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Die Bürger wollen  internationale Lösungen
Tina Freyburg, zvg.

Die Bürger wollen
internationale Lösungen

Eine Studie zeigt, welche Formen von Global Governance bei der Bevölkerung gut ankommen. Die Befragten befürworten mehr Kompetenzen für die internationale Ebene und sehen den Einfluss der Privatwirtschaft kritisch.

 

Die Schweiz gehört zu den am stärksten globalisierten Ländern der Welt. Ihre grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Aktivitäten, ihre gesellschaftliche Verflechtung, vor allem durch Migration und Tourismus, aber auch ihre Einbettung in die internationale Politik sind besonders ausgeprägt. Gerade die weltweite Vernetzung der Schweiz in politischen Fragen ist Ausdruck der Erkenntnis, dass Herausforderungen wie der Klimawandel und die Instabilität der Finanzmärkte die nationalen Grenzen überschreiten und es daher unmöglich ist, diese allein auf nationaler oder lokaler Ebene wirksam zu steuern.

Seit einiger Zeit wird auch in der Schweiz die historisch gesehen globalisierungsfreundliche Politik der Regierung in Frage gestellt. So kam für Vertreter von Wirtschaftsverbänden, der Bundesverwaltung und der Wirtschaftswissenschaft recht unerwartet, dass die Zustimmung zum Handelsabkommen mit Indonesien letztes Jahr mit 51,6 Prozent sehr knapp ausfiel. Auch der SVP gelingt es immer wieder, erfolgreich gegen eine weitere Institutionalisierung der Beziehungen der Schweiz mit der EU zu mobilisieren. Vor diesem Hintergrund scheint es wichtig zu fragen, wie globale Regeln zu gestalten sind, damit sie von den Bürgern akzeptiert werden.

Die Präferenzen der Bürger

In der medialen und wissenschaftlichen Debatte wird die öffentliche Zustimmung zur Globalisierung häufig als Entweder-oder-Frage verstanden. Bürger können demnach entweder für oder gegen Klimaschutzabkommen, die Öffnung für ausländische Investitionen oder internationale Institutionen im allgemeinen sein. Dies spiegelt sich auch in den nationalen Abstimmungsvorlagen wider, bei denen beispielsweise ein bestimmtes Handelsabkommen entweder angenommen oder abgelehnt werden kann. Oft gibt es gute Gründe für diese Einteilung. Einer der Gründe ist die Annahme, die Bürger wüssten nicht genug, um eine differenziertere Position dazu zu entwickeln, wie politische Entscheidungen auf internationaler Ebene zu treffen seien.

Fest steht jedoch, dass diese Sichtweise keinen Aufschluss darüber geben kann, ob Bürger tatsächlich nur bestimmte Formen der globalen Entscheidungsfindung ablehnen – andere aber begrüssen würden. Ein Umfrage­experiment kann hier Aufschluss über die Präferenzen der Bürger geben. Es erlaubt zu untersuchen, ob die Bürger bestimmte Formen der Aushandlung globaler Regeln gegenüber anderen bevorzugen und ob ihre Präferenzen je nach Unabhängigkeit der internationalen Institutionen von ihren Mitgliedsstaaten variieren.

Ein Conjoint-Experiment, das wir mit Kollegen der Universitäten Düsseldorf, Genf und Zürich sowie der ETH Zürich 2015 und 2016 mit mehr als je 1000 Befragten in Frankreich, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz durchführten, lässt drei Haupterkenntnisse zu:

  1. Bürger sind weitgehend zufrieden mit dem liberalen Status quo, der die Rolle von Regierungsvertretern in internationalen Verhandlungen betont. Sie ziehen es nicht vor, stattdessen durch unabhängige Experten oder gewählte Parlamentarier auf der Weltbühne repräsentiert zu werden;
  2. Sie stehen jedoch Prozessen, die von privaten Governancemodellen inspiriert und durch eine starke Beteiligung der Privatwirtschaft gekennzeichnet sind, skeptisch gegenüber;
  3. Diese Ergebnisse sind weitgehend unbeeinflusst davon, welchen Einfluss Mitgliedsstaaten darauf haben, wie politische Vereinbarungen auf internationaler Ebene entschieden und implementiert werden.

Konkret deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass, erstens, Reformvorschläge, die den Einfluss von Parlamentariern, nichtstaatlichen Akteuren oder Experten stärken, die Akzeptanz von Global Governance eher nicht fördern. Die Befragten bewerten diese Optionen nicht anders als einen konventionellen, zwischenstaatlichen Entscheidungsfindungsprozess unter Regierungsvertretern, wie er im bisherigen liberalen Modell vorgesehen ist. Nur in Bereichen, in denen ein besonderer Bedarf an wissenschaftlichem Fachwissen und einer starken Mobilisierung der Zivilgesellschaft besteht, wie im Fall des Klimawandels, scheinen die Bürger eher zu deliberativen Formen des Regierens zu tendieren. Diese sehen eine Entscheidungsfindung durch sorgfältiges Abwägen der Argumente sämtlicher Stakeholder vor. Natürlich könnten andere Zielgruppen, wie zum Beispiel politische Eliten, alternative Formen von Global Governance dem liberalen Status quo vorziehen. Wenn solche Reformen jedoch mit den Präferenzen der Bürger begründet werden, ist Skepsis angebracht.

Kritisch gegenüber Delegierten von Privatunternehmen

Unsere Analyse zeigt zweitens, dass die Bürger zentrale Merkmale privatwirtschaftlichen Regierens ablehnen. So verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Modell globaler Governance akzeptiert wird, um etwa 25 Prozent, wenn Delegierte aus privaten Unternehmen (anstelle von Regierungsvertretern) als Verhandlungsführer aufgeführt sind. Die öffentliche Unterstützung für Global Governance kann also eher nicht erreicht werden, indem der Einfluss von Unternehmen auf Entscheidungsprozesse und Ergebnisse betont wird. Zu beachten gilt es jedoch, dass sich Regierungen bei der Um- und Durchsetzung bestimmter Massnahmen nicht nur häufig auf die Kapazitäten des Privatsektors verlassen, auch hat der Privatsektor viele eigene Governancevereinbarungen getroffen, welche effektiv zur Bearbeitung transnationaler Herausforderungen beitragen. Der Ausschluss des Privatsektors von politischer Entscheidungsfindung und -durchsetzung könnte daher die verfahrensbezogenen Prioritäten der Bürger befriedigen, aber die Wirksamkeit der Governance in Bereichen schwächen, in denen die Regierungen Kapazitäten des Privatsektors benötigen, wie zum Beispiel bei Investitionen im Bereich der öffentlichen Infrastruktur oder in neue Technologien zur Bekämpfung der globalen Erwärmung.

«Heute ist der Raum,

in dem sich gesellschaftliche und

wirtschaftliche Beziehungen

grenz-überschreitend verdichtet haben,

grösser als der Raum,

der durch nationale Staatsgewalt erfasst wird.»

Schliesslich zeigt die Studie auf, dass die Zustimmung der Bürger zu Global-Governance-Verfahren grösser ist, wenn Kompetenzen von der nationalen weitgehend auf die internationale Ebene übertragen wurden. Dies ist der Fall, wenn die Verhandlungsparteien nach der Mehrheits- statt nach der Konsensregel entscheiden und wenn eine internationale Organisation (anstelle von Regierungen) die Einhaltung der getroffenen Regeln überwacht. Gerade Global-Governance-Verfahren, die dem liberalen Modell entsprechen, erhalten bei einer weitreichenden Übertragung von Kompetenzen mehr öffentliche Unterstützung, als wenn die Mitgliedsstaaten ein Vetorecht behalten und die Regierungen über die Einhaltung der Regeln wachen. Unsere Ergebnisse deuten also darauf hin, dass die öffentliche Zustimmung zu Global Governance erhöht werden kann, wenn internationale Institutionen mehr Autorität erhalten und autonomer von den Mitgliedsstaaten werden, ohne jedoch die allgemeinen Verfahren zur Aushandlung internationaler Abkommen zu ändern. Dies hat wichtige Implikationen mit Blick auf die Legitimation grenzüberschreitender Regeln. Heute ist der Raum, in dem sich gesellschaftliche und wirtschaftliche Beziehungen grenzüberschreitend verdichtet haben, grösser als der Raum, der durch nationale Staatsgewalt erfasst wird. Im Ergebnis reduziert diese Diskrepanz die Fähigkeit, politisch gewünschte Zustände durch nationale Politiken herbeizuführen. Was liegt in dieser Situation näher, als die politischen Räume den sozialen und wirtschaftlichen Räumen anzupassen und die Bearbeitung globaler Probleme ebenfalls zu globalisieren? Im Gegensatz zu dem, was der vorherrschende Diskurs vermuten lässt, stellen wir fest, dass die öffentliche Unterstützung für derartige Global-Governance-Bemühungen recht hoch ist.

Insgesamt deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass ein gewisser Spielraum für institutionelle Massnahmen besteht, um die öffentliche Unterstützung von Global Governance zu erhöhen. Die Ermittlung der Präferenzen der Bürger für bestimmte institutionelle Designs kann Wissenschaftern und politischen Entscheidungsträgern dabei helfen, Global Governance im Einklang mit den Präferenzen der Bürger zu organisieren. Auch zeigt unsere Studie, dass den Bürgern zugetraut werden kann, zwischen alternativen Formen der internationalen Entscheidungsfindung zu wählen.


Die Studie «Which Mode of Global Governance Do Citizens Prefer? Experimental Evidence from European Democracies» wurde verfasst von Tina Freyburg (Universität St. Gallen), Steffen Mohrenberg (Demo SCOPE), Thomas Winzen (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf), Sandra Lavenex (Universität Genf), Christian Ewert & Daniel Kübler (Universität Zürich) und Thomas Bernauer (ETH Zürich).

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