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Die EZB ist kein Ersatzfiskus

Deutschland und die Schweiz setzen auf ein stabiles Wirtschaftssystem. Tut dies auch die EU?

Beginnen wir mit der Idealwelt und der Vergangenheit. Die ökonomische Theorie wie die praktische Erfahrung belegen die These: Wertbeständiges Geld und solide öffentliche Finanzen sind zusammen die Pfeiler eines stabilen Wirtschaftssystems. Die Schweiz mit einer im internationalen Vergleich moderaten Staatsverschuldung und einer auf Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik gilt weltweit geradezu als Muster für eine nachhaltige Entwicklung.

Grosso modo kann man dies auch für die Bundesrepublik Deutschland behaupten. Auf jeden Fall genoss die Deutsche Bundesbank globales Ansehen und ihre Währung, die D-Mark, rückte schliesslich dank ihrer inneren Stabilität in den Rang einer weltweit gefragten Reservewährung auf.

 

Die Europäische Währungsunion

In den Verhandlungen über den Maas-tricht-Vertrag (mit der Entscheidung im Dezember 1991) spielten diese Erfahrungen ebenso wie theoretische Erkenntnisse eine zentrale Rolle. Ich erinnere an das Statut für die Europäische Zentralbank (EZB); es enthält folgende, für einen erfolgreichen Kurs stabilen Geldes entscheidende Elemente:

– die Unabhängigkeit der Notenbank von politischem Einfluss

– das Mandat: Vorrang für Preisstabilität

– das Verbot der monetären Finanzierung öffentlicher Schulden

Damit war die institutionelle Grundlage für einen stabilen Euro geschaffen.

Die zweite Säule, solide öffentliche Finanzen, sollte insbesondere durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt garantiert werden. Dieser Pakt sah kurz gesagt vor, dass die Einhaltung der finanzpolitischen Kriterien von 60 Prozent der Schuldenquote und 3 Prozent des Defizits im öffentlichen Haushalt der einzelnen Mitgliedsstaaten auf europäischer Ebene überwacht und Verstösse mit Sanktionen belegt werden. Das war jedenfalls die Absicht.

 

Das Versagen der europäischen Kontrolle

Wie aber sieht die Praxis aus? Die EZB verfolgte vom Beginn am 1. Januar 1999 an einen klaren Kurs der Geldwertstabilität. Damit war sie auch erfolgreich. Mit einer jahresdurchschnittlichen Preissteigerungsrate von knapp unter 2 Prozent in den ersten zwölf Jahren war der Euro sogar stabiler als die D-Mark während ihrer Existenz von 50 Jahren.

Über die öffentlichen Finanzen lässt sich leider nichts ähnlich Positives berichten. Zwar unternahmen zunächst alle Länder erhebliche Anstrengungen, das 3-Prozent-Kriterium zu erfüllen. Dabei ist allerdings hinzuzufügen, dass die eigentliche Vorgabe des Paktes lautet: ein Land sollte in konjunkturell normalen Zeiten einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen, im Falle einer hohen Staatsverschuldung sogar einen Überschuss. Diese Bedingung wurde von den meisten Ländern nie erfüllt. Das Schuldenquotenkriterium von 60 Prozent wurde von Anfang an von einer ganzen Reihe von Ländern verletzt. Belgien und Italien lagen mit ihrer Verschuldung sogar erheblich über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Versagen der politischen Kontrol-le setzte also schon mit dem Beginn der Währungsunion ein. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt erlitt dann einen fast tödlichen Schlag, als in den Jahren 2002 und 2003 Deutschland und Frankreich (sowie Italien) die Vorgaben des Paktes (3-Prozent-Defizit-Kriterium) verletzten und eine politische Mehrheit gegen die Anwendung der Regel organisierten.

In der Folge wurden die Regeln des Paktes aufgeweicht, von einer wirklichen Kon-trolle konnte kaum mehr die Rede sein. Als die neue griechische Regierung im Herbst 2009 verkündete, dass das tatsächliche Defizit im öffentlichen Haushalt nicht, wie bisher angenommen, rund 3 Prozent, sondern fast 13 Prozent betrage (was später noch auf rund 15 Prozent erhöht wurde), traf diese Nachricht die Öffentlichkeit und die Finanzmärkte wie ein Schock. Die Besorgnis um das Ausmass der öffentlichen Verschuldung erreichte bald andere Länder. Die Krise der Europäischen Währungsunion ist seitdem nicht mehr aus den Schlagzeilen verschwunden.

 

Staatsverschuldung in der Währungsunion

Die Finanzmärkte haben auf die Nachrichten über das Ausmass der öffentlichen Verschuldung mit hoher Nervosität und immensen Aufschlägen (spreads) bei den Zinsen für einzelne Länder reagiert. Griechenland, auch Irland und Portugal konnten sich am Kapitalmarkt nicht mehr zu tragbaren Zinsen finanzieren und flüchteten unter den Schutz der verschiedenen Rettungsschirme. Inzwischen hat die Krise auch Spanien und Italien erfasst.

Es ist hier nicht der Ort, auf die Problematik der einzelnen Rettungsmassnahmen einzugehen. Das grundsätzliche Problem liegt in folgendem: in einer Währungsunion wird mit dem gemeinsamen Geld das Währungsrisiko zwischen den Mitgliedsstaaten beseitigt – und damit ein wichtiges Element wirtschaftlicher Unsicherheit. Gleichzeitig entfällt dadurch aber auch ein Indikator, der bei nationalen Währungen auf unsolides Finanzgebaren der öffentlichen Hand reagiert und mit steigenden Zinsen Druck auf die Haushaltspolitik erzeugt. In der Währungsunion konnten sich dagegen alle Mitgliedsländer lange Zeit historisch gesehen aussergewöhnlich niedriger Zinsen erfreuen. Die anhaltende Konvergenz der nominalen Zinsen der Mitgliedsländer der Währungsunion verdeckte somit lange Zeit die mangelnde Fiskaldisziplin in einer Reihe von Ländern, bis schliesslich in der Krise die Wirklichkeit sichtbar wurde. Die Krise der Währungsunion ist zweifellos auch auf andere Ursachen zurückzuführen, wie bei-spiels-weise den Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit einer Reihe von Ländern infolge stark divergierender Entwicklungen der Lohnstückkosten. Dessen ungeachtet spiegelt sich das grundsätzliche Dilemma vor allem in der Schuldenpolitik wider.

 

Das grundsätzliche Problem

Ich komme zum Wesentlichen. Die Europäische Währungsunion ist ein Verbund souveräner Staaten mit einer gemeinsamen Währung. Die Kontrolle über Steuern und Ausgaben ist in einer Demokratie ein wichtiges, wenn nicht das entscheidende Vorrecht des Parlaments, hier also der nationalen Parlamente. Angesichts der jüngsten Entwicklungen ist die Gefahr, dass über eine Ausweitung der Rettungsfonds in Volumen und Aktivitäten dieses Vorrecht zunehmend ausgehöhlt wird, durchaus real.

Die Ausgabe von sogenannten Eurobonds, also Anleihen, für die alle Mitgliedsstaaten gemeinsam haften, würde diesen Souveränitätsverlust gar endgültig bestätigen. Länder mit bisher (relativ) solider Finanzpolitik würden mit steigenden Zinsen für ihre Anleihen bestraft, andere Länder – und zwar umso stärker, je mehr sie vorher sich verschuldet haben – würden mit stark fallenden Zinsen belohnt. Damit würden nicht nur erhebliche Fehlanreize (moral hazard) geschaffen, sondern wegen des demokratisch nicht legitimierten Transfers von Geld der Steuerzahler die Grundlagen der Währungsunion unterminiert und auf Dauer zerstört. Die Politik täte deshalb gut daran, sich an eine Parole des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges zu erinnern: no taxation without representation (keine Besteuerung ohne Vertretung). Eine Vergemeinschaftung der Schulden auf EU-Ebene löst das Problem nicht – im Gegenteil: sie perpetuiert es bloss.

Die Europäische Währungsunion muss deshalb einen Weg finden, die beiden Pfeiler nachhaltiger Politik zu erhalten bzw. zu stärken. Die EZB wird ihren Kurs der Geldwertstabilität fortsetzen. Sie darf nicht der Versuchung unterliegen, das Versagen der Finanzpolitik als eine Art «Ersatzfiskus» zu kompensieren. Die Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist dringend geboten. Hier wurde in der Vergangenheit viel Kapital verspielt. Darauf vertrauen, dass zum Beispiel ein Fall wie 2002/03 damit vermieden werden kann, sollte man realistischerweise dennoch nicht. Kontrolle durch die Finanzmärkte ist eine unentbehrliche Ergänzung.

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