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Die Eliten wollen mehr Macht

Europhile Schweizer und helvetophile Europäer: Gedanken eines ehemaligen Beamten

In der Einfachheit liegt die Kraft. Ich möchte deshalb zwei einfache Fragen aufwerfen. Die Antworten werden dann aber notgedrungen weniger einfach ausfallen.

Erstens. Warum ist die Anziehungskraft der Europäischen Union (EU) in Brüssel so gross, dass sie in der Schweiz Staatsleute, Regierungsbeamte und Diplomaten die Interessen unseres Landes vernachlässigen, ja sogar vergessen lässt?

Zweitens. Warum gibt es immer mehr EU-Bürger, die sich in der Schweiz niederlassen wollen? Gemäss dem schweizerischen Migrationsbericht lebten 2009 in unserem Land 1,68 Millionen Ausländer als Niedergelassene (Kurz-aufenthalter, Asylanten und Touristen nicht mitgerechnet), von denen 1 Million aus dem EU-Raum stammen.

Wo es zu Machtballungen kommt, dahin zieht es vor allem die Regierenden, Verhandelnden und Verwaltenden eines Landes. Ihr Machtinstinkt sagt ihnen, dass es in einem weder rechtlich noch politisch stabilisierten hybriden Gebilde wie der EU einiges für sie zu holen gibt: Ansehen, Macht und Geld. Wenn sie nach getanem Dienst in ihr Land heimkehren, sind sie zumeist geachtete Personen mit grossem Karrierepotential.

Das gilt für Diplomaten und Beamte auf allen Hierarchiestufen. Die ihre Karrieren fördernden Mechanismen ergeben sich aus der multilateralen Zusammenarbeit. Sie wurde als Folge des Marshallplans in Europa sukzessive ausgebaut (OECD, Europäische Gemeinschaften, Efta, bis hin zur heutigen EU). Die multilaterale Zusammenarbeit besteht im wesentlichen aus intensiver Gruppenarbeit. Im Gegensatz zum Geben und Nehmen der bilateralen Verhandlung geht es hier darum, die verschiedensten Interessen miteinander zu vereinbaren und den gemeinsamen Nenner zu finden.

Dies allein ist für jeden Diplomaten schon eine bereichernde Erfahrung. Hinzu kommen der vielfache Kontakt mit Vertretern anderer Länder, das Überwinden politischer Widerstände und das geschickte Bilden von Partnerschaften und Koalitionen. Die meisten, die mit solchen Verhandlungsmethoden in Berührung kamen, wurden zu Spezialisten internationaler Beziehungen. Nach ihrer Rückkehr machten sie in der Verwaltung, oft aber auch in der Privatwirtschaft eine steile Karriere – bis hin zum Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) oder im Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVD), zum Präsidenten der Nationalbank, zum IKRK-Präsidenten, zum Präsidenten der UNO-Vollversammlung oder neuerdings gar zum Generaldirektor des schweizerischen Fernsehens. Ich spreche da übrigens aus eigener Erfahrung (siehe Personenbeschrieb).

Die Aussicht auf Karriere und Ansehen ist ein guter Grund für die in der Schweizer Elite weitverbreitete Europhilie. Doch gibt es auch in der Schweiz EU-Idealisten, die sich nicht vom Machtzuwachs in Brüssel, sondern von der Idee eines geeinten Europa leiten lassen. Dabei werden sie aber oft von ihren hehren Idealen geblendet. Sie halten stur an ihrem Traum von einem wirklich demokratisch aufgebauten und von den Völkern beschlossenen Europa nach Schweizer Vorbild fest. Sie wollen an der Verwirklichung einer grossen Idee mitwirken. Dass die EU daran ist, die grossen Ideale aufgrund interner politischer und wirtschaftlicher Widersprüche zu verraten, blenden sie aus. Die Idee ist wichtiger als die Wirklichkeit.

Damit soll nichts gegen den frühen Idealismus der EU-Gründerväter gesagt sein. Die Grundlagen der heutigen EU wurden durch das Engagement von Leuten geschaffen, die davon überzeugt waren, dass es mit den Jahren gelingen würde, ein geeintes Europa aufzubauen. Leider wählten sie die rasche Methode der Supranationalität, also den Aufbau von oben nach unten. Die Einigung von unten nach oben, also durch eine immer engere Zusammenarbeit der Völker auf demokratischem Weg heranreifen zu lassen, hätte zwar mehr Zeit gebraucht. Aber es wäre die zukunftsträchtige Variante gewesen. Im nachhinein ist man immer klüger.

Neben dem Machtstreben und dem Idealismus gibt es noch einen weiteren Grund für die Europhilie unserer angeblichen Eliten – der Verlust an Selbstbewusstsein. Das Selbstbewusstsein der Schweizer Entscheidungsträger ist in den letzten 15 Jahren nachhaltig untergraben worden – durch Ereignisse wie die Nazigoldgeschichten, die Kritik am Verhalten gegenüber den jüdischen Flüchtlingen im letzten Krieg, den zögernden Beitritt zur UNO, den Absturz der Swissair und die ständigen Angriffe auf unser Bankgeheimnis und die heute von unseren Grossbanken mitverschuldete Finanzkrise.

Der Verlust des Selbstbewusstseins begann freilich schon viel früher. Einer der oft zu wenig beachteten Hauptgründe war der Zusammenbruch der Europäischen Freihandels-assoziation (Efta), zu deren Gründungsmitgliedern die Schweiz im Jahre 1960 gehörte. Die Zeichen standen bereits im Frühjahr 1961 auf Sturm. Damals wurde uns im Efta-Rat in Genf durch den Präsidenten Sir Edgar Cohen im Auftrag des britischen Premierministers mitgeteilt, dass sein Land trotz aller gemeinsamen und erfolgreichen Arbeit in der Efta um den Beitritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nachsuchen werde. Und genau so kam es auch.

Die Briten wurden zwar zuerst mit einem Nein von Charles de Gaulle konfrontiert. Mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit gelang es der britischen Regierung dann aber, den EU-Beitritt zu erkämpfen – zusammen mit Irland und Dänemark. 1986 folgte Portugal, einer der treuesten Partner der Schweiz in der Efta. Nach der Wiedervereinigung der beiden Deutschland 1990 und dem Umbau der EWG in die Europäische Gemeinschaft (EG) mit den Verträgen von Maastricht 1992, Schengen 1995 und Amsterdam 1997 verliessen auch Österreich, Finnland und Schweden die Efta. Bloss Norwegen und Liechtenstein harrten zusammen mit der Schweiz aus – ein harter Schlag für unser Land, das plötzlich isoliert dastand.

Mit der Marginalisierung der Efta ging die neutrale Schweiz der wichtigen Rolle verlustig, die sie in einer solchen Atlantischen Freihandelszone hätte spielen können. Das Selbstvertrauen der Schweiz bei europäischen Integrationsfragen ist seither auf einem Tiefpunkt.

Das kam 1992 beim Nein der Schweizer Stimmbürger zum EWR nochmals klar zum Ausdruck. Ein Nein war vom Standpunkt der Unabhängigkeit unseres Landes konsequent. Denn die EG lehnte den Vorschlag des schweizerischen Chefunterhändlers Franz Blankart ab, die Schweiz könne von Fall zu Fall bei den unsere Verfassungsordnung verletzenden Regeln der EU in den Ausstand treten (das berühmte Opting-out). Danach wurde von den Herren in Bern der damals vorhandene Bestand an EU-Recht (etwa 16’000 Vorschriften, heute mit einem Faktor 10 zu multiplizieren) – in klar verfassungswidriger Art und Weise – als Swisslex übernommen, und Bundesrat Joseph Deiss richtete ein Büro ein, das alle schweizerischen Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit EU-Recht zu überprüfen hatte. Damit ging all denen, die an eine demokratische Schweiz und an ein nicht supranationales Europa glaubten, buchstäblich die Puste aus. Viele haben damals den Glauben an ein demokratisches Europa definitiv begraben.

Das Abseitsstehen hat der Schweiz nicht geschadet – im Gegenteil. Dennoch begann in unserer angeblichen Elite – anders als im Volk – eine Angst vor dem Alleingang in einer von wirtschaftlichen Konkurrenzkämpfen, Krisen und Naturkatastrophen zerrütteten Welt um sich zu greifen. Unsere obersten Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft verfielen in eine Panik, die an den Schrei im gleichnamigen Bild von Edvard Munch erinnert. Sogar Ruth Dreifuss, die von vielen wegen ihrem Mut bewunderte Bundesrätin, ist bereits 1992 nach dem EWR-Nein von dieser Panik erfasst worden und verlangte den raschen Beitritt zur EU, spätestens bis 2002!

Das damals vom Bundesrat eingereichte und heute immer noch gültige Beitrittsgesuch ist ein Zeichen dieser Panikstimmung, wie sie heute auch aus dem Europa-Manifest des Club Helvétique zu uns spricht. Da heisst es zum Beispiel: «Unsere Willensnation gehört in die europäische Willensnation.» Von welcher Willensäusserung ist da die Rede, sind doch weder der neue Grundvertrag von Lissabon, noch alle anderen rechtlichen Grundlagen in den einzelnen EU-Ländern dem Volk zur Genehmigung vorgelegt worden. Nur nebenbei bemerkt: eine Volksbefragung steht gemäss den EU-Gründervätern Schumann und Monnet im Widerspruch zur supranationalen Methode.

Die Verfasser des Manifests schreiben weiter: «Die Verweigerung gegenüber der Europafrage schwächt unsere Demokratie, unser Land und unsere Identität.» Oder: «Der Bilateralismus ist bald am Ende: Die Schweiz wird zum EU-Mitglied ohne Stimmrecht.» Das stimmt, und gerade deshalb gehört ein freies, unabhängiges Land nicht in die EU. Den Europhilen sei empfohlen, die Illusionen des Club Helvétique im Lichte der jüngsten Ereignisse näher zu analysieren. Zum Beispiel in bezug auf das diktatorische Vorgehen der EU-Spitzen gegenüber Polen, Irland, Island, um die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon zu erzwingen, und neuerdings in Finanz- und Steuerangelegenheiten gegenüber Griechenland, Portugal, Spanien, Rumänien.

Staatsleute wie Nicolas Sarkozy und Angela Merkel profilieren sich auf EU-Ebene, um ihre Stellung in der Welt und zu Hause aufzupolieren. Darüber hinaus haben sie ein bemerkenswertes Geschick darin entwickelt, die EU und deren immensen Verwaltungsapparat für die Förderung der Interessen ihres eigenen Landes zu nutzen. Dasselbe tun auch die Vertreter kleinerer EU-Staaten, nur eben mit weniger Erfolg. Dasselbe gilt für die Tausenden von Angestellten der EU, für die Horden von Diplomaten, Anwälten, Experten und Lobbyisten. Zur Zeit soll es – so genau weiss das niemand – in Brüssel allein über 2’600 ständig operierende einflussreiche Organisationen und über 15’000 professionelle Lobbyisten geben. Sie arbeiten zu fast 70 Prozent für die Industrie in und ausserhalb der EU und zu 20 Prozent für Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus der ganzen Welt.

Die auf 27 Mitglieder angewachsene EU wird heute von einer kleinen Kerngruppe unter der Führung der wirtschaftlichen Kolosse Deutschland und Frankreich als ein nach aussen einheitlich wirkendes Gebilde zusammengehalten. Dies mit einem äusserst harten Regime, einem riesigen Verwaltungsapparat und einer fast 80 Prozent erreichenden direkten Rechtssetzungskompetenz in den Mitgliedstaaten.

Wie hart und gefährlich dieses supranationale Regime der EU sein kann, zeigt das Vorgehen des Tandems Merkel/Sarkozy im Falle Griechenlands. So müssen all jene Mitgliedstaaten, die durch Verschwendung, wirtschaftliches Versagen und Korruption in ein riesiges staatliches Schuldenloch gefallen sind und denen mit verfassungswidrigen Krediten geholfen wird, ihre staatlichen Budgets in Brüssel zur Genehmigung durch eine besondere EU-Kommission vorlegen. Der Zentralisierungsgrad nimmt weiter zu, die Bürger der EU-Staaten bezahlen die Rechnung. Der Verschuldungsgrad in fast allen EU-Staaten hat beängstigende Dimensionen angenommen. Die Sozialwerke sind auf unsicherem Grund gebaut. Die Warenumsatzsteuer in der Höhe von mehr als 20 Prozent zwingt die EU-Bürger zu einem spürbaren finanziellen Aderlass. Ganz zu schweigen davon, dass dieselben Bürger von einer zunehmenden politischen Ohnmacht erfasst werden, weil sie zu den Entscheidungen in Brüssel und Strassburg noch weniger zu sagen haben als zur Politik in ihrem Heimatstaat.

Kein Wunder also, dass so neben den europhilen Schweizern der Clan der helvetophilen Europäer entstanden ist und ständig wächst. Nicht nur Arme und Arbeitslose, sondern vor allem Hochqualifizierte und Reiche suchen nach einem sicheren Ort ausserhalb der EU, wo sich Leistung noch lohnt. Jene, die noch an ihrer europäischen Heimat hängen, versuchen ihr Glück in etwas solideren und unabhängiger gebliebenen EU-Ländern (wie England, Irland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Österreich, Liechtenstein oder Luxemburg) – jene, die auch letzte Reste von Nostalgie abgelegt haben, kommen in die noch einigermassen unabhängige Schweiz oder reisen nach Übersee aus.

Für die gutsituierten Leute des Mittelstands aus dem Ausland ist die Schweiz ein kleiner Bundesstaat ausserhalb der EU, der weltweit immer noch über ein viel grösseres Vertrauenspotential verfügt, als viele Schweizer das wahrhaben wollen. Ein Staat, der nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial, im Gesundheitswesen, Naturschutz, in der Arbeitswelt, in Sicherheitsbelangen, in der Innovationsbereitschaft, in Steuerfragen Augenmass bewahrt hat. Sie treffen hier auf Menschen, die zwar oft als grob und ungehobelt bezeichnet werden, die aber in ihrer Mehrheit ehrlich, hilfsbereit und besonders in ihrer Arbeit zuverlässig sind. Offensichtlich haben diese Menschen, eng verbunden mit ihrer harten Vergangenheit und wie jeder Bergler mit einem von der hohen Warte ihrer Alpen sehr offenen Blick für die Zukunft, Mittel gefunden, um mit den Problemen unserer Zeit besser fertig zu werden als die meisten EU-Länder.

Was bei den ausländischen Helvetophilen auffällt, ist, dass sie nicht nur für materielle Vorteile bei uns leben wollen, sondern vor allem für die bessere Lebensqualität und aussichtsreichere berufliche Chancen. Viele bewerben sich rasch um das schweizerische Bürgerrecht, weil sie bei uns etwas finden, das sie bei sich zu Hause in der EU vergeblich suchen: ein Land, in dem der Staat für den Bürger da ist und nicht der Bürger für den Staat; ein Land, in dem die oberste Gewalt vom Volk, also von allen mündigen Bürgern ausgeübt wird; ein Land, in dem weder Herkunft, Rasse noch Religion und Sprache massgebend sind, sondern nur das Bekenntnis zu dem, was uns zu Schweizern macht, nämlich die direkte Demokratie eines unabhängigen, der humanitären und wehrfähigen Neutralität und Friedensstiftung verpflichteten Bundesstaats.

Aber auch die Schweiz ist nicht die Insel der Seligen. Wollen wir weiterhin attraktiv für andere und unabhängig für uns bleiben, sollten wir uns Gedanken über folgende Vorschläge machen: Abbau der übertrieben angewachsenen wirtschaftlichen Abhängigkeit von der EU; Befreiung unserer Rechtsordnung von all dem fremden Recht, insbesondere dem Berg des autonom übernommenen EU-Rechts; Aufwertung der verfassungsmässigen Rechte der Stimmbürger, Einführung des obligatorischen Referendums für alle wichtigen Gesetze und die Übernahme fremden Rechts; Wiederaufbau unserer Milizarmee und bessere Überwachung der wegen Schengen stark angewachsenen illegalen Einwanderung; Schluss mit dem Parteiengeplänkel und dem Gerangel um und in unserem Bundesrat, der durch ein neues Wahlprozedere von der im Widerspruch mit der Gewaltentrennung stehenden Beherrschung durch das Parlament zu befreien wäre.

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