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Die Beziehung zwischen Religion und Freiheit: Es ist kompliziert

Liberale Grundwerte haben ihre Wurzeln im Christentum. Und doch mussten sie gegen den Widerstand der Kirche durchgesetzt werden.

Die Beziehung zwischen Religion und Freiheit: Es ist kompliziert
Unfreiheit kann Religion nicht unterdrücken - auch nicht in China

Während die Kirchen in Europa wie entlaubte Bäume dastehen, gewinnt die religiöse Rechte in den USA zunehmend an Einfluss. Das wirft die Frage auf, wie es eigentlich um die Beziehung zwischen Religion und Freiheit steht und ob die Religion, in diesem Fall die christliche, anschlussfähig ist für die Freiheit. Um es vorwegzunehmen: Die Freiheit kann die Religion zwar nicht beschädigen, sehr wohl aber die Religion die Freiheit, wie die Geschichte vielfach ausweist.

Dass Freiheit beziehungsweise Unfreiheit Religion nicht unterdrücken kann, zeigt sich nicht nur im Rückblick auf Nazi-Deutschland, die SED-Diktatur und die Sowjetunion; es zeigt sich auch gegenwärtig, man denke etwa an die Christen in China, in Nordkorea, im Irak und in anderen totalitär regierten Staaten. Religion kann sich auch unter widrigsten politischen Umständen ihren Weg bahnen und ist keine Folge der politischen Freiheit. Andernfalls müsste man sich ja fragen, ob man nur als freier Bürger gläubig sein könne.

Dass umgekehrt Religion sehr wohl die Freiheit unterdrücken oder zumindest beschneiden kann, ist im Lauf der Geschichte vielfach bestätigt worden, auch und gerade durch die christliche Kirchengeschichte. Die christlichen Kirchen waren nicht immer Herolde der politischen Freiheit, die Aufklärung musste sogar gegen den erbitterten Widerstand der katholischen Kirche erkämpft werden. Ausgerechnet, möchte man sagen, wurzelt doch so mancher Wert der Aufklärung letztlich im Christentum.

Gott erlöst Individuen, keine Kollektive

Der in der Aufklärung ausformulierte Begriff der Menschenwürde besagt, dass jedem einzelnen Menschen ein Kern unantastbarer Würde zukommt, der zwar faktisch geschändet, aber nicht in seinem Wesen zerstört werden kann. Diese Menschenwürde wäre, wie Alexander Rüstow zu Recht betont hat, «ohne die Idee einer höheren Instanz, die diese Rangstellung verleiht, gar nicht denkbar». Die Idee der Unantastbarkeit der Person, der Freiheit und Würde jedes Menschen ungeachtet von Stand und Privileg, aber auch die Idee des Eigentums, die Ehrlichkeit und somit Verlässlichkeit des Vertrags und anderes mehr haben christliche Wurzeln. Sie wurden später von liberalen Denkern aufgenommen und als elementare Bedingungen einer freien Gesellschaft und deren wirtschaftlicher Verfassung, der Marktwirtschaft, anerkannt.

Ungeachtet dessen, dass die im frühen Christentum wurzelnden liberalen Grundwerte sich später gegen die Kirche gewandt haben beziehungsweise gegen den Widerstand der katholischen Kirche erstritten wurden, ist die Bedeutung des christlichen Menschenbildes, das die einzelne Person und ihre Würde in den Mittelpunkt stellt, für die freie Gesellschaft nicht hoch genug zu bewerten. Der Gott des christlichen Glaubens, vom dem es heisst, dass er sogar die Haare auf dem Kopf jedes Einzelnen gezählt habe, wendet sich immer an den einzelnen Menschen. Er holt den Einzelnen aus dem Nebel des Ganzen hervor, er erlöst Individuen, keine Kollektive.

Sich die religiösen Wurzeln der liberalen Grundwerte zu vergegenwärtigen, könnte so manchem Liberalen dazu verhelfen, seine Verkrampfung gegenüber allem Religiösen zu lösen und sich von seinem Abwehrreflex gegen die christliche Religion zu befreien. Und umgekehrt könnten die christlichen Kirchen, die noch immer mit dem Liberalismus fremdeln, endlich mit ihm Frieden schliessen.

Zurück zur Anfangsfrage. Wie ist es um die Beziehung von Religion und Freiheit bestellt? Die Antwort muss wohl sein: «Beziehungsstatus: Es ist kompliziert.»

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