Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
Die Bösartigkeit des Banalen
Bild: Drava, 2022.

Die Bösartigkeit des Banalen

Sama Maani: Warum ich über den Islam nicht mehr rede.

 

Diese Szene kennen wirklich alle, die in den letzten 20 Jahren Geistes- und Sozialwissenschaften studiert haben. Ein Vortragender, der aus der Ödnis der immer gleichen Kommentarkultur ausschert und den Islam für dessen Geschlechterkodex kritisiert, wird von einer Person aus dem Publikum zurechtgewiesen, die mit triumphaler Selbstsicherheit bekundet: «Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun. Das ist eine Frage des Patriarchats.» Drumherum sitzen besorgt dreinblickende Leute, die dem pseudokritischen Einwand mit energischem Kopfnicken beipflichten, obwohl anzunehmen ist, dass sie noch nicht einmal den Unterschied zwischen Sunna und Schia kennen. Ihnen ist wichtiger, ihr narzisstisches Distinktionsbedürfnis zur Schau zu stellen, statt sich mit der Lebensrealität jener zu befassen, die ebenjenem Geschlechterkodex ausgeliefert sind.

Dass solch phrasendreschende Mäkler in der Regel weder über einen «Migrationshintergrund» noch über religiöses Wissen verfügen, während es vornehmlich migrantische Individuen sind, die sich dieser akuten Realitätsverweigerung widersetzen, ist nur eine der vielen Auffälligkeiten der mittlerweile omnipräsenten antirassistischen Rhetorik. Diesen Tendenzen trotzend, hat sich Sama Maani in den letzten Jahren den Mund so fusselig geredet, dass er mittlerweile Sorge hat, jemand könnte einst auf seinem Begräbnis sagen: «Er hat sein Leben damit verbracht zu verkünden, dass der Islam etwas mit dem Islam zu tun hat.»

Nach dem 2021 erschienenen Roman «Žižek in Teheran» widmet sich der Wiener Psychoanalytiker und Schriftsteller nun dieser – wie er es nennt – «Bösartigkeit des Banalen», die sich in den Hörsälen und in vielen anderen gesellschaftlichen Arealen bemerkbar macht. «Warum ich über den Islam nicht mehr rede» heisst das neue Bändchen, das in gewohnter Weise luzide und gelassen gegen den Irrsinn dieser Tage anschreibt. «Wie es kommt, dass immer absurdere gesellschaftliche Diskurse immer banalere Gegendiskurse provozieren»: Ausgehend von dieser Frage zeigt Maani, wie wenig es braucht, um als jemand zu gelten, der «schwierige Meinungen» vertritt – und wie schwer dieses Label in einer Ära wiegt, in der die «Lebens- und Gedankenwelt archaischer Stammesgesellschaften» neu aufflackert. Seine Kritik nimmt minoritäre Sensibelchen nicht aus; sie gilt im besonderen jenen, die auf den Gewinn schielen, «den die Unterdrückung ‹ihres› Kollektivs abwirft», aber auch denjenigen Besserwissern, die «Linken und Liberalen in islamisch geprägten Gesellschaften, etwa im Iran, in den Rücken» fallen, weil sie ihnen den Islam als etwas Wesenhaftes zuschreiben.

Besonders erhellend sind Maanis Überlegungen zu den Auswirkungen dieser Phänomene auf das Kunstverständnis in Anlehnung an Theodor W. Adorno. Bei fortschreitendem Wahn dürften gewisse Gemälde, die westlichen Dauerempörten Unbehagen bescheren, eigentlich nur noch «in Galerien und Museen genannten Ghettos präsentiert werden, mit Warnhinweisen am Eingang – wie bei Spezialkliniken für gefährliche Infektionen». Aber auch dank Sama Maanis neuem Büchlein bleibt zu hoffen, dass es nicht ganz so schlimm kommen wird.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!