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Die «dynamische» Übernahme der EU-Überregulierung

Mit dem Rahmenabkommen würde sich die Schweiz einen Wust an neuen Vorschriften aufhalsen. Sie bringen Unternehmen mehr Lasten statt Entlastung.

Die «dynamische» Übernahme der EU-Überregulierung
Bild: Freepik/@stockking.

Wenn Ihnen bei COM(2021) 400 nichts einfällt, dann sind Sie entschuldigt. Es sei denn, Sie gehörten zu jenen, die das neue Rahmenabkommen befürworten, noch bevor es bekannt ist. Denn die Nummer zeigt ein Vorhaben der EU an, welches bei einer dynamischen Rechtsübernahme voll auf alle Schweizer Firmen durchschlagen wird – eine «Nullschadstoff»-Wirtschaft.

Die einzelnen Richtlinien dazu sind noch nicht bekannt, sie gehören aber zu einem Wust an neueren Vorschriften, die in den letzten Jahren über alle EU-Firmen verhängt wurden; weitere werden folgen. Würde die bedingungslose Rechtsübernahme beschlossen, gälten sie aber auch für alle Schweizer Firmen. Und das ist der Punkt: Economiesuisse und einige Gerätehersteller – lange nicht alle – wollen wegen ein paar Zertifizierungs- und Zulassungshürden der EU sich dem Binnenmarktrecht voll unterwerfen. Sie sehen aber nicht, dass dieser Wust an invasivem Recht für alle Firmen gilt. Auch für jene, die heute und künftig beschwerdefrei in die EU exportieren, die in die ganze übrige Welt liefern, die nur im Inland geschäften.

Berichterstattung zu 1144 Punkten

Möchten Sie eine «Reparaturrichtlinie»? Ein «Binnenmarktnotfallinstrument» gefällig? Vielleicht eine «Nachhaltigkeitsberichterstattung»? Und dazu die Richtlinie über «transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen»? Alle diese Rechtssätze tragen unverständliche Registernummern, alle müssen herausgesucht werden im Internet und alle haben lange, geschwätzige Einleitungen, dann komplizierte Texte, oft mit Verweisen auf viele frühere, ebenso komplexe Erlasse. Kämpft man sich hindurch, erschrickt man ob der vielen Schüsse in den eigenen Fuss, welche sich diese «Union durch das Recht» neu verpasst hat – eher: ihren Firmen verpasst hat.

«Alle diese Rechtssätze tragen unverständliche Registernummern, alle müssen herausgesucht werden im Internet und alle haben lange,

geschwätzige Einleitungen, dann komplizierte Texte, oft mit Verweisen auf viele frühere, ebenso komplexe Erlasse.»

So verlangt die «Nachhaltigkeitsberichterstattung» seit Anfang dieses Jahres verbindlich von allen Firmen mit über 40 Millionen Euro Umsatz jährliche Angaben zu 1144 Punkten bezüglich Ökologie und anderem. Die «transparenten und vorhersehbaren Arbeitsbedingungen» müssen jedem neuen Angestellten auf 120 Seiten vorgelegt werden. Sie auferlegen den Firmen gleich auch Verhaltenszwänge für variables Arbeiten, Probezeiten, Arbeiten zu Hause, Arbeiten auf Plattformen wie Uber sowie den Kündigungsschutz für Mitarbeiter, die sich beklagen, und für kostenlose Weiterbildung.

Die neue Lieferkettenrichtlinie, auch eben erst angenommen, wird in fünf Jahren grössere Firmen zwingen, alles zu dokumentieren und rückverfolgen zu lassen, was sich auf Nachhaltigkeit oder Arbeitsbedingungen auswirkt. Hohe Bussen und Klagerechte von Gerichten, von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften sind vorgesehen.

Abschied vom «Cassis-de-Dijon-Prinzip»

Alle diese Zwänge, ihre laufenden Verschärfungen, alle noch unbekannten künftigen neuen Richtlinien führen weit über Schweizer Recht hinaus und kommen zu den älteren Vorschriften hinzu, zu Betriebsräten, Arbeitszeiten, Mindestlöhnen, zum «Zugang zum «Sozialschutz», zum «Austausch von Finanzdaten» – und das eben für alle Firmen, nicht nur jene, die mit der EU handeln. Alle Firmen werden dazu gezwungen, kostspielige, interne Bürokratien aufzubauen, um all dem gerecht zu werden, um sich gegen all das abzusichern.

Die EU-Kommission hat sich seit 1993 vom damals freien Zutritt aller Firmen in den Binnenmarkt gemäss den geltenden nationalen Vorschriften («Cassis-de-Dijon-Prinzip») abgewandt zugunsten der lückenlosen Durchregulierung aller Bereiche. Im Namen des «level playing field», gleich langer Spiesse, muss der regulatorische Wettbewerb der Mitgliedsländer ausgeschaltet werden, niemand soll es sich leichter machen dürfen. Dieses Mantra macht die EU zu einem abgeschlossenen Block, der immer weniger mit der sparsameren Regulierung der USA, Asiens konkurrieren kann und bereits langsamer wächst als die Weltwirtschaft.

«Im Namen des ‹level playing field›, gleich langer Spiesse, muss

der regulatorische Wettbewerb der Mitgliedsländer ausgeschaltet werden.»

Man darf sicher sein: Ein Rahmenabkommen würde die EU-Kommission und ihr Gericht gegenüber der freieren und damit auch reicheren Schweiz scharf auftreten lassen.

Umgekehrt: Wenn England, die Schweiz, die heute schon gegen Brüssel bockenden Osteuropäer sich sperren, die USA und Asien sowieso, dann hat die EU-Kommission nicht mehr freie Hand. Blackrock, der grösste Investor der Welt, hat im neuesten Bericht an die Aktionäre die ESG-Kriterien («economic, social, governance») nicht einmal mehr erwähnt, Grossfirmen haben diese ESG aufgekündigt. Die EU hat die falsche Ethik gepachtet: eine blosse Gesinnungsethik (ich allein tue nichts Falsches), doch massgeblicher ist die Verhaltensethik (was bewirkt es im Ganzen, was tun die anderen?). Die Schweiz beteiligt sich aber an den weltweiten Bestrebungen in richtiger Ethik.

Demgegenüber wird die Teilnahme der Schweiz am regulatorischen Wettbewerb heute als «Rosinenpicken» verschrien. Das wird im Rahmenabkommen dann durch Klagen, Gericht und Sanktionen «gelöst» werden. Wenn nur die Leiter von Economiesuisse, Gewerbeverband und der lauthals die Rechtsübernahme fordernden Firmen sich diese Registernummern mal ansehen würden! Wenn sie nur ihre Augen auf die Weltwirtschaft richten würden – unseren am stärksten wachsenden Exportmarkt –, anstatt auf die provinzielle Selbstnormierung der EU zu blicken und diese herbeizuwünschen!

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