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Die Eliten wollen das Internet zähmen

Hinter dem Kampf gegen «Desinformation» und «Hate Speech» steht die Sehnsucht, die Informationshoheit zurückzugewinnen. Doch Vertrauen lässt sich weder herbeiregulieren noch herbeiklagen.

Die Eliten wollen das Internet zähmen
Im Internet kursieren nicht nur korrekte Informationen, sondern auch allerlei Absurditäten (wie dieses populäre Meme).

Barack Obama bezeichnete das Internet vor einigen Jahren als «grösste Bedrohung für unsere Demokratie». Der frühere US-Präsident ist nicht der Einzige, der so denkt. Jene, die an den Schalthebeln der Macht, auf Professorenstühlen oder in den Redaktionsstuben traditioneller Medien sitzen, blicken meist argwöhnisch bis verängstigt auf die digitalen Medien. Wie angenehm war es doch, als sie noch das Sagen darüber hatten, welche Informationen die Bürger erhielten, was als wahr und richtig galt!

Die Welt des 21. Jahrhunderts ist eine andere. Auf Social Media herrscht ein Wirrwarr von Stimmen; zu Wort kommen nicht nur renommierte Autoritätsträger, sondern auch Populisten, Extremisten oder Verschwörungstheoretiker. Für die Eliten ist das verständlicherweise ein Horrorszenario. Sie versuchen deshalb mit allen Mitteln, die neue Medienwelt in die Schranken zu weisen und die alten Kräfteverhältnisse wiederherzustellen.

Der allenthalben beschworene Kampf gegen «Desinformation», «Fake News» und «Hate Speech» ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Indem man die Welt in legitime Informationsvermittler und toxische Lügenschleudern unterteilt, schafft man eine Hierarchie der Glaub- und Vertrauenswürdigkeit – selbstredend mit einem selbst an der Spitze.

  • Mit einer wachsenden Zahl von Gesetzen kriminalisieren Behörden rund um den Globus Meinungsäusserungen im Netz. Kürzlich wurde der Komiker Graham Linehan bei der Einreise nach Grossbritannien festgenommen – wegen eines angeblich transphoben Tweets. Einem Rentner in Deutschland wurde ein Witz über den damaligen Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Verhängnis.
  • Aus Sicht der Obrigkeit sind solche Aktionen aber nur erste kleine Schritte. Statt einzelner Äusserungen wollen sie den Informationsfluss auf Plattformen als Ganzes kontrollieren. Unter dem Digital Services Act der EU müssen Tech-Konzerne illegale Inhalte entfernen und Risiken durch «schädliche Informationen» begrenzen. Die Schweizer Behörden haben die Lunte gerochen: An einer Podiumsdiskussion an der Universität Zürich bezeichnete ein Vertreter des Bundesamts für Kommunikation im April die Bestrebungen der EU als «Window of Opportunity» und erklärte: «Ohne die EU würden wir in der Schweiz nicht einmal über Plattformregulierung reden.» Der Bund will diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen: Vorschläge für neue Regeln (die sich natürlich an der EU orientieren) hat der Bundesrat bereits angekündigt.
  • Als bereitwillige Helferin dient den Behörden eine eigentliche Industrie von Organisationen, die sich den Kampf gegen «Desinformation» und «Hate Speech» auf die Fahne geschrieben haben, etwa Algorithmwatch, Netzcourage oder die Public Discourse Foundation. Diese erhalten finanzielle Unterstützung von der öffentlichen Hand. So erhielt die Public Discourse Foundation, die von der ETH mitgegründet wurde, vergangenes Jahr nach eigenen Angaben 115 000 Franken von der öffentlichen Hand. Algorithmwatch bekommt 360 000 Franken vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation für ihre Beteiligung an einem EU-Forschungsprojekt. Auch Netzcourage erhielt in der Vergangenheit für ihr Hauptprojekt Bundesgelder. Allerdings verwendeten die Mitarbeiter der Organisation offenbar einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitszeit für die privaten Rechtsfälle der Geschäftsführerin Jolanda Spiess-Hegglin – was die Frage aufwirft, ob hier öffentliche Gelder zweckentfremdet wurden.
  • Während «Nichtregierungsorganisationen» vom Staat alimentiert werden, lobbyieren sie gleichzeitig bei demselben Staat für strengere Regulierungen. Womöglich aus nicht ganz uneigennützigen Motiven: In der EU erhielten Nichtregierungsorganisationen dank dem Digital Services Act lukrative Aufträge zur Überwachung der Beiträge auf Social Media. Schweizer NGOs könnten ähnliche Pfründen winken.

Erklärtes Ziel der Regulierungen ist die «Wiederherstellung des Vertrauens» der User und der Bürger. Doch Vertrauen lässt sich weder herbeiregulieren noch herbeiklagen. Wie drückte es Martin Gurri 2021 im Schweizer Monat aus? «Die institutionellen Eliten werden ihre Sehnsucht nach dem 20. Jahrhundert ablegen müssen.»

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