Die Dekonstruktion des Alltags
Er zeichnet und malt, liebt Cervelats, baut Skulpturen, und den Coverphotos schöner Models treibt er schon einmal Finger durch die Wangen. Beni Bischof weiss: das Leben ist kein Ponyhof. Aber als Spielwiese taugt es ausgezeichnet.
Deinen Arbeiten bin ich erstmals vor Jahren im «Milieu Artspace» in Bern begegnet. Ich stand in diesem Raum und dachte: «Hier musst du aufpassen, dass du nicht zwischen diesem Überdruss, zwischen all diesen Flächen und Pinselstrichen verschwindest.» Ich habe mir damals Notizen gemacht und jetzt wieder nachgelesen. Schwarz unterstrichen war die Frage: Woher diese Wut?
Gute Frage. Ich habe heute wieder über dieses Wort nachgedacht. Wut. Bei gewissen Themen hatte ich tatsächlich Wut im Bauch. Früher war es ein Grund für mein Schaffen: Rücksichtslos die Wut rauslassen. Aber warum hast du dir das notiert? Warum ist dir das aufgefallen?
Ich las dein Werk nicht als eine grundsätzliche Wut auf alles und jeden, die sich wie eine Schneedecke gleichmässig verteilt. Eher hatte ich den Eindruck, da schlage mir jemand seine Emotionen um die Ohren. Emotionen, die sich klar um Themen wie Konsumismus und Medien drehen.
Das stimmt wohl auch. Es geht aber nicht nur um Wut, sondern auch um eine Form des Spieltriebes, um Humor und das Interesse an Absurdem. Die Wut wirkt dabei eher als Motor, mit ihr lassen sich Arbeiten herstellen, die Kraft ausstrahlen oder überraschen.
Kannst du einen deiner typischen Ateliertage beschreiben?
In den letzten Monaten gab es wenige davon. Ich bin Vater eines Buben namens Linus geworden. (lacht) Normalerweise verlasse ich aber morgens das Haus, trinke in der Stadt einen Kaffee, arbeite zwei Stunden im Atelier, gehe mit jemandem Mittagessen, danach wieder zwei Stunden Atelierarbeit, Kaffeepause. Später treffe ich mich mit jemandem und gehe dann vielleicht noch einmal ins Atelier.
Das klingt nach einem schönen Rhythmus.
Ja, bis auf das Alleinsein im Atelier, das erträgt man nicht immer gleich.
Wenn ich nun aber deine Arbeiten betrachte, drängt sich mir eine andere Form des Künstlers auf: Du bist Derwisch, der im Atelier herumwirbelt. Arbeitest du an verschiedenen Elementen gleichzeitig?
Ja. Computerarbeiten, A4-Collagen und Zeichnungen entstehen meistens zu Hause, am Küchentisch. Ausserdem arbeite ich noch viel in Restaurants. Da entstehen andere Dinge – und dann lande ich irgendwann wieder im Atelier, um zu malen oder Skulpturen anzufertigen. Manchmal gipse ich, dann male ich fünf Bilder gleichzeitig oder drei Tage lang nur eines. Ja, eigentlich läuft alles immer parallel. Das parallele Arbeiten ermöglicht Synergien. Und Zufälle bringen mich sowieso weiter.
Ich sehe eine mögliche Parallele zum Schaffensmodus des schottischen Künstlers David Shrigley. Er erwähnte einmal, dass er stets Unmengen produziere. Ende des Monats läuft er dann mit einer Tüte durch sein Atelier und schmeisst das meiste in einen Mülleimer. Weil er so viele Zeichnungen produziert…
… die nicht hinhauen! Richtig. Und so ist es auch: Man muss probieren, probieren, probieren.
Was mich verwundert: Shrigley fügt gleichzeitig an, er wisse genau, was er behalten müsse und was nicht.
Das ist eine grosse Kunst. Manchmal gestaltet sich die Entscheidung, welche Arbeiten ich behalte, wirklich schwierig – vor allem bei der Malerei. Da kann es lange dauern, bis etwas in einem völlig anderen Licht erscheint. Es gibt aber auch die Arbeiten, die mich nach Wochen oder Monaten im Atelier langweilen. Die gehen meistens automatisch kaputt, weil sie auf dem Boden liegen und ich unachtsam über sie hinwegtrete. Sie entsorgen sich quasi von alleine.
Einige der Arbeiten, die du behalten hast, stellst du nun in der Galerie Rupert Pfab in Düsseldorf aus. Dort finden sich neben Skulpturen und Malereien auch «Vogue»-Magazine, deren Cover aufgeritzt sind. Du trägst Material ab, was sich wiederum in einer Form von Aufbau, ähnlich einem Relief, sammelt. Eine Oberfläche, die präzises Arbeiten erfordert!
Das Ganze hat ganz harmlos begonnen. Es gab dieses Magazin, das mir vom Look und vom Cover her sehr gut gefallen hat und das fast ein halbes Jahr auf meinem Bürotisch lag. Ich wusste überhaupt nicht, was ich damit anstellen sollte. Ich wusste nur: Irgendwann wird mir eine Idee einfallen. Und eines Tages habe ich angefangen, dieses Cover zu kratzen. Solche Experimente gehören bei mir zum Alltag – und entweder springt etwas dabei heraus oder nicht.
Sonst: Mülleimer à la Shrigley.
Genau. Dieses eingekerbte Bild hat mich dann aber über Tage, Wochen hinweg nicht losgelassen. Irgendwie war da etwas. Also fertigte ich immer mehr Serien an und die Überraschung nahm mit jedem neuen Bild zu. Diese Serie ist aus dem Spieltrieb über die Aneignung eines Themas entstanden.
Bei diesen «Vogue»-Cover-Bildern handelt es sich ausschliesslich um Portraits von Frauen. Hochglanzmagazine, so viel wissen wir, vermitteln ein bestimmtes Frauen- und Schönheitsbild. Wolltest du das bewusst karikieren?
Das Thema schwingt sicher mit, wenn ich sie mit Cervelat-Würsten kombiniert ausstelle. Viele meiner Arbeiten können gesellschaftskritisch gelesen werden, müssen aber nicht. Mich interessiert die Modephotographie, sie gefällt mir einfach. Ich würde das zu gerne selbst versuchen. Aber: ich fertige «bloss» eine Kopie an, weil ich selbst nicht die Möglichkeit habe, derartige Photoshootings zu machen. Viele Leute stört es, dass ich diese Frauengesichter «verletze» – ich selber verstehe diese Bearbeitung nicht als Verletzung, sondern als Maske, als Verschönerung.
Wenn du ausstellst, könnte man meinen, du müsstest mit einem rappelnden Karren voller Beni-Bischof-«Brimborium» anrücken: Was und wie es dann ausgestellt wird, entsteht tatsächlich erst vor Ort im Ausstellungsraum, oder?
Ich weiss nie, was ich mitnehmen soll. Also nehme ich immer doppelt so viel mit wie nötig, weil ich mich einerseits nicht entscheiden kann, und andererseits auch, weil ich den Raum vor Ort benötige. Hier gibt es dann auch wieder Zufälle: Es funktioniert wie ein Spiel.
Du musst eine Idee haben, wenn du anrückst.
Grob sicher, aber das ausschliesslich theoretische Konzipieren finde ich schwierig. Wenn es wirklich losgeht, bin ich viel gelöster ohne ein wasserdichtes Konzept. Ich bin dadurch zwar oft unsicher, glaube jedoch, dass es einen weiterbringt, wenn man nicht weiss, was genau man am Ende haben will. Natürlich nicht immer, ich habe auch schon etwas versaut.
Zum Beispiel?
Es gibt Ausstellungen, die ich im nachhinein anders machen würde. Trotz meiner teilweise chaotischen Arbeitsweise bin ich Perfektionist: Die Stimmung am Schluss ist ausschlaggebend. Meist spüre ich in der Nacht nach dem Aufbau, also wenn ich ganz allein bin, ob es gut kommt oder nicht. Ohnehin: ich geniesse die Ruhe, das Einsame, die Melancholie. Vielleicht das Leiden, obwohl das ja nicht mehr so in Mode ist, wie ich gehört habe. (lacht)
Das Leiden: ein Klassiker, der Rolling-Stones-Gassenhauer unter den Kunstmythen!
Den summe ich immer gerne mit.
Das Fachpublikum, das ein spezifisches Wissen und einen Referenzrahmen mitbringt, weiss um diesen Topos. Viele Ausstellungsbesucher aber nicht. Sie tauchen unmittelbarer ein in deine Flut an Materialien, Techniken und Themen, ohne all das spontan einordnen zu können. Ist die Vermittlung deiner Arbeit manchmal schwierig für dich?
Ich zeige meine Arbeiten sehr gerne und ich mache gerne Ausstellungen. Es gibt einen Grund, weshalb ich Künstler bin: Man muss immer wieder aufs neue den Mut aufbringen, etwas von sich zu zeigen. Weil ich das verstanden habe, bin ich offen. Ich nerve wohl diverse Kunsthistoriker, aber ich habe grundsätzlich wenige negative Erfahrungen gemacht.
Du scherst dich nicht um die Unterschiede zwischen Pop-, Sub- und Hochkultur, kombinierst diese Genres und spielst mit deinen Titeln oft auf die Kunstgeschichte an – was haben diese Kunsthistoriker also gegen dich?
Ich weiss recht genau, was im Kunstbetrieb wem in der Tendenz gefällt: Die Intellektuellen unter den Kunsthistorikern etwa mögen meine lustigen Sachen nicht. Beim Publikum ist wohl mein Schwarz nicht durchgehend beliebt: Es gab ein öffentliches Gespräch mit Madeleine Schuppli im Kunsthaus Aarau im letzten Jahr, bei dem ein Mann aus dem Publikum ausrastete. Wir sassen zwischen meinen Arbeiten und plötzlich schrie er, dass er es nicht mehr aushalte, ich würde nur «Böses» erzählen – und jagte davon. Das erschien mir regelrecht teuflisch. Wir blieben schockiert sitzen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Und zwar nur, weil ich so viel in Schwarz male.
Apropos Schwarzmalerei: Ein Teil deiner weiblichen Käuferschaft, der vermutlich für Schuhe aus genau jenen Hochglanzmagazinen, die dir als Ausgangslage dienen, zuhauf Geld ausgibt, hängt sich in den Salon vor dem Ankleidezimmer ein Werk von Beni Bischof…
…das ist frustrierend, nicht!? (lacht) Im Ernst: das ist wirklich ein Thema in den Künsten. Wenn man Dinge an Leute verkauft, die einem persönlich Angst machen, meine ich.
Viele Kunstschaffende finden sich irgendwann in diesem Zwiespalt: Einerseits möchte man von seiner Kunst leben können, aber Einblicke in die Welt der Kunstmärkte hinterlassen auch einen bitteren Geschmack auf der Zunge.
Von der Kunst leben zu wollen, das ist auch für mich wesentlich. Das Existentielle, all die Ängste!
Und wenn es funktioniert, auf die eine oder andere Art und Weise, kann man die «Existenzängste» durchstreichen und Champagner trinken…?
Wenn du von der Kunst leben willst, dann gibt dir das auch eine ganz andere Kraft im Atelier, als wenn du zu 80 Prozent irgendwo angestellt bist und dann oft zu müde bist, daneben noch etwas zu tun.
Beni Bischof, der berserkernde Poet des Alltags. Und nebenbei gibst du auch noch ein Fanzine heraus, das «LASERMAGAZIN».
Das war der Grund, weshalb ich vor sieben Jahren aufgehört habe, in einer Graphikagentur zu arbeiten. Ich erhielt einen Werkbeitrag des Kantons St. Gallen, um die Arbeit an diesen Magazinen voranzutreiben. Sie erscheinen bis heute ungefähr fünfmal im Jahr. Ursprünglich waren es handgemachte Heftchen in einer Auflage von 20 bis 80 Exemplaren, einfach kopiert mit einem Laserdrucker. Daher stammt auch der Name.
Ich assoziierte den Namen bisher immer mit «Star Wars».
Ein Scheissname, nicht?
Ich finde ihn wunderbar. Du hast mir aber noch immer nicht erzählt, wieso du überhaupt damit begonnen hast.
Es lagen in meinem Atelier so viele Arbeiten rum und ich hatte überhaupt keine Kontakte zu Leuten aus der Kunstwelt. Ich musste also etwas mit diesen Zeichnungen und Malereien anstellen und durch meine Affinität zu Magazinen und Büchern lag die Idee, ein Heft zu produzieren, nahe. Das «LASERMAGAZIN» steht für den Beginn und ich erhielt gute Rückmeldungen. Das Magazin funktioniert bis heute als Katalysator für meine tägliche Auseinandersetzung. Grundsätzlich bin ich aber immer noch erstaunt, dass sich überhaupt jemand für meine Arbeit interessiert.
Ich nicht. Es hängt wohl damit zusammen, dass du nahe an den Themen bist, die die meisten Menschen bewegen?
Zum Beispiel?
Das Alltägliche mit seinen abstrusen, traurigen und oft zeitgleich rührenden Geschichten?
Sagen wir es so: Mich inspiriert alles, was an Gegenständen so rumsteht oder damit passiert. (lacht)
Hast du irgendein Luftschloss? Also: Gibt es etwas, das du gerne tun oder sehen würdest?
Nein, mir fällt im Moment nichts ein. Zumindest nicht in Sachen Kunst. Das letzte halbe Jahr war schwierig. Zu viele Ausstellungen. Plötzlich erschien mir all das absurd. Mich mit allen Leuten auseinanderzusetzen beispielsweise, obwohl ich ansonsten eher allein arbeite, das kostete Kraft. Mein Ziel liegt wohl eher in der Rückbesinnung.
Genauer?
Man kann den Boden unter den Füssen in der Kunstwelt leicht verlieren. Ich frage mich seither: Ist die Kunstwelt überhaupt gesund? Ich weiss es nicht. Zumindest als Künstler empfinde ich das Ganze als hartes Pflaster. Wie siehst du das?
Ob Künstler oder Kuratorin: Man kann sich verlieren, wenn man unreflektiert in hohem Tempo Schritt halten möchte. Die Herausforderung besteht darin, für das, was man gerne tut, einzustehen und dabei nicht zu vergessen, dass man zwischendurch auch etwas Schlaf braucht.
Das wird viel zu selten im Kunstkuchen gesagt: Schlaf ist extrem wertvoll! Das ist doch mal eine gute Idee für 2013. Denn eigentlich möchte man sie ja möglichst lange weiterverfolgen können, die Kunst. Nicht?
Kommende Ausstellungen:
Zürich: «Talk to the Hand – Sprechende Fäuste, patentierte Gesten», Gruppenausstellung im Helmhaus, 3. Mai 2013
Basel: Swiss Art Awards, Juni 2013