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Die Gefahr des totalitären und des autoritären Staates
Max Imboden, Basler Stadtbuch 1970.

Die Gefahr des totalitären und des autoritären Staates

Vereinfachendes Zeitbewusstsein

Jeder Epoche ist ein formelhaft verkürztes politisches Zeitbewusstsein eigen. Zu jeder Zeit war der Mensch bestrebt, seinen Standort im äusseren Geschehen möglichst einfach und für jedermann fassbar zu umschreiben. Versucht man, dem schweizerischen Menschen der Gegenwart den Platz in den grossen politischen Auseinandersetzungen zu geben, dann stösst man unweigerlich auf das, was man den West-Ost-Konflikt zu nennen pflegt.

Die Gespaltenheit der Welt bildet das Grundbewusstsein der Zeit. Zwischen dem Westen und dem Osten wird ein Abgrund gesehen, über den keine Brücke führt. Licht und Schatten erscheinen eindeutiger verteilt denn je. Die Bilder des westlichen und des östlichen Staates bezeichnen unversöhnliche Extreme:

Der Westen ist auf das Idealbild der freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie ausgerichtet. Die Menschenrechte zu wahren und zu sichern, ist das hohe Ziel. Der Eigenwert der menschlichen Person wird anerkannt. In der Verfassung werden die Rechte aller, des einzelnen, der menschlichen Gruppen und der innerstaatlichen Körperschaften, geschützt. Der Rechtsstaat ist das Leitbild im äusseren Aufriss der Gemeinschaft. Durch eine die Gewalten trennende Verfassung soll die staatliche Macht gebannt und gebunden werden. Das Volk ist die bestimmende politische Grösse. Dem Bürger wird die demokratische Mitwirkung bei der Bildung des Staatswillens zugestanden. «Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus» – dieser Satz kehrt in fast allen westlichen Verfassungen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wieder.

Demgegenüber steht der Angsttraum des östlichen Zwangsstaates. Verfassungsmässig gesicherte Grundrechte bestehen nicht, oder sie sind nur Vorwand, nur Fassade. Der Mensch steht in dauernder Unsicherheit. Nicht die Person zählt, sondern allein das Kollektiv. Das Recht wird mit Füssen getreten. Die Verfassung, die Grundgegebenheit des Rechtsstaates, ist nur Schein. Sie hat höchstens eine propagandistische Funktion. Die Machthaber können sich über alles Geschriebene, über alles Verurkundete hinwegsetzen. Und auch das Volk bleibt letztlich rechtlos. Es kann nur dem Führer akklamieren. Es kann nur zustimmen, aber es kann nicht nein sagen; es kann nicht konstruktiv an der Gestaltung des Staates mitwirken. Das Volk ist gewissermassen nur Staffage in einer dauernden Propagandaveranstaltung. Wahre demokratische Befugnisse hat es nicht.

In dieser Weise presst das herrschende Zeitbewusstsein unsere Welt in eine einfache Formel: Hier ist Freiheit, dort ist Zwang; hier gilt die Person, dort gilt nur das Kollektiv; hier kann sich der Bürger selbst regieren, dort bleibt ihm nur die Wahl bedingungsloser Unterordnung.

Entspricht aber dieses Bild der Wahrheit? Ist es zutreffend, dass in der gespaltenen Welt der Gegenwart Licht und Schatten in dieser Weise verteilt sind?

Diese Frage lässt sich nicht mit einem blossen Ja oder Nein beantworten. Das eben gezeichnete Bild, das sich der Bürger von seiner eigenen und von der fernab liegenden östlichen Welt macht, ist nicht einfach richtig oder unrichtig. Es ist beides zugleich. Man möchte sagen: Dieses übliche und verbreitete Bild sei ein freundliches Trugbild. Wie alle Trugbilder birgt es einen richtigen Kern. Ja man wird sich noch entschiedener ausdrücken können: Dieses Bild enthält sehr viel Wahres. Und doch gibt es nicht die volle Wahrheit wieder. Das Trugbild ist freundlich gestimmt, weil es uns das vorenthält, weil es uns das in zuvorkommender Weise verhüllt, was unangenehm ist. Es ist die Eigenheit aller geläufigen, aller eingängigen politischen Formeln und Vorstellungen, dass sie uns schonen wollen, dass sie es vermeiden, uns zu brüskieren.

Die Wirklichkeit ist immer um einiges härter und schonungsloser. In doppelter Richtung ist auch die heutige Wirklichkeit im eben gezeichneten Bilde verzerrt.

Einmal bedarf unsere Vorstellung des Ostens, unser Bild des kommunistischen Staates und der kommunistischen Lehre einer Korrektur. Wenn wir sagen, im Osten herrsche Unmenschlichkeit, Unrecht und Scheindemokratie, dann ist dies zwar nicht unwahr, aber es ist nur eine Teilwahrheit. Diese Aussage ist zwar in keiner Weise böswillig erfunden, aber sie ist gutgläubig vereinfacht. Wir müssen also versuchen, die volle Wahrheit über den Osten zu erkennen.

Dann bedarf aber auch das Bild, das wir uns vom westlichen Staat, von unserer eigenen Ordnung machen, der Korrektur. Wenn wir sagen, im Westen – ich spreche für einmal vom Westen und nicht von der Schweiz – herrsche Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, so möchte ich diese Aussage ebenfalls nicht als unwahr bezeichnen; aber es drückt sich in ihr doch eine leichte Farbenblindheit aus. Auch diese Aussage über die westliche Wirklichkeit ist weit davon entfernt, eine bewusste Entstellung zu sein. Aber sie bringt eine gutgläubige Verharmlosung.

Der Zwiespalt des Kommunismus

Was also ist die Wirklichkeit jenseits der grossen Mauer? Wie haben wir das Bild des östlichen Staates zu sehen? – Ich möchte die Antwort nicht in einem Tatsachenbericht geben; ich möchte vielmehr versuchen, den östlichen Staat in seiner tragenden Idee darzustellen. Noch immer gibt es kaum einen besseren Zugang zu dieser Idee als das Kommunistische Manifest – jenes in so einprägsame Worte gefasste Werk, auf das sich alle immer wieder beziehen und das doch die allerwenigsten je gelesen haben.

Der Schlüssel zum Verständnis der kommunistischen Lehre liegt in ihrer Gespaltenheit, in ihrer Zweigesichtigkeit. Die Vorgänge und Erscheinungen, die diese Gespaltenheit dokumentieren, sind uns allen vertraut. Halten wir uns an das, was wir immer wieder erlebt haben: n irgendeinem Staat gelangen die Kommunisten an die Macht, ob legal oder illegal, tut nichts zur Sache. Sie haben nicht die Mehrheit des Volkes hinter sich, aber sie halten doch den Machtapparat fest in ihren Händen. Dieser Vorgang wird in der üblichen Sprache des Kommunisten als «Befreiung» ausgegeben. Das Volk wird «befreit», indem es kommunistisch beherrscht, indem es – aus unserer Sicht – unterdrückt wird. Wir pflegen in dieser Darstellung nichts weiter als beschönigende Propagandaworte zu sehen. Gewiss: Die handfesten propagandistischen Absichten einer derartigen mehr als beschönigenden, sondern grob verfälschenden Sprache sind offensichtlich. Und doch geht es nicht nur um Propaganda. Es ist etwas anderes mit dabei, etwas sehr viel Tieferliegendes, etwas Abgründigeres, etwas auch, das für jeden, der nicht darum weiss, sehr viel gefährlicher erscheint. Vielleicht vermag ich dieses «andere» am besten durch eine mir verbürgte Begebenheit darzustellen. Sie wurde mir berichtet von einem Offizier, der ein Jahrzehnt in russischer Gefangenschaft gestanden hatte. Er hat diese Gefangenschaft nur überstanden, weil er ein von Grund auf gläubiger Mensch ist.

Kurz vor seiner Heimkehr, als seine Entlassung schon feststand, traf der Gefangene wiederum mit jenem politischen Kommissar zusammen, der ihn zu Beginn verhört hatte. Wir kennen den Charakter dieser Verhöre, und so würden wir denn auch sagen, der Gefangene sei wiederum mit seinem früheren Peiniger zusammengetroffen. Aber der Kommissar sah sich in keiner Weise in dieser Rolle. Er ging auf den Offizier zu, bekundete ihm in östlichen Formen seine Herzlichkeit und erklärte, als er die erstaunlich gute Verfassung des Gefangenen feststellte: «Ich bin glücklich, dass es mir gelungen ist, aus Ihnen einen Menschen zu machen.»

«Einen Menschen zu machen!» Dieses Wort, in dieser Situation gesprochen, ist nun doch wohl mehr als Propaganda. Es ist der Ausdruck eines tiefen, eines geradezu messianischen Glaubens, der in der kommunistischen Lehre wirkt. Der Kommunist glaubt, dass er die Kraft habe, die Welt und die Menschen von Grund auf zu verändern. Von dieser Erwartung ist das kommunistische Gesellschaftsbild zutiefst gezeichnet.

Der Kommunismus ist mehr als das, was wir unter einer «politischen Lehre» verstehen. Er ist ein Gebäude des Glaubens; er ist in seiner Weise Religion. Diese Eigenschaft teilt er mit allen anderen Ideologien, mit allen anderen staatlichen Heilslehren, die wir als «totalitär» kennzeichnen. Im Nationalsozialismus waren die nämlichen Züge erkennbar. Aber im Kommunismus sind diese Glaubenselemente in besonderem Masse durchgeformt und fassbar gemacht. Der Kommunist wendet sich gegen das Christentum, obwohl, ja gerade weil er ganz entscheidende Vorstellungen und gedankliche Kategorien dem Christentum entlehnt hat. Er hat freilich überall Schwarz zu Weiss und Weiss zu Schwarz gemacht. Es ist, wenn man so will, eine völlig auf den Kopf gestellte, eine von Grund auf umgestülpte christliche Lehre, die uns der Kommunist präsentiert. Aber auch in dieser gänzlichen Verkehrung bleibt das als Ausgangspunkt genommene Bild noch erkennbar.

Wie das Christentum kennt auch die kommunistische Doktrin ein Diesseits und ein Jenseits. Nur ist die Beziehung des Menschen zum Jenseits eine völlig andere geworden. Nach christlicher Lehre kommt der Mensch von Gott und kehrt der Mensch zu Gott zurück. Die Welt ist einerseits die Schöpfung Gottes. Durch die Sünde freilich hat sie sich von ihrem Schöpfer entfernt. Anderseits findet die Welt ihre Erfüllung darin, dass dereinst wieder das Reich Gottes anheben wird. Der Mensch hat seinen Anfang in Gott, und er hat in Gott sein Ziel, seine Bestimmung. Nach kommunistischer Doktrin baut der Mensch aus eigener Kraft das Jenseits. Er, er allein, ist der Schöpfer der besseren Welt. Durch bewusste Gestaltung will der Kommunist die Welt in ihr Gegenteil wenden. Der Mensch hat keinen Ursprung, aber er hat doch ein Ziel – ein Ziel, das er durch eigenes Wirken zu erreichen vorgibt. In keiner anderen Heilslehre hat sich der Mensch so ungeheure Kräfte und Möglichkeiten zugesprochen wie im Kommunismus.

«Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt darauf an, sie zu verändern.» In diesem berühmten Wort von Karl Marx, das mit goldenen Lettern in der Eingangshalle der Ostberliner Humboldt-Universität angeschlagen ist, kann man das tragende und so viele Menschen faszinierende Motiv des kommunistischen Glaubens erkennen. Die Macht haben, die Welt zu verändern – ja wer steht da nicht in Versuchung, gebannt aufzuhorchen.

Der Kommunist ist nicht zurückhaltend in seinem Veränderungsprogramm. Er will aus dem Menschen und aus der menschlichen Gesellschaft das Gegenteil dessen machen, was sie heute sind. Der Staat soll überwunden werden; er soll zum «Absterben» gebracht werden. In kommunistischer Sicht ist der Staat nur ein Provisorium; er ist eine Erscheinung auf Zeit. Sobald als möglich soll er überwunden werden – und zwar nicht durch Revolution, nicht durch gewaltsamen Umsturz, sondern durch eine allmähliche Entwicklung. Der Staat soll von innen her zerfallen; er soll sich selbst überflüssig werden. An die Stelle der vom Staate bestimmten Zwangsordnung tritt das völlig freie Nebeneinander freier Menschen. Man kann sich dieses Zukunftsbild, wie es uns der Kommunismus nach dem Absterben des Staates als Wirklichkeit verheisst, kaum paradiesisch genug vorstellen: Jedermann tut aus freier Einsicht das Richtige. Zwangsweise durchzusetzende staatliche Gesetze sind überflüssig. Der Mensch weiss, welche Rücksicht er dem Nächsten schuldet und was er im Interesse aller zu tun hat. Es sind Güter da im Überfluss. Man muss sich ihrer nur bedienen. Weil jeder hat, was er zum Leben braucht, kann es überhaupt nicht mehr zu sozialen Konflikten kommen. Das Übel des Eigennutzes und der Habgier ist an seiner Wurzel ausgetilgt.

Der Staat als Ordner, als Verteiler und als Wächter wird entbehrlich. Der Mensch trägt das soziale Gesetz als Selbstverständlichkeit in sich. Er lebt in vollendeter Freiheit. Dieser Vision des kommenden Paradieses, des anbrechenden goldenen Zeitalters müssen wir die Wirklichkeit der heutigen kommunistischen Staaten entgegensetzen. Zwischen dem lichten Morgen und dem grauen und oft auch grauenhaften Heute klafft ein Gegensatz, wie er grösser kaum sein könnte. Es ist der Blick in eine andere Welt; es ist die Kluft vom Diesseits ins Jenseits.

Das Gegenteil der verheissenen staatenlosen Gesellschaft herrscht im heutigen kommunistischen Alltag. Der Staat ist stärker denn je. Er verkörpert eine übergrosse Macht nach aussen. Seine Politik ist imperialistisch, immer nur darauf bedacht, die eigene Stellung auf Kosten der andern zu stärken. Und auch nach innen verkörpert der Staat eine nicht minder grosse Machtfülle. Alle Lebensbereiche werden vom Staate kontrolliert. In nichts ist der verheissene Überfluss zu erkennen. Es herrscht vielfach bitterer Mangel. Die Wirtschaft ist daher ganz in die Hände des Staates übergeführt. In keiner anderen Ordnung ist der Staat in diesem Mass Güterverteiler. Die Bedürfnisse der Menschen regeln sich bei weitem nicht selbst – so wie es in der künftigen kommunistischen Gesellschaft der Fall sein soll; der Staat muss diese Bedürfnisse bestimmen und befriedigen. So bleibt von der vollendeten Freiheit, die dem Menschen versprochen ist, nichts, aber auch wirklich nichts erkennbar.

Wer einen Kommunisten auf diesen Widerspruch zwischen dem verheissenen Paradies und der greifbaren Wirklichkeit hinweist, dem wird kaum widersprochen. Man rennt mit diesem Einwand offene Türen ein. Der Kommunist weiss um diesen Widerspruch, ja er bejaht diesen Widerspruch. Die Zukunft muss für den Kommunisten in einer Spannung zur Gegenwart stehen.

Heute noch muss der Staat stark, ja sogar sehr stark sein – so verkündet es die kommunistische Lehre. Sein «Absterben» kann sich erst vollziehen, wenn die inneren und die äusseren Feinde des Kommunismus niedergeworfen sind. Auch die Befreiung des einzelnen kann sich erst vollziehen, wenn die Welt nach innen und nach aussen befriedet ist. Solange die Herrschaft der roten Fahne noch bestritten wird, kann der übermächtige Zwangsapparat nicht entbehrt werden.

Damit mag es erkennbar werden, was es bedeutet, wenn man die kommunistische Lehre als von Grund auf zweigesichtig kennzeichnet. Der Kommunist lebt zugleich in zwei Welten. Er lebt einmal in der harten Welt der Gegenwart. Hier herrscht Kampf und Unterdrückung. Der Staat ist übermächtig. Der einzelne muss sich mit dem auf ihm lastenden Zwang abfinden, weil er – so wird ihm gesagt – nur so Aussicht hat, dereinst in den glücklichen Zustand vollendeter Freiheit zu gelangen. Dann aber hat der Kommunist zugleich Anteil an einer lichten Zukunftswelt. Dieser Anteil bleibt freilich ein rein gedanklicher; er ist ihm nur versprochen – versprochen für den Fall, dass der kommunistische Staat alle ihm aufgezwungenen Kämpfe erfolgreich bestehe. In dieser verheissenen lichten Zukunft wendet sich alles ins Gegenteil: Aus vollendetem Zwang wird vollendete Freiheit; aus vollendetem Mangel wird Überfluss; aus einem grauen Alltag wird vollendetes Glück. Diese Teilhabe an zwei Welten erlaubt es dem Kommunisten, das Unmögliche möglich zu machen; er kann Unterdrückung als Befreiung ausgeben.

Was nämlich heute Zwang ist oder besser was heute noch als Zwang erscheint, das wird als Schritt zum verheissenen Jenseits, zum versprochenen goldenen Zeitalter des Überflusses und der Freiheit ausgegeben. Unwillkürlich also wird die Zukunftswelt aus der Gegenwartswelt hervorgezaubert. Wie im Theater wird die Szene gewissermassen durchsichtig gemacht. Hinter den grauen Kulissen des gegenwärtigen Schauspiels öffnet sich der Blick in den Zaubergarten des Morgens. Damit wird der Mensch dem Heute entrückt. Er wird auf die Zukunft vertröstet, wo er die Gegenwart nicht mehr zu ertragen vermag.

Mit diesem Spiel auf zwei Bühnen können die überkommenen Begriffe überspielt und ins Gegenteil gewendet werden. Es lässt sich Zwang üben im Namen der Freiheit. Es lässt sich von «Volksherrschaft» sprechen, während man dem wirklichen Volk die Rechte vorenthält. Aber noch ein zweites lässt sich mit diesem doppelten Spiel erreichen. Im Menschen lassen sich ungeheure Energien wecken. Dem einzelnen ist ein tragender Glaube gegeben. Nicht nur konkrete Verbesserungen sind ihm versprochen. Es ist ihm in Aussicht gestellt, dass die Welt von Grund auf anders werde. Der Kommunismus macht es möglich, seine Anhänger aus einem fanatischen Glauben handeln zu lassen. Und eben hierin liegt der Schlüssel zum Verständnis jener Erscheinung, die wir als totalen Staat kennzeichnen. Der Staat wird Träger einer Glaubenslehre, er wird Verwalter einer besseren Zukunft. Er nimmt es für sich in Anspruch, den Menschen nicht nur Friede und Ordnung, nicht nur ein erträgliches äusseres Auskommen, sondern letztes Glück und letzte Erfüllung zu bringen. Der Politiker masst sich an, über die letzte Bestimmung des Menschen Bescheid zu wissen.

Unsere Absage an den totalen Staat muss erfolgen aus dem Wissen um die Grenzen menschlichen Wirkens. Es ist uns Menschen nicht gegeben, hier auf Erden das Paradies zu schaffen. Unsere Welt wird immer eine Welt des Versuchens und Irrens sein. Nur darum kann es gehen, in dieser Welt des Versuchens und Irrens eine bestmögliche Ordnung zu schaffen. Dem Menschen ist so viel Freiheit als möglich zu sichern; sein äusseres Dasein ist so erträglich als möglich zu gestalten.

Wer als Vertreter einer politischen Ordnung dem Menschen das Heil verspricht, wer verheisst, das Paradies auf Erden zu schaffen, gibt ein Versprechen, das er nie zu erfüllen vermag. Er überspringt die dem Menschen gesetzten Grenzen. Was der Kommunismus dem Menschen in Aussicht stellt, wird er nie verwirklichen können. Es wird bei der trüben Gegenwart bleiben. Die Leiden und Lasten, die dem Menschen gewissermassen als Abschlagszahlung für eine bessere Zukunft auferlegt sind, werden umsonst sein. Der kommunistische Zwangsstaat wird sich niemals selbst aufheben.

Nichts macht denn auch dem kommunistischen Theoretiker von heute so viel Mühe wie die These, der Staat werde «absterben». In der Wirklichkeit aller kommunistischen Staaten sieht es nicht danach aus, dass der geschaffene Zwangsapparat demnächst seine Selbstauflösung vorbereite. So musste immer wieder eine Begründung dafür gefunden werden, dass sich das «Absterben» des Staates jetzt noch nicht vollziehen könne, dass eine Fristerstreckung unerlässlich erscheine. Es seien noch Gegner da, die die kommunistische Ordnung gefährden, heisst es da vornehmlich; erst müssten diese Gegner auch noch beseitigt sein. Das erklärt, warum jedes totalitäre Regime sich fiktive Gegner schafft. Sind keine wirklichen Gegner mehr vorhanden, so werden die Gegner erdacht. Damit lässt sich begründen, dass der Staat noch stark bleiben müsse, dass nicht daran gedacht werden könne, die Zügel zu lockern.

Ein hochgestellter Ausländer, der kürzlich die Sowjetunion besucht hat, berichtet darüber, dass er immer wieder danach gefragt habe, worin sich denn das verheissene Absterben des Staates ankündige. Man habe ihn auf zwei konkrete Beispiele verwiesen. Einmal habe man ihm Autobusse vorgeführt, in denen keine Billeteure mehr zu finden sind. Der Fahrgast löst sich das Billett an einem Apparat und absolviert dann seine Fahrt ohne Kontrolle. Weiter habe man ihm dargelegt, dass man vielfach dazu übergegangen sei, für kleinere Vergehen die staatlichen Gerichte auszuschalten. Die Arbeitsgenossen oder die häuslichen Nachbarn eines Übeltäters hätten die Befugnis erhalten, geringfügige Verstösse durch Auferlegung zweckentsprechender sozialer Massnahmen selbst zu ahnden. Beides mögen gute Reformen sein. Dass sich aber darin das verheissene Absterben des Staates verkündige, ist doch wohl eine reichlich kühne Deutung. Die Verlegenheit, die das Dogma vom Absterben des Staates schafft, wird offen erkennbar.

Wenden wir vom totalitären Staat den Blick auf uns selbst. Unser Staat will hier und jetzt eine bestmögliche Ordnung schaffen. Er vertröstet den Menschen nicht auf eine ungewisse und sich nie erfüllende Zukunft. Hier und jetzt, und nicht erst nach einer vollständigen Veränderung der Welt und der Menschen, soll ein Maximum an Freiheit Wirklichkeit werden. Der Staat hat menschliches Mass.

Gefahren der freien Welt

Kann aber der Westen den Anspruch erheben, gegenüber dem Kommunismus wirklich das überzeugende staatliche Gegenbild geschaffen zu haben? Hat der Westen die ihm gegebene Chance – die Chance der Freiheit – wirklich voll genutzt? – Ich glaube nicht, dass wir mit gutem Gewissen ein vorbehaltloses Ja als Antwort geben können. In einem vorbehaltlosen Ja läge eine Selbsttäuschung.

Ernst Jünger hat das Wort geprägt, der Westen kämpfe gegen den Osten und doch bringe der Westen Formen und Gebilde hervor, die denen des Ostens je länger, je ähnlicher seien. Das mag eine überspitzte, eine bewusst brüskierende Aussage sein. Und doch haben wir allen Grund, nach dem Wahrheitsgehalt dieses Wortes zu suchen. An drei Erscheinungen wird man dann schwerlich vorbeisehen dürfen:

  1. Mehr und mehr gewöhnen wir uns im Westen daran, den Staat als blosses Werkzeug, als Instrument zu verstehen. Die Deutung des Staates als Werkzeug ist eine Eigenheit der kommunistischen Lehre. Der Staat ist zunächst das Instrument, um die Diktatur des Proletariates zu errichten. Dann dient er weiter dazu, die Gegner der marxistischen Herrschaft zu zerschlagen. Und in letzter Linie erfüllt er die Funktion, die verheissene kommunistische Gesellschaft des Überflusses und der Freiheit vorzubereiten.

Mit der Deutung des Staates als Werkzeug hatte sich der Kommunismus in schroffen Gegensatz zur politischen Lehre des Abendlandes gestellt. Im überlieferten, entscheidend von der Antike und vom Christentum geprägten Staatsdenken ist die staatliche Gemeinschaft nicht nur ein Instrument. Sie ist Friedensgarant auf dieser Welt. Sie ist eine notwendige Bedingung des Menschseins. Nur im Staat, nur in einer festgefügten äusseren Ordnung, kann sich der Mensch erfüllen. Nur im Schutze einer festen äusseren Hülle vermag er seine geistigen und sittlichen Kräfte zu entfalten. Nur im Staat und nur durch den Staat kann im Zusammenleben der Menschen Gerechtigkeit werden. Der Staat ist somit eine in sich ruhende und notwendige Form des menschlichen Zusammenseins. Daraus folgt der Auftrag, den Staat so wohnlich als möglich zu gestalten.

Diese überkommene, in zweieinhalb Jahrtausenden gewachsene Vorstellung des Staates ist aber heute nicht mehr selbstverständlich. Eine andere Anschauung tritt ihr gegenüber; es ist eine Anschauung, die in sonderbarer Weise eine verborgene Brücke zur kommunistischen Lehre schlägt. In Deutschland hat einer der angesehensten Staatstheoretiker die These entwickelt, die politische Ordnung der Bundesrepublik sei unlösbar an die Voraussetzung geknüpft, dass es gelinge, den Wohlstand, das Sozialprodukt ständig zu vermehren. Wenn einmal das Wachstum der Wohlstandsrate aufhöre oder wenn gar eine gegenteilige Entwicklung beginne, dann werde die politische Ordnung unweigerlich in sich zusammenbrechen. Nur die Aussicht auf ständige Vermehrung der Reichtümer, nur die Devise «Allen immer mehr» hält nach dieser These den deutschen Staat zusammen.

Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, ob diese Aussage zutreffend ist. Ich begnüge mich damit, sie einfach zu registrieren. Die völlig abwegige Aussage eines Einzelgängers ist sie jedenfalls nicht. Andere haben mit anderen und vielleicht schonungsvolleren Worten Ähnliches gesagt. Sollte es aber zutreffen, was dieser deutsche Staatstheoretiker registriert, dann wird das Bild des Staates von Grund auf verändert.

Der Staat ist nur noch Werkzeug. Gewiss dient er als Werkzeug einem völlig anderen Zweck als der kommunistische Staat. Aber wie dieser ist er, trotz aller Verschiedenheit der Zielsetzung, nur noch ein zweckrationales Instrument. Er ist eine Bedingung der Wohlstandsvermehrung; er dient dazu, jedermann an materiellen Gütern ständig mehr zu geben. Der Staat wird somit Träger blosser Nützlichkeitsfunktionen. Wir bedienen uns seiner, wie wir uns irgendeiner Anstalt – einer Heilanstalt oder einer Ausbildungsanstalt – bedienen. Verantwortlichkeiten und Pflichten gegenüber dem Staat haben wir nicht. Der Staat ist unser Diener, unser Helfer, unsere Nützlichkeitseinrichtung. So können wir uns denn darauf einrichten, den Staat und seine wohlstandsvermehrenden Segnungen passiv zu geniessen. Wir sind letztlich nicht mehr Bürger, sondern Nutzniesser des Staates. Der Staat wird zu einer Art Fürsorge-, Hilfs- und Unterstützungsgesellschaft. Wir rücken in die Stellung der Aktionäre eines Unternehmens ein. Wie viele Aktionäre pochen wir lediglich darauf, dass am Schluss des Jahres ein greifbarer Nutzen herausschaue; in welcher Weise im übrigen das «Unternehmen» geführt wird, kümmert uns nicht.

Das Zerrbild des Staates als Werkzeug und als passiv erlebte Nützlichkeitsinstitution steht heute als grosse Gefahr über dem Westen.

  1. Eine zweite Erscheinung nähert unsere Ordnung auf einem Umweg ebenfalls derjenigen des Kommunismus an. Gewiss geht es nur um eine Annäherung, niemals um eine Angleichung. Ich meine die unserer Zeit so tief eingegebene Anschauung von der Höherwertigkeit des Grossen und der Minderwertigkeit des Kleinen.

Die Zeit imperialistischer Grossmachtpolitik ist in Europa zwar vorüber. Die westlichen Völker denken nicht mehr an politische Eroberungen; aber sie denken sehr massiv an wirtschaftliche Expansion. Und so stammt denn dieses Denken von der Höherwertigkeit des Grossen und der Minderwertigkeit des Kleinen heute vor allem aus dem Ökonomischen. Man ist rückständig, wenn man nicht der Konzentration das Wort redet. Nur wer das Tempo dieses Zusammenschlusses mitzumachen vermag, geht mit der Zeit.

Nun ist zwar objektiv kaum zu bestreiten, dass das Grosse in der Regel – in der Regel, auch nicht immer – zugleich das Rationelle ist. Aber die Frage muss anders gestellt sein. Zu prüfen bleibt, ob der rein ökonomische Vorteil des Grossen die nicht ökonomischen Vorteile des Kleinen aufzuwiegen vermag. Wir müssen uns, anders gesagt, fragen, ob der Gewinn rationalisierender Zusammenlegung den Verlust aufwiegen kann, der entsteht, wenn wir unsere überkommenen kleinräumigen Strukturen mit harter Hand austilgen. Europa ist der Bereich gewachsener, übersehbarer Strukturen. Vielleicht liegt darin sogar einer der grössten Werte, die in unserem Kontinent Wirklichkeit geworden sind. Das Kleine, das Enge und das Besondere machen unsere wahre Grösse aus.

Aber das alles zählt heute wenig. Man hört zwar jene, die vor dem Grossraumkult warnen, höflich an. Aber glaubwürdig erscheinen ihre Mahnungen kaum.

  1. Ein Drittes bleibt zu registrieren. Diese Feststellung ist vielleicht die schwerwiegendste von allen – obwohl sie im übrigen mehr eine Folge als eine Ursache aufzeigt. Der autoritäre Staat breitet sich auch ausserhalb des kommunistischen Einflussbereiches aus.

Vom autoritären, nicht vom totalitären Staat ist die Rede. Das sind zwei verschiedene Dinge, mögen sie sich auch in einem, nämlich eben in der Hervorhebung der Staatsautorität – in der Verleugnung der Demokratie –, berühren. Im autoritären Staat, so wie wir ihn zu verstehen haben, gibt es keine Konzentrationslager. Das Eigentum des einzelnen ist geschützt, stark geschützt vielleicht sogar. Auch die persönliche Freiheit ist zum mindesten leidlich garantiert und gesichert. Wenn man den Staat nicht gerade in seinen ureigensten Belangen attackiert, wenn man den Staatschef nicht gerade offen zum Kampf herausfordert, dann kann man einigermassen unbehelligt sagen und schreiben, was man für richtig hält. Sogar wirksame rechtsstaatliche Institutionen sind geschaffen. Es bestehen jedenfalls unabhängige Verwaltungsgerichte, vielleicht sogar Verfassungsgerichte.

Im autoritären Staat lässt sich somit durchaus leben. Die Wirtschaft blüht. Das kulturelle Schaffen kann sich entfalten. Nur das Mitspracherecht des einzelnen an den öffentlichen Dingen ist gering. Es sind zwar Ventile da, durch die der angereicherte politische Unmut bei entsprechendem Überdruck abgelassen werden kann. Aber den wirklichen Hebel des Staatsapparates hält nicht der Bürger in Händen.

Es wirkt eine sehr mächtige Regierung. Das Parlament kommt letztlich gegen die Regierung nicht auf. Durch einen sensationellen Erfolg in den Neuwahlen könnte diese Regierung vielleicht zwar weggewischt werden. Aber vor dem Wähler ist das Ansehen der Regierenden oder des Regierenden zu gross, um einen solchen sensationellen Erfolg wahrscheinlich zu machen. Entscheidender als Institutionen werden wiederum Personen. Vor allem wird die Regierungsmacht in starkem Masse an Personen gebunden. Man kann daher diese politische Ordnung als den personenbezogenen Regierungsstaat kennzeichnen. Die Dinge vereinfachend sei hier vom autoritären Staat die Rede.

In drei Erscheinungsformen tritt uns heute der autoritäre, personenbezogene Regierungsstaat entgegen.

a) Der autoritäre Staat lebt einmal als altes Relikt der vorkonstitutionellen Zeit (der Zeit vor der Französischen Revolution) in Spanien und Portugal fort. Das ist, aufs Ganze gesehen, wenig bedeutsam. Niemals haben institutionelle Relikte den Gang der Geschichte entscheidend zu beeinflussen vermocht.

b) Sodann entstehen neue Formen autoritären Herrschens in den ehemaligen Kolonien, das heisst in den neuen Staaten Afrikas und Asiens. Diese Erscheinung liegt weitgehend in den besonderen Gegebenheiten der «Entwicklungsländer» begründet. Ein tragendes Nationalbewusstsein fehlt. Es muss sich erst in einem mühsamen Prozess formen. Die Bildung des Nationalbewusstseins vollzieht sich unter der entscheidenden Wirkung starker einheimischer Führer.

c) Schliesslich aber beginnt der personenbezogene Regierungsstaat auch in der alten Welt wieder Wirklichkeit zu werden. Dafür sind ganz andere Gründe massgeblich, als sie sich hinsichtlich der neuen Staaten Afrikas und Asiens anführen lassen.

Es ist die politische Müdigkeit der Völker, die im Westen die Gefahr einer Wiederkehr autoritärer Regierungsformen geschaffen hat. Man ist des dauernden Kampfes um die politische Macht überdrüssig. Der einzelne zieht sich auf sich selbst zurück. Er macht den Staat zur Versicherungsanstalt für sein persönliches Wohlergehen. Das garstige Regierungsgeschäft überlässt er jenen, die sich erfolgreich darin zu behaupten vermögen. So hängt die Gefahr des Autoritären aufs engste mit den beiden anderen hier registrierten Erscheinungen zusammen. Wird der Staat nur als Werkzeug, nur als Nützlichkeitsinstrument verstanden, dann wird er jenen in die Hände gespielt, die dieses Werkzeug am erfolgreichsten zu handhaben vermögen. Gilt nur das Grosse als erstrebenswert, dann verbaut sich der Bürger eine sinnvolle und konstruktive Anteilnahme am politischen Geschehen. Es ist eine Wahrheit, die mehr als zweitausend Jahre alt ist, dass echte Demokratie an den übersehbaren Raum gebunden bleibt.

Es sei hier davon abgesehen, im einzelnen darzulegen, in welchen Staaten das Bild des personenbezogenen Regierungsstaates zur unmittelbaren Gefahr geworden ist. In Frankreich wird das verhängnisvolle Abgleiten für jedermann erkennbar. Die Gefahr steht aber auch über der Entwicklung anderer grosser europäischer Staaten. Ja sie ist fast überall als latente Möglichkeit vorhanden. Die stärkste Resistenz mögen die nordischen Monarchien, Holland und die Schweiz aufweisen.

Die Schweiz in doppelter Abwehr

Was sind die Folgerungen, die sich aus dieser Übersicht für uns Schweizer ergeben? Vielleicht müssen wir uns wieder an das Bild gewöhnen, in einem Zweifrontenkrieg zu stehen.

In einer sichtbaren und für jedermann erkennbaren Auseinandersetzung stehen wir gegenüber dem totalen Staat. Hier kann es kein Nachgeben, kein Einschwenken und keinen Kompromiss geben.

Eine sehr viel schwerer fassbare Front ist gegenüber den wiedereindringenden autoritären Gedanken aufgerissen. Ich möchte aber meinen, dass diese Front in den kommenden Jahren an einen je länger, je sichtbareren Graben verlegt werden wird. Auch von der Seite des Autoritären ist unsere politische Substanz, die gewachsene genossenschaftliche und föderative Demokratie bedroht.

So möge sich jeder für sich die Frage stellen, ob nicht auch wir schon in manchem angezehrt sind, ob nicht auch uns gelegentlich eine Müdigkeit befällt, die dann schlussendlich dazu führt, das politische Geschäft den anderen zu überlassen. Ich kann die tiefe Beunruhigung nicht verbergen, die mich angesichts der ständig sinkenden Stimmbeteiligung befällt. Ich unterstreiche die Worte ständig sinkend – denn ein Ende der Entwicklung ist heute noch nicht abzusehen.

Seitdem eine eidgenössische Abstimmungsstatistik geführt wird, das heisst seit dem Jahre 1879, lag die Abstimmungsbeteiligung im mehrjährigen Durchschnitt bei eidgenössischen Vorlagen bisher immer über 50%. Sie war am tiefsten unmittelbar vor und während des Ersten Weltkrieges. Damals war sie auf 53–54% gesunken. Dann stieg die Beteiligung wiederum – immer im mehrjährigen Durchschnitt gesehen –, und zwar auf 68% in den Krisenjahren. Seither hat ein ständig rückläufiger Prozess eingesetzt. In den Jahren 1951 bis 1955 betrug die Stimmbeteiligung noch 51%. Für das nächste Jahrfünft sank sie auf 49%; erstmals wurde in der schweizerischen Abstimmungsgeschichte die kritische Grenze von 50% unterschritten. Und im Durchschnitt der Jahre 1961/62 betrug die Abstimmungsbeteiligung noch 47%.

Zutiefst beunruhigend ist die Stetigkeit des Abfalles. Alle beschönigende Zweckphilosophie, die vielen so leicht liegt, vermag nicht zu verbergen, dass sich aus diesen Feststellungen grosse und schwere Fragen hinsichtlich unserer Zukunft stellen. Trotz aller künstlichen Betriebsamkeit war im Innern unseres Landes die politische Leere noch kaum je so bedrohend wie heute.


Erschienen: Schweizer Monatshefte: Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur, Band (Jahr): 43 (1963-1964), Heft 1

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