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Die Frauen und das Schach

Als ich mitten in Tbilisi das Gebäude der Georgischen Schachföderation betrete, fühle ich mich, als wäre ich in sowjetischen Zeiten gelandet: dunkle Räume, tonnenschwere Möbel, Stühle aus einer anderen Zeit. Natürlich kenne ich die Sowjetunion nur aus amerikanischen Filmen, aber wie ein Protagonist in einem Film komme ich mir auch vor. In einem Vorzimmer warte […]

Als ich mitten in Tbilisi das Gebäude der Georgischen Schachföderation betrete, fühle ich mich, als wäre ich in sowjetischen Zeiten gelandet: dunkle Räume, tonnenschwere Möbel, Stühle aus einer anderen Zeit. Natürlich kenne ich die Sowjetunion nur aus amerikanischen Filmen, aber wie ein Protagonist in einem Film komme ich mir auch vor. In einem Vorzimmer warte ich auf Giorgi Giorgadze, Präsident der Georgischen Schachföderation. Überall hängen Photographien von Garri Kasparov.

Georgien ist ein kleines Land mit grosser Schachtradi­tion, Veranstalter der Schacholympiade 2018. Es verfügt heute über mehr als zwei Dutzend Schachgrossmeister – die Schweiz hat in den letzten 20 Jahren gerade mal deren vier hervorgebracht. In der Welt des georgischen Schachs geben jedoch klar die Frauen den Ton an. Giorgi Giorgadze, ansonsten die Gravität in Person, setzt zu einem diskreten Lächeln an: «Die georgischen Frauen sind sehr schön und sehr klug.» Das Lächeln scheint ewig anzuhalten. Zweifellos, entgegne ich – aber warum Schach? Es sei bewährte Tradition in den guten Familien, dass die Frau als Mitgift ein schönes Schachspiel in die Ehe bringe, um ihre Klugheit zu beweisen. Und in Georgien hätten sie die besten Trainer: georgische Männer, die ihre Frauen verstehen. Die Vorbilder für die vielen jungen Spitzenschachspielerinnen im heutigen Georgien sind deren zwei: Nona Gaprindashvili, Weltmeisterin von 1962 bis 1978, und Maia Tschiburdanidze, die ihre Landsfrau mit erst 17 Jahren vom Schachthron stiess und ihn von 1978 bis 1988 hartnäckig besetzt hielt. Sie zählt bis heute zu den besten Spielerinnen Georgiens.

Ich spiele in Tbilisi fast jeden Abend Blitzschach, mit Gia Gogoladze, Geschäftspartner von Miho Svimonishvili und in jungen Jahren Schachmeister. Gia überspielt mich regelmässig. Und er ist dabei ein echter Sportler: Er lässt mich nicht gewinnen und crasht mein Ego, sooft er nur kann. Nur manchmal, da denke ich ein paar Züge weiter als Gia – und schlage ihn. Aber eben nur manchmal.

Dennoch fühle ich mich fit und bitte den Schachpräsidenten nach dem Interview um eine Partie. Eigentlich ziemlich vermessen – in den besten Zeiten war Giorgadze Profi, Sekundant von Kasparov (daher die Photographien!), mit einem Ranking von mehr als 2600 ELO. Er kramt ein Spiel hervor, stellt es auf den Tisch und sagt: «Kasparov hat es mir geschenkt.» Wir spielen Nimzowitzsch, Sämisch-­Variante. Ich wittere nach zähem Mittelspiel meine Chance, opfere einen Bauern und greife an. Giorgadze kommt ins Grübeln, gibt sich aber keine Blösse. Der Angriff verpufft, und der Präsident schenkt mir sein zweites Lächeln an diesem Vormittag.

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