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Die ersten Menschen von Kryptopia
Didi Taihuttu, zvg.

Die ersten Menschen
von Kryptopia

Wie ich eines Tages mein Hab und Gut verkaufte, um mit meiner Familie an exotischen Orten von Bitcoin zu leben.

 

Read the English version here.

Vielleicht ist Mittwoch, der 13. November 2002, ein guter Einstieg. Ich war damals 24 Jahre alt, und wir assen wie immer zu Abend bei meinen Eltern. Es war ein schöner Abend, an dessen Ende ich mich wie üblich verabschiedete: «Tschüss, Mama, bis morgen.»

Es waren meine letzten Worte an meine Mutter, die in dieser Nacht in ein Koma fiel. Ihr Herz versagte nach sieben Tagen seinen Dienst. Sie war ganz gesund gewesen, erlitt aber dennoch einen Infarkt, fiel und wachte nicht wieder auf. Es war schrecklich. Ich wusste nicht, wie ich mit den Emotionen umgehen sollte, und so wurde ich zum Workaholic und gründete mein erstes Unternehmen, aus dem im Laufe von zwölf Jahren drei Firmen mit mehr als 20 Angestellten wurden.

In dieser Zeit lernte ich Bitcoin kennen, und weil mich der revolutionäre Geist und die potentielle Gewinnspanne anzogen, begann ich 2013 mit ein paar Freunden, Coins zu schürfen. Dazu räumten wir ein Büro in meinem 1700 m² grossen Bürogebäude leer, legten uns Motherboards zu und bauten Mining-Einrichtungen. Ich war damals ein materialistischer Kerl und wollte so schnell wie möglich Millionär werden. Im Dezember 2014 war ich gerade unterwegs mit meinem Jeep Cherokee, als mich mein Vater anrief. Damals schwebte ich noch auf Wolke sieben, denn ich besass alle Reichtümer, die ich mir immer erträumt hatte. «Setz dich erst mal», sagte er, «ich muss dir etwas sagen.» – «Ich sitze, im Auto, was ist denn?» Er antwortete, er sei gerade im Krankenhaus gewesen. Er habe Krebs und noch etwa ein Jahr zu leben. Ich beschloss, so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen, er war mein Held, ein ehemaliger Fussballer und jetzt Profitrainer. Ich stellte Manager für meine Unternehmen an und zog mit meiner Familie ins Souterrain seines Hauses, wo ich mich fortan um ihn und meine Familie kümmerte.

Wir schauten Fussball, verbrachten Ostern zusammen, fuhren in den Urlaub und feierten Weihnachten zum letzten Mal gemeinsam. Im Januar 2016 starb er, mit meinem Bruder, meiner Schwester, seiner Freundin und mir an seiner Seite. Meine Welt fiel in sich zusammen, aber ich musste stark bleiben, denn das Begräbnis, das Erbe und alles andere wollten organisiert sein. Einen Monat nach seiner Beerdigung stellte ich einen Benefizmatch zwischen einem All-Star-Team seines langjährigen Klubs VVV-Venlo und dem FC Maluku (seinem Heimatverein) auf die Beine. All dies erschöpfte mich restlos, und ich wurde von einem Burn-out heimgesucht, den ich vor allen versteckt hielt. Es wurde aber immer schlimmer, und schliesslich schlug ich meiner Frau vor, auf eine tropische Insel zu reisen, damit ich mich geistig und körperlich erholen konnte.

Was ist das alles wert?

Wir buchten einen Flug nach Thailand und planten einen dreimonatigen Trip. In dieser Zeit fand ich mich selbst wieder, schaute auf mein Leben und entschied, dass es nicht das Leben war, das ich leben sollte. Ich musste mich auf meine Familie konzentrieren und Zeit mit meinen Kindern verbringen, etwas, das ich in all den Jahren als Workaholic nicht getan hatte. Als drei Monate um waren, entschieden wir, unseren Trip zu verlängern. Meine Frau und ich fühlten uns als reisende Familie mit nur drei Rucksäcken und ohne jegliche Luxusgüter vollkommen glücklich, es fehlte uns an nichts. Insgesamt waren wir sieben Monate unterwegs, und meine Energie war bereits nach einem Monat wieder da, weil ich wusste, dass ich nun die richtigen Dinge im Leben im Blick hatte.

Als wir im Jahre 2017 gerade auf Bali waren, rief mich ein Freund an, um mich zu fragen, ob ich die Dogecoins und Bitcoins noch besässe, die wir damals in 2013 gemeinsam geschürft hatten. Ich sagte: «Ja, irgendwo sind sie wohl noch, aber ich bin gerade am Strand, betrachte den Sonnenuntergang und meine Kinder bauen Sandburgen, während ich an meinem Lieblingsdrink nuckle. Warum fragst du?» Er antwortete: «Didi, das ganze Ding explodiert gerade, die Coins steigen im Wert, die Community wächst und wächst.» Am Abend rief ich meine Schwester an und bat sie, meinen Laptop in den Niederlanden zu checken, um zu sehen, ob da noch Dogecoins in meinem Wallet seien. «Ja, ein paar Millionen», antwortete sie.

Der erste Schritt war getan. Ich musste nun noch die Person anrufen, die meinen Safe mit meinem Paper Wallet verwaltete. Und ja, es waren noch ein paar Bitcoins darauf. Mit allen Coins zusammen hätten wir die Reisekosten der letzten sieben Monate locker begleichen können. Ich checkte die entsprechenden Foren, und tatsächlich schienen dort alle sehr aufgekratzt und euphorisch zu sein.

Ich fühlte sofort eine Flamme in mir und begriff, dass der Umbruch im Geldsystem begonnen hatte. Genau das hatte ich gebraucht: ein neues Abenteuer, das die Lücke füllte, die ich geschaffen hatte, als ich mein altes Leben aufgegeben und meine Firmen verkauft hatte. Am nächsten Tag fragte ich meine Frau am Strand bei Sonnenuntergang: «Was wäre, wenn wir weiter so nomadisch lebten? Lass uns nach Hause fliegen, all unseren Besitz verkaufen, zu digitalen Nomaden werden und die Welt mit den Kindern entdecken!» Sie nickte, sagte ja, und ich konnte in ihren Augen sehen, dass ihr die Vorstellung gefiel. Schliesslich hatten wir oft darüber gesprochen, unseren Kindern ein Vorbild zu sein und ihnen zu zeigen, was im Leben wirklich wichtig war. Nicht Reichtum zu sammeln, sondern Glück.

Wir gehen «all-in»

Aber ich musste ihr noch den letzten Schritt erläutern, den ich zu gehen beabsichtigte. Um mir Mut zu machen, füllte ich unsere Gläser: «Weisst du, wenn wir alles verkaufen, haben wir eine schöne Stange Geld, das wir zum Reisen nutzen können. Aber was ist, wenn wir all dieses Geld in Bitcoin investieren? Ich bin überzeugt, dass Bitcoin die nächste Stufe in der Evolution des Geldes ist, und fühle, dass ich Teil dieser Revolution sein muss.» Sie schaute mich an, wie sie es immer tat, wenn ich ihr mit verrückten Ideen kam: «Didi, versteh mich nicht falsch, aber ich weiss, dass du sehr an deinen Sachen hängst, und du möchtest wirklich dein Cherokee-Cabriolet aufgeben? Das wirst du nie tun.» Sie musste lachen, aber ich blieb ernst und sagte: «Doch, werde ich. Wir wissen jetzt, dass all der Reichtum uns nicht glücklich gemacht hat und dass alles im Leben sehr schnell gehen kann. Wir wollen doch auch ein Vorbild für unsere Kinder sein, um ihnen zu zeigen, dass Luxusgüter nicht wichtig sind. Lass es uns also tun und mit gutem Beispiel vorangehen.»

Ich inserierte also meine Autos im Internet zum Verkauf und kaufte Bitcoins. Dann flogen wir heim und boten unser Haus zum Verkauf an, ebenfalls gegen Bitcoins. Ein lokaler Fernsehsender bekam Wind davon und wollte uns eine Reportage widmen, weil die Redaktoren nicht verstanden, weshalb wir unser Haus gegen etwas eintauschten, das für sie Schwindel war. Die Sendung wurde von einem grossen nationalen Sender aufgenommen, dann waren wir plötzlich weltweit in den Nachrichten und für alle die Bitcoin-Familie. In den Augen vieler war diese Familie bestenfalls verrückt, tauschte sie doch ein scheinbar perfektes Leben gegen eine sehr ungewisse, unberechenbare Existenz. Das Haus war in zwei Wochen verkauft. Wir machten weiter; für den Erlös all unserer Habe kauften wir Bitcoins. Als Nächstes kamen unsere Ersparnisse, die der Kinder und meine Rentenversicherung dran – jetzt waren wir wirklich all-in. Bitcoin hob ab, ein Bitcoin war nun 20 000 Dollar wert, und wir lebten auf einem Campingplatz. Das «Wall Street Journal» suchte uns auf, um eine Reportage zu machen, bald stand der Sender News Asia auf der Matte, viele weitere folgten, und die Bitcoin-Familie war nun überall bekannt.

Es ist nicht alles rosig in der Kryptowelt

Kurze Zeit später rief mich Arte an, um zu fragen, ob sie in Thailand eine Doku über uns drehen können. Ich besprach es mit meiner Frau, da wir Ruhe nötig hatten, aber wir waren uns beide bewusst, dass es nun kein Halten mehr gab. Eine Woche später traf das Fernsehteam ein und drehte eine tolle Doku, die bald zur meistgesehenen in der Geschichte des Senders avancierte. Seitdem bereisen wir die Welt und setzen uns in Vollzeit für Bitcoin, Blockchain und viele andere Kryptowährungen ein. Ich habe ein Buch geschrieben, das nun vom Niederländischen ins Deutsche und bald auch ins Englische übersetzt wird. Ich schreibe bereits an einem zweiten, bin ein gefragter Redner bei Blockchain- und Krypto-Events sowie Meet-ups, werde aber auch zu Motivationsveranstaltungen eingeladen. Ich bin als Botschafter und Berater für viele Start-ups der Branche tätig, und wir unterstützen auch andere Projekte, die dazu beitragen, Industriezweige zu dezentralisieren, die dezentralisiert werden müssen.

Da Krypto-Debitkarten und solche Dinge damals noch nicht existierten, waren die ersten zweieinhalb Jahre für uns nicht einfach. Wir mussten stets Geschäfte finden, die Bitcoin akzeptierten, oder sogenannte Lokalbitcoins einsetzen, um an Bargeld zu kommen. Meist suchen wir gezielt nach Geschäften und Restaurants, die Kryptogeld direkt annehmen. In anderen Situationen versuchen wir es mit kreativen Lösungen wie dem Kauf von Online-Gutscheinen, die wir dann in Geschäften einlösen, oder wir bestellen Lebensmittel im Internet und zahlen mit Bitcoin. Ich habe sogar manchmal Bitcoins an Freunde und Familie verkauft, um Lebensmittel einkaufen zu können. Auch wir benötigen also manchmal Bargeld, aber für uns geht es in erster Linie darum, das Bankensystem zu umgehen, deshalb geht Bargeld in Ordnung, zumal wir natürlich verstehen, dass noch nicht jeder auf der Welt das ungeheure Potenzial von Bitcoin realisiert hat.

Mir ist klar, dass man Menschen nicht einfach zu Bitcoin zwingen kann, denn Zwang ist ein schlechtes Überzeugungsmittel. Alles wird einen natürlichen Verlauf nehmen, wenn die Weltökonomie allmählich kollabiert und die Menschen sich nach mehr Datenschutz sehnen. Ich denke, die Entwicklung wird in folgenden Schritten vor sich gehen:

Erstens: Staaten rufen zentralisierte Formen von Kryptowährungen wie CBDC oder den Digitalen Yuan ins Leben. Zweitens: Staaten machen die Welt bargeldlos. Drittens: Alle Erdenbürger werden nur noch digitale Zahlungsformen verwenden und begreifen, dass sie ihre Anonymität durch die Nutzung dieser zentralisierten Kryptowährungen völlig verloren haben. Viertens: Die Menschen werden sich nach privatsphärefreundlichen und dezentralisierten Währungen umsehen und sich gegen die staatlich verordnete zentralisierte Kryptowährung wenden. Fünftens: Sie verstehen nun das Potenzial von Bitcoin, DASH, XMR, LTC und allen anderen Kryptowährungen, die ihnen die Anonymität bieten, die sie vom Bargeld gewöhnt waren.

Ja, es wird eine Weile dauern, aber jede grosse Veränderung in der Welt braucht ihre Zeit.

Sie können sich sicher vorstellen, dass ein Leben, wie wir es führen, nicht immer leicht ist und auch zu Frust und Diskussionen in der Familie führen kann, etwa als wir an der türkischen Grenze festsassen, weil wir unsere Visa vergessen hatten. Die Debitkarten funktionierten nicht, und wir mussten irgendwie für die Visa zahlen. Glauben Sie mir, das sind Situationen, in denen es im Auto ganz schön laut werden kann! Mehr als einmal standen wir mit einem vollen Einkaufswagen an der Kasse, und dann funktionierte die Debitkarte nicht. Das kann frustrierend sein, aber wir versuchen immer, das Komische darin zu sehen und darüber zu lachen.

Weniger ist mehr

Wir messen Geld keine grosse Bedeutung mehr bei und schauen nicht allzu weit in die Zukunft, sondern auf das Hier und Heute. Wir wissen, dass wir für unsere Lebenshaltungskosten ca. 2800 Euro im Monat benötigen, nicht mehr. Ich glaube fest daran, dass Bitcoin in Zukunft einen Kurs von mehr als 100 000 Euro erreichen wird. Auch wenn wir in zwei Jahren nur noch drei Bitcoins übrighaben sollten, hätten wir unseren Kapitaleinsatz also wieder hereingeholt und vier bis fünf Jahre schön gelebt. Und so schwören wir also dem Materialismus ab und vertrauen ganz in Bitcoin. Unser jetziges Leben ist sowohl finanziell als auch emotional wie eine Achterbahnfahrt mit Höhen und Tiefen und vermutlich bald auch einigen Loopings. Für mich ist dies eine Revolution, die den Menschen in allen Lebensbereichen, nicht nur in finanzieller Hinsicht, wieder volle Selbstbestimmung schenkt.

Ich glaube, dass es bald keine Rolle mehr spielt, in welchem Teil der Erde du geboren bist, und alle gleiche Chancen im Leben haben, weil sie dann über die Werkzeuge verfügen, ohne Bankkonto auf das Geldsystem zuzugreifen. Kryptowährungen sind der nächste Schritt in der Evolution des Geldes und werden all jenen gerechtere Chancen einräumen, die bisher keine hatten. Gleichzeitig wird diese grossartige technologische Entwicklung, die wir Blockchain nennen, die heutige komplexe Welt in eine dezentralisiertere verwandeln, in der Interessen von Drittparteien verschwinden und die Menschen untereinander vertrauensvoll Handel treiben können. Ich weiss, dass sich das heute noch verrückt anhört und man mich als Träumer abstempeln wird, aber das Leben hat mich gelehrt, dass man besser seinen Gefühlen und Träumen ins Ungewisse folgt, als ein Leben in Angst zu führen, denn Angst wird all unsere Träume abtöten.

Im Moment sind wir weiterhin als reisende Familie unterwegs, ich bleibe als Trader aktiv, habe aber auch zu bloggen begonnen und einen Vlog auf YouTube gestartet. So kann ich ein grosses Pu­blikum erreichen und gleichzeitig kreativ sein. Ich mache nun eine tägliche Show, mein Kanal wächst und wächst, und den Umsatz, den ich so erziele, spenden wir Wohltätigkeitsorganisationen und armen Menschen, denen wir auf unseren Reisen begegnen. Daneben baue und unterstütze ich zwei Projekte – houseofdao.io aus Thailand und blockchainvalley.com aus Bulgarien –, die Blockchain-Co-Working-Spaces und Blockchain-Lebensorte schaffen, um die positive Wirkung, die wir als Community auf die Welt haben können, zu maximieren. Denn am Ende geht es ums wahre Leben, wie ich immer am Ende meiner Videos sage:

«You need to zoom out of Bitcoin and zoom in at life.»

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