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Die Frau auf dem Mond

 

Kurz nachdem ich über Bord gesprungen war, warf mir eines der Besatzungsmitglieder unbeeindruckt einen Rettungsring zu. «Happens all the time», sagte der Mann zu meiner völlig verängstigten Freundin. «People get so sick, they jump.»

Lebensmüde bin ich eigentlich nicht. In schlimmen Zeiten halte ich es mit Dorothy Parker: razors pain you / rivers are damp / acids stain you / and drugs cause cramp / guns aren´t lawful / nooses give / gas smells awful / you might as well live. Und eigentlich hatte ich auch auf diesem Segelschiff nicht die Intention zu sterben. Nach vier Tagen durchgehendem Elend wollte ich einfach nur runter. Dass runter das freie Meer und damit der potentielle Ertrinkungstod war: egal.

Es gab noch keine Reise in meinem Leben, in der die Übelkeit zu Hause geblieben ist. Jedes Auto, jedes Schiff, jedes Flugzeug, jeder Zug, jede Gondel kann mich innerhalb von Sekunden von einem Menschen, der neugierig ist auf die Welt, in ein leichenblasses Häufchen verwandeln; und manchmal verlier ich dabei den Verstand. Ich bin auch schon in Berlin aus dem Bus getaumelt, ohne da angekommen zu sein, wo ich eigentlich hinwollte.

In der Literatur ist Reiseübelkeit selten mehr als eine Pointe, Seekrankheit ausgenommen, denn die trifft auch die Harten und sagt damit etwas über das Meer (es ist noch härter). Sonst gibt es keine poetischen Gedanken, kein bewegender Anblick, wenn sich alles nur noch dreht.

Mich tröstet, dass auch die am weitesten Reisenden ­darunter leiden. Astronauten können haarsträubende ­Reiseübelkeit entwickeln. Wenn ich wieder an der Reling hänge, stelle ich mir manchmal vor, ich bin eigentlich auf dem Weg zum Mond. Ähnlich triumphal fühlt es sich auch jedes Mal an, wieder festen Boden unter den Füssen zu haben.

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