Bahnfernverkehr gilt die Steuerkarte wie die deutsche BahnCard100. Für einen geringeren Abgabesatz ist, dem BahnCard-System entsprechend, auch nur eine Verkehrs-Steuerkarte50 vorstellbar, die eine Nutzung zum halben Preis ermöglicht. Wer keine Steuerkarte hat, muss eben den vollen, zunächst sicherlich deutlich höheren, kostendeckenden Preis zahlen: für die BahnCard, für die Theaterkarte, fürs Freibad. Dies hat zur Folge, dass die Transparenz und der Anreiz öffentlicher Institutionen zum effizienten Haushalten steigen. Wer weiss schon, dass in Deutschland (oder in der Schweiz) für jede Theaterkarte bislang bis zu 300 Euro (oder mehrere hundert Franken) Zuschüsse fliessen. Oder dass die Deutsche Bahn direkt und indirekt mehr als zehn Milliarden staatliche Subventionen erhält – in der Schweiz bezahlt der Zugfahrer bekanntlich bloss 40 Prozent der Kosten.2
Auch Freunde der Euro- oder Klimarettung können sich – über die entsprechende Wahl bei der Sloterdijk-Steuer hinaus – über eine Zusatzsteuer für ihre persönliche Herzensangelegenheit stark machen. Inhaber der Euro-Solidaritäts-Karte würden dann – aus ihrer Sicht – Gutes tun und im Gegenzug griechische Staatsanleihen oder Sicherheiten einer spanischen Pleitebank bekommen. Für die Klima-Rettungs-Karte erhält man wahlweise Anteile an Offshore-Windparks, am kommunalen Stadtwerk oder erwirbt ein Stück Regenwald im Amazonasgebiet.
Das auf Seite 25 abgebildete Konzept ist nicht nur mit dem Äquivalenzprinzip, sondern auch mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip unseres Steuersystems vereinbar. Durch die Koppelung ans Einkommen steigen sowohl die Sloterdijk-Steuer als auch der Preis für die Steuerkarten mit steigendem Einkommen. Selbst für Transferempfänger lässt sich dieses System öffnen. Hartz-IV-Empfänger können auf einen Teil ihrer Transfers verzichten, um sich eine Steuerkarte ihrer Wahl zu sichern. Mit der goldenen Steuerkarte steigt nicht die soziale Ungerechtigkeit, sondern die Wahlmöglichkeiten der Bürger und die Zielgenauigkeit der staatlichen Leistungen. Aus Schuldnern werden Gönner. Aus den Deppen der Nation werden die Mäzene der Nation. Aus Zwangsbeglückung wird Wahlfreiheit. Und vor allem: aus Untertanen werden freie Bürger.
1 Die verborgene Grosszügigkeit. Peter Sloterdijk im Gespräch mit René Scheu. In: Schweizer Monat, Dezember 2012 (Sonderthema 7).
2 Vgl. Der Preis ist der Weg. Mobility Pricing: Unterwegs zur Kostenwahrheit im Verkehr. Schweizer Monat, Oktober 2013 (Sonderthema 12).