Die Credit Suisse als Menetekel
Martin Hellwig, zvg.

Die Credit Suisse als Menetekel

Der Zusammenbruch der Credit Suisse hat die Schwäche der Finanzmarkt­aufsicht gegenüber einer renitenten Geschäftsleitung offengelegt. Anders als das Basler Abkommen über Bankenaufsicht sieht das Schweizer Recht keine konkreten Eingriffe vor.

Warum kam es Mitte März 2023 zu einem Kundenansturm auf die Credit Suisse (CS)? Die offiziellen Verlautbarungen dazu waren und sind vage und unvollständig. Da ist die Rede von grossen Verlusten in den Skandalfällen Archegos und Greensill 2021, von Reputationsverlust und Kundenschwund 2022 und von einer durch den Zusammenbruch der kalifornischen Silicon Valley Bank am 9. März 2023 ausgelösten Panik. Kaum erwähnt wird der mit Verspätung am 14. März, einen Tag vor dem Beginn des letzten Ansturms, veröffentlichte CS-Jahresbericht 2022.

Der Bericht enthielt ausdrückliche Warnungen der Wirtschaftsprüfer, die angegebenen Zahlen seien mit Vorsicht zu geniessen, denn die Unternehmensleitung habe kein angemessenes Verfahren zur Identifizierung von Bewertungsfehlern. Die Unternehmensleitung selbst räumte ein, die interne Kontrolle über die Finanzberichterstattung sei nicht effektiv. Solche Warnungen wecken Zweifel, ob man bei dieser Bank noch gut aufgehoben ist.

Der Bericht hinterliess auch den Eindruck, dass die Geschäftsleitung der Krise der Bank nicht gewachsen sei. Die Erlöse waren aufgrund des Kundenschwunds 2022 dramatisch zurückgegangen, die Kosten jedoch wurden kaum reduziert. Die Angaben zu geplanten Kosteneinsparungen waren nur wenig konkret, die Einsparziele im Vergleich zum Rückgang der Erlöse zu klein. Da schien es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die Bank zusammenbrechen würde.

Die erwähnten Warnungen waren auf Druck der US-Börsenaufsicht SEC in den Jahresbericht eingefügt worden. Die SEC hatte die CS schon Mitte 2022 aufgefordert, bestimmte Bewertungsprobleme offenzulegen; die Bank hatte dagegen Einspruch erhoben. Der Disput ging über viele Monate, bis die SEC die Geduld verlor. Am 9. März verkündete die Bank, auf Verlangen der SEC werde die Veröffentlichung des Jahresberichts verschoben. In den Tagen danach fügte sie die Warnungen ein. Ihr Verhalten im Konflikt mit der SEC wurde nicht als Kompetenzausweis angesehen.

Renitenz der Geschäftsleitung

Gegenüber der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma hatte die Bank ein ähnliches Verhalten an den Tag gelegt. Der Anfang September 2023 erschienene Bericht der vom Bundesrat eingesetzten Expertengruppe Bankenstabilität gebraucht dafür das Wort «renitent». In den Monaten vor dem Kollaps hatte die Finma etliche Verfahren gegen die CS eingeleitet und der Bank strengere Auflagen gemacht, aber die Geschäftsleitung weigerte sich, diesen Auflagen Folge zu leisten. Sie stellte ihre eigene Beurteilung der Lage und der erforderlichen Massnahmen über die der Finma.

Das Wort «renitent» passt auch auf das Verhalten der CS im Archegos-Skandal. Ein von der Bank selbst in Auftrag gegebener Bericht spricht von mangelnder Kompetenz und schwacher Risikokultur. Die CS hatte mit der US-Investment-Firma Archegos Capital Management umfangreiche Derivategeschäfte abgeschlossen, die letztlich auf so etwas wie eine Kreditfinanzierung der Bank für Aktienkäufe durch Archegos hinausliefen. Dabei spekulierte Archegos massiv in Börsenwerten, ohne die Risiken wirksam zu streuen. Die Banker der CS waren blind für die Risiken, auch als die Verluste bei Archegos sich schon deutlich abzeichneten. Die Verluste der CS bei Archegos beliefen sich am Ende auf 5,5 Milliarden Dollar.

Der Archegos-Bericht vermittelt das Bild einer Gemeinschaft von Leuten, denen aufsichtsrechtliche und bankinterne Vorschriften egal sind und denen es nur auf ihre eigenen Boni ankommt. Als Archegos verschiedene von der Bank gesetzte Limiten überschritt, reagierten die Banker vor Ort nicht – sie widersetzten sich wiederholt den Anweisungen der internen Risikoaufsicht der Bank. Die Geschäftsleitung hatte es versäumt, für eine wirksame Kontrolle der von den Bankern vor Ort eingegangenen Risiken zu sorgen. Nach Einschätzung der Finma war das Archegos-Engagement der CS mehr als doppelt so hoch, wie es die aufsichtsrechtlichen Regeln zur Begrenzung von Grossrisiken erlauben. Zu den erwähnten Verlusten kamen dann noch einmal 387 Millionen Dollar an Geldstrafen der amerikanischen und britischen Behörden für die Versäumnisse und Regelverstösse der CS bei Archegos.

Swiss Finish oder Swiss Make Believe?

Das schweizerische Recht gibt der Finma kaum Möglichkeiten, sich…