Die Freiheit eines Kindes
Als ich ein Kind war, hat mich eine Sekte in Mitwisserschaft meines kompletten sozialen Umfelds fast zerstört. Wo immer heute die blumige Rede von Glauben und Freiheit ertönt, kontere ich: Zu selten ist von Glauben und Manipulation die Rede.
— In unserer April-Ausgabe beschäftigten wir uns in einem Dossier mit dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Die Frage, wie der Staat auf destruktive Glaubensgemeinschaften reagieren sollte, wurde darin nicht beantwortet. Katharina Meredith holt dies an dieser Stelle nach. —
Als ich zehn Jahre alt war, traten meine Eltern einer kleinen Kommune bei, deren Gründer sie an einem Seminar in Berlin rekrutierte. Sie wussten damals nicht, dass es sich dabei um den Anfangskreis einer destruktiven Gruppe handelte, die ihre Mitglieder manipulierte und dazu zwang, ihr gesamtes bisheriges Leben aufzugeben. Die ersten Warnsignale wollten sie vielleicht auch nicht sehen, meist sind es ja idealistische Menschen, die sich auf «neue» Glaubensrichtungen einlassen: Sie träumen von einer besseren Welt, suchen den Sinn des Lebens, finden aber nicht selten die Hölle.
Mein achtjähriger Bruder und ich träumten noch nicht von einer anderen Welt. Wir lebten glücklich auf einem alten Bauernhof in Niederbayern, hatten unsere Tiere und Freunde, spielten auf den Feldern, rannten durch Wälder, klauten Äpfel vom Nachbarn und schwammen im Teich hinter unserem Haus. Ganz anders die Menschen unseres neuen «Zuhauses», die an ihrem «seelischen Wachstum» arbeiten wollten, um beim nahenden Ende der Welt gut gerüstet zu sein. Die Kommune wurde vom selbsternannten Guru Arno Wollensak geleitet. Wie ich später erfuhr, hatte Arno eine ganze Menge bei seinem Guru abgeschaut: Bhagwan Shree Rajneesh, auch bekannt als «Osho», wurde in den 1970er und 1980er Jahren von dessen Jüngern in Indien verehrt. Sie schenkten ihm – unter anderem – 93 Rolls-Royces. Einige, die ihre Kindheit in der Osho-Bewegung verbrachten, haben inzwischen schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben, darunter gewalttätige Trennung von den Eltern, Missbrauch oder Zwangsarbeit.
Ein Ende des bisherigen Lebens
Bei uns dauerte es nur wenige Wochen, bis unser altes Leben zu Ende war: Meine Eltern lösten unseren Haushalt in Niederbayern auf, ich erklärte meinen Freundinnen mit ernster Miene, dass wir nun alle Götter seien und mit dem Guru Arno zusammenziehen müssten, um die Welt zu retten.
Wie sehr darf man an etwas glauben? Eigentlich unbegrenzt, oder? Wie sehr darf man seine Kinder oder andere dabei verletzen? Wie viel Missbrauch muss man als Kind unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit ertragen? Wie viel darf die Gesellschaft dulden? Kinder haben ein Recht auf die Freiheit, sich ohne Druck und Zwang zu entfalten. Was aber, wenn Missbrauch in einer Glaubensgemeinschaft mit einem Hinweis auf einen höheren Sinn normalisiert wird? Mit Glaubensgemeinschaft meine ich alles: von destruktiven Gruppen über Sekten bis hin zu etablierten Religionen. Ihre Mitglieder glauben intensiv an etwas und vertreten ihren Glauben als die «einzige Wahrheit». Destruktiv wird die Glaubensgemeinschaft dann, wenn sie mit tödlichen Folgen droht, sollte diese «Wahrheit» nicht geachtet werden. Das ist das Gegenteil von Glaubensfreiheit.
Was folgte, ist kaum in Worte zu fassen. Zuerst verloren wir unsere Eltern, wir durften sie nicht mehr mit «Mama» und «Papa» ansprechen. Fremde Erwachsene wurden uns als Aufsichtspersonen zugeteilt. Wir seien erfahrene Seelen, hiess es, wir bräuchten keine Eltern mehr. So wurden wir in unserem neuen Zuhause in Österreich mit sieben weiteren Kindern in ein Zimmer gepfercht. Das jüngste Kind war fünf Jahre alt. Es stand oft im Treppenhaus und schrie. Doch niemand kam.
Arno wandelte sich ebenfalls schnell. Er bestimmte, was wir jeden Tag tun sollten, lehrte uns, unsere alte Persönlichkeit abzulegen und den Kontakt mit Verwandten abzubrechen. Stück für Stück verloren die Erwachsenen nacheinander ihre Ersparnisse, ihre Kinder und ihr Recht auf Selbstbestimmung. Wir Kinder verloren unsere Freiheit.
Schon nach wenigen Wochen zersplitterte mein Selbstbewusstsein. Immer wieder wurde mir erklärt, dass ich zu viele persönliche Wünsche hätte und zu sehr an meiner Individualität und meinem alten Leben festhielte. Nachdem Arno unsere Selbstwahrnehmung zerstört hatte, wir unsicher und verwundbar waren, überschüttete er uns mit Liebe, stellte sich als eine Vaterfigur und als unser Wegweiser dar. Ich klammerte mich an ihn, denn sonst hatte ich ja nichts mehr: keine Verwandten, Freunde, Lehrer oder Klassenkameraden, an die ich mich hätte wenden können. Ich fühlte mich in meinem neuen Umfeld gefangen.
«Immer wieder wurde mir erklärt, dass ich zu viele persönliche Wünsche hätte und zu sehr an meiner Individualität und meinem alten Leben festhielte.»
Doch Arno war nicht fertig. Nachdem er sicher war, dass die Erwachsenen sich ihm nicht mehr widersetzten, kam es bald zu den ersten körperlichen Übergriffen. Psychisch hatte er sich ja schon in unsere privatesten Gedanken eingemischt, nun herrschte der Zwang, alles preisgeben zu müssen, keine Geheimnisse mehr voreinander zu haben. So fing jeder an, über jeden zu berichten.
Welche Mittel benutzt eine Glaubensgemeinschaft? Werden Kinder unter Druck gesetzt? Sind die Mitglieder dazu gezwungen, unbezahlte Arbeit zu leisten? Wird, wer sich den Regeln widersetzt, ausgestossen? Wird die Privatsphäre verletzt, indem Karriere, Geld und Freizeit von der Gruppe bestimmt werden? Solche Mittel verletzen regelmässig die Persönlichkeit oder gar die körperliche und sexuelle Integrität der Betroffenen. Spätestens dort, wo Betroffene darüber hinaus systematisch von jeglicher sozialen Interaktion ausserhalb der vereinnahmenden Gruppe abgeschirmt werden, muss der Staat wachsam sein und nötigenfalls eingreifen. Hierzu ist oft eine Anzeige aus dem engeren Umfeld der Opfer erforderlich.
Der Staat greift erstmals ein
1993 schritt in Österreich, wo wir alle zusammenlebten, zum ersten Mal der Staat ein. Ein Vater wollte seine siebenjährige Tochter aus der Glaubensgemeinschaft befreien, also wandte er sich an die Medien. Die Bewohner des nächsten Dorfes sahen ausserdem wahrscheinlich hin und wieder durch die Fenster, dass die Erwachsenen zu jeder Tageszeit nackt durch das Haus liefen.
Die Polizei kam vorbei, um uns individuell zu befragen. Von Arno wurden wir auf das Gespräch vorbereitet: So sollten wir zum Beispiel die «Kuschelpartner», die uns abends zugeteilt wurden, nicht erwähnen. Es war ja auch alles nur «fast» falsch. Wir Kinder hatten einmal unterm Dach bei den Erwachsenen übernachtet und so allerhand Geräusche gehört, aber niemanden wirklich beim Geschlechtsverkehr gesehen. Wir sahen zwar alle nackt und waren auch oft selbst nackig, aber noch fasste uns niemand an. Wir mussten abends mit erwachsenen Männern und manchmal Frauen kuscheln, aber wir waren gleichzeitig auch froh, dass wir überhaupt Nähe zu jemandem hatten. Unsere eigenen Eltern waren tabu.
Nachdem wir der Polizei nichts preisgegeben hatten, was unsere neue «Familie» in Schwierigkeiten hätte bringen können, mussten wir noch zum Psychologen. Auch da zeigten sich zwar unsere Unsicherheiten und dass wir laut Gutachten enorm trotzig waren. Es gab aber keine Hinweise auf sexuellen Missbrauch, keine Hinweise auf einen Gesetzesverstoss. Und eine öffentliche Schule, in der man hätte die Lehrer zu uns befragen können, besuchten wir auch nicht: Die jüngeren Kinder hatten etwas Heimunterricht, denn in Österreich gilt statt Schulpflicht nur Unterrichtspflicht. Mich haben sie einfach ein Jahr nachsitzen lassen, und deshalb musste ich nicht einmal zur jährlichen staatlichen Prüfung. Grenzwertig? Ja. Strafbar? Nein.
Passivität der Verwandten
Hätte der Staat damals mehr tun können? Vermutlich nicht, er hat sich den geltenden Gesetzen entsprechend verhalten. Was aber geholfen hätte: Wenn sich unsere Verwandten eingemischt und um das Sorgerecht gekämpft hätten, vielleicht besser einmal zu oft als einmal zu wenig die Kinder- und Jugendschutzbehörden eingeschaltet hätten. Stattdessen wollten alle verständnisvoll sein und eine «alternative Lebensweise» nicht gleich verurteilen. Verständlich. Sie wussten vielleicht auch, dass meine Eltern andernfalls alle Schotten dichtgemacht hätten.
Um Kinder in destruktiven Gruppen schützen zu können, muss von aussen eingegriffen werden, wenn gewisse Anhaltspunkte erfüllt sind. Hier ein paar Faktoren, die zu einer Untersuchung führen sollten: Wird das Kind zunehmend isoliert? Hat das Kind noch die Möglichkeit, sich mit Verwandten und Aussenstehenden auszutauschen? Denkt das Kind, dass es zwanghaft andere Kinder missionieren muss? Darf das Kind noch jährlich zum Arzt, wird es geimpft? Darf das Kind eigene Interessen verfolgen, oder gelten nur die Interessen der Eltern? Darf sich das Kind kreativ entfalten und Fantasie entwickeln? Darf das Kind sich frei entscheiden, ob und was es lernen und studieren will, oder geben Eltern und Gemeinschaft vor, welche Karrieren tauglich sind? Zeigt das Kind eine Angststörung auf, vor allem in bezug auf das Ende der Welt oder eine Art Hölle? Leidet es unter der Vorstellung, nicht «gut genug» für den Himmel zu sein? Wird das Kind ausgestossen oder darf es den Kontakt zu den Eltern und Freunden in der Gemeinschaft aufrechterhalten, falls es sich später entscheidet, die Gemeinschaft zu verlassen?
Uns Kindern kam niemand zur Hilfe. Da die Medien in Österreich und Deutschland unsere Gruppe weiterhin im Visier hatten, beschloss Arno nach einem Jahr, die ganze Gruppe solle nach Portugal gehen. Dort angekommen, kam er dann richtig in Fahrt: Die Meetings, bei denen wir stundenlang im Kreis sassen und ihm oder einem Medium, das angeblich einen alten Geist «channelte», zuhörten, wurden immer brutaler. Er schikanierte die Erwachsenen unnachgiebig, was manchmal so weit ging, dass sie heulten oder sich vor Angst in die Hose machten. Auch sollte die Tür zum Klo stets offen stehen. Wir teilten uns die Zahnbürste. Und die ersten Übergriffe fanden statt.
Arno fing an, mit einem Schweizer Mädchen, das zwei Jahre älter war als ich, zu flirten. Kurz darauf küsste mich einer der Männer. So erlebte ich meinen ersten Zungenkuss mit elf Jahren und trotz Gegenwehr. Arno erkor die 13jährige Schweizerin zu seiner Bettgefährtin. Er manipulierte sie und uns alle, bis jeder glaubte, sie sei eine alte Seele und Sex sei «gut für ihr spirituelles Wachstum». Ihr Vater versuchte, sich dagegen zu erheben. Doch Arno diskutierte mit ihm und drohte ihm gleichzeitig, er würde die gesamte Existenz des Universums gefährden, wenn er wegen so einer «Kleinigkeit» die Gruppe verliesse.
Mir redete Arno mit 12 Jahren ein, ich sollte auch «experimentieren». Zweimal verbrachte ich die Nacht mit je einem anderen nackten Mann – die beide etwa so alt waren wie mein Vater. Im Nachhinein erfuhr ich, dass selbst Mädchen, die erst sieben oder acht Jahre alt waren, von erwachsenen Männern in der Gruppe angefasst wurden oder ihre Sprüche und lasziven Blicke ertragen mussten.
Mit wem konnten wir Kinder darüber sprechen? Mit niemandem. Wir gingen ja weiterhin nicht an eine öffentliche Schule. Folglich hat der Staat in Portugal weder etwas mitbekommen noch eingegriffen. Dabei ging es nun um knallharten Kindsmissbrauch. Die Polizei hätte uns Kinder zu unseren Verwandten nach Deutschland schicken und alle Erwachsenen in Haft nehmen sollen. Auch wenn Arno der Drahtzieher war, haben alle Erwachsenen uns Kinder damals nicht geschützt – und hätten dafür eine Strafanzeige bekommen müssen. Wenn ich das so äussere, ist mir durchaus bewusst, dass die meisten Erwachsenen, vor allem die Frauen, irgendwann gar keine Kraft mehr hatten, sich gegen Arnos Regime zu wehren.
Eine allgemeine Anzeigepflicht für Private bei Fällen von sexuellem Missbrauch besteht nach geltendem Recht nicht. Anders sieht es für Behörden aus (ZGB Art. 443 Abs. 2). Verschiedene Kantone kennen bei einer erkennbaren Gefährdung des Kindswohls weitgehende Anzeigepflichten, zum Beispiel für Schulen, Spitäler und Ärzte. Wer aber Mitwissender bei Kindesmissbrauch ist, sollte meiner Meinung nach auch eine Strafe erhalten, selbst wenn diese vielleicht milder ausfällt. Niemand steht über den Gesetzen – Mitwisser teilen die Schuld, in anderen Gesellschaftssphären ist eine solche Komplizenschaft strafbar. Wenn ich in diesem Wissen auf die katholische Kirche schaue, auf die Zeugen Jehovas oder andere grössere Glaubensgemeinschaften, die Kindesmissbrauch vertuschen, bin ich erstaunt, dass noch immer nicht mehr Köpfe rollen. Wer Täter schützt, deren Opfer leiden und sich aus Verzweiflung umbringen, soll sich vor Gott verantworten – aber vorher vor einem menschlichen Gericht.
Ein unantastbarer Guru
Arno merkte, dass er unantastbar war. 1995 zügelte er unsere ganze Gruppe auf eine abgelegene Ranch in Belize, um zu vermeiden, dass Aussenstehende Verdacht schöpfen könnten. Belize, ein kleines idyllisches Land südlich von Mexiko, erschien mir auf den ersten Blick wie ein Traum. Vielleicht würde hier alles besser werden!
«Als ich 15 wurde, liess Arno nicht mehr locker, zog mich ständig auf und fragte, ob ich mir denn bald einen der Männer schnappen würde oder er selbst mich «zur Frau machen» müsse.»
Es änderte sich nichts – bis auf die Tatsache, dass wir ein «Umweltprojekt» gründeten. Diesmal baute Arno eine Tarnung auf, um mit der grossen Gruppe nicht wieder aufzufallen. Mit 14 Jahren wollte ich zurück nach Deutschland. Meine Haare fielen aus, ich war unglücklich. Arno tat so, als wäre es wirklich meine Entscheidung – und als würde er mich gehen lassen. Dann setzte er im letzten Moment meine Mutter darauf an, mit mir zu sprechen. Über die letzten vier Jahre hatten meine Eltern und ich vielleicht ein paar Sätze gewechselt, gingen uns aber sonst aus dem Weg. Trotzdem blieb ich nach dem Gespräch mit meiner Mutter in Belize. Ich wollte auch meinen Bruder nicht «allein» zurücklassen. Auch wenn ich kaum mit ihm sprach, merkte ich, wie er von Arnos Tochter gequält und von einem älteren Jugendlichen gehänselt wurde.
Als ich 15 wurde, liess Arno nicht mehr locker, zog mich ständig auf und fragte, ob ich mir denn bald einen der Männer schnappen würde oder er selbst mich «zur Frau machen» müsse. Erschreckt gab ich den Avancen eines Mannes nach und wurde ihm in der Folge zugeteilt. Arno redete mir ein, ich sei jetzt die Freundin dieses Mannes, obwohl ich keine Zuneigung zu ihm empfand und er mir zu alt war. Was folgte, war wiederholte Vergewaltigung. Das konnte ich mir damals jedoch nicht eingestehen, schliesslich bestimmten wir laut Arno alle unser eigenes Schicksal: Meine Seele hatte sich diese Prozedur eben ausgesucht. Täter gab es in diesem Glaubenssystem also nicht. Und damit auch keine Opfer.
Isolierte und indoktrinierte Kinder
Hätte der Staat in Belize einschreiten sollen? Ja, natürlich. Allerdings hat wieder niemand etwas mitbekommen. In vielen destruktiven Gruppen werden Kinder isoliert und indoktriniert. Sie haben keine Kontakte und schon gar keine Freunde ausserhalb ihrer Glaubensgemeinschaft. Ich hätte mich geschämt, etwas zu sagen, und hatte Angst, das gesamte Universum zu gefährden – denn das sollten wir ja retten. Der Druck war hoch, Informationen, die das Gegenteil bewiesen hätten, unzugänglich. Es gab keinen Zugang zum Internet, wir konnten auch nicht unbeobachtet Briefe verschicken oder das Telefon benutzen. Dann rannte die Schweizerin weg, die jahrelang Arnos Übergriffe erlitten hatte. Aus Angst, sie könnte Anzeige erstatten, floh Arno und verliess Belize mit dem erstmöglichen Flug.
Die Schweizerin ging zurück in ihre Heimat und erstattete Anzeige. Ihr lief dabei die Zeit davon, da Kindsmissbrauch verjährte damals. Heute ist das nicht mehr so: Die Strafbarkeit sexueller Handlungen mit Kindern ist unverjährbar (StGb Art. 101e). Doch abgesehen von der Gesetzeslage sind die Opfer von Vergewaltigungen über Jahre oft gar nicht in der Lage, dem Täter ins Gesicht zu sehen, geschweige denn an einem Gerichtsprozess teilzunehmen. Ich selbst wäre zehn Jahre nach dem Ausstieg bereit gewesen. Da war der Missbrauch einerseits verjährt, andererseits hätte ich in Belize Anzeige erstatten müssen. Zwar ist es je nach Land theoretisch möglich, auch im Ausland Anklage zu erstatten – praktisch ist das aber kaum umsetzbar, die Chance auf Gerechtigkeit gering.
Ende der 1990er Jahre hat die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats sich nach dem Sonnentemplermassaker zwei Jahre lang mit Glaubensgemeinschaften und Sekten auseinandergesetzt und 1999 einen Bericht mit mehreren Empfehlungen an den Bundesrat gegeben. Leider wurden diese nicht umgesetzt, die Regelung an die Kantone delegiert, wo man sich darum kaum kümmerte. Vielleicht ist es an der Zeit, Ausbeutung in Glaubensgemeinschaften nochmals auf Bundesebene anzusprechen. Schliesslich verlieren jährlich tausende Menschen in der Schweiz ihr Vermögen, ihr Recht auf Selbstbestimmung und ihre Kindheit an destruktive Gruppierungen.