Die Bauern wehren sich gegen klimaneutrale Verarmung
Europa wird von Protesten durchgeschüttelt, auch in der Schweiz regt sich zaghafter Widerstand. Das sollte nicht zuletzt die Bauernverbände wachrütteln, die dem Niedergang des Agrarsektors viel zu lange zugeschaut haben.
Jetzt protestieren auch die Schweizer Bauern. Während in Deutschland seit Beginn des Jahres so viel Bauernaufstand stattfindet wie lange vorher nicht, schienen die Schweizer Kollegen nur zaghafte Zeichen von sich zu geben, dass auch sie mit der Politik nicht einverstanden seien. Ist in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien mitunter die Hölle los, soll es im Land von Wilhelm Tell offenbar beschaulich zugehen. Oder doch nicht? Schweizer Bauern haben Ortstafeln auf den Kopf gestellt, und in der Westschweiz entzündeten Landwirte Protestfeuer.
Es brennt tatsächlich. Der Druck auf den Schweizer Landwirten ist kaum geringer als der Druck auf ihren EU-Nachbarn. Auch die Schweiz beteiligt sich eifrig am Bestreben, Europa zum klimaneutralen Kontinent zu machen, und unterschätzt oder beschönigt dabei die Schattenseiten. Finanziell unzureichend kompensierte Umwelt- und Tierwohlauflagen sowie Investitionsunsicherheit machen den Landwirten das Wirtschaften schwer. Und dann werden auch noch Grossraubtiere zum grossen Fressen des Viehs auf den Alpen eingeladen, ohne die hiesigen Landwirte zu fragen, ob sie ihre Lebensgrundlage Wolf, Bär und Co. zum Festschmaus überlassen wollen.
Der Niedergang lässt sich kaum stoppen, wenn das Projekt der Klimaneutralität weiter so nebenwirkungsblind durchgezogen wird. Landwirtschaft wird dann etwas ganz anderes bedeuten als bisher, und vor allem die Kleinen werden darin keinen Platz mehr haben. Bürokratie, Auflagen, Rewilding-Projekte laufen alle auf dasselbe hinaus: Betriebsaufgaben und faktische Enteignung. Was beschönigend «Zielkonflikte» genannt wird, sieht eher wie eine Strategie aus, die Bauern mit widersprüchlichen bis unmöglichen Ansprüchen in die Verzweiflung und damit ins Aus zu treiben.
«Bürokratie, Auflagen, Rewilding-Projekte laufen alle auf dasselbe hinaus: Betriebsaufgaben und faktische Enteignung.»
Fast könnte man meinen, Europa möchte sich in ein hübsch anzuschauendes Nachhaltigkeitsparadies verwandeln, das eine tadellose Bilanz vorweisen kann, weil es seine Emissionen ins nichteuropäische Ausland verlagert, von welchem es sich künftig durchfüttern lassen will. Diese Rechnung geht aber nicht auf, die UNO-Agenda 2030 soll schliesslich global verwirklicht werden. Ausserdem ist es in Zeiten zunehmender internationaler Instabilität keine gute Idee, die Eigenversorgung abzuwürgen.
«Fast könnte man meinen, Europa möchte sich in ein hübsch
anzuschauendes Nachhaltigkeitsparadies verwandeln, das eine tadellose Bilanz vorweisen kann, weil es seine Emissionen ins nichteuropäische Ausland verlagert, von welchem es sich künftig durchfüttern lassen will.»
Vor allem letzterer Gedanke motiviert die Bauernproteste im Nachbarland Deutschland. Die deutsche Landwirtschaft gilt bereits jetzt als eine der nachhaltigsten der Welt. Sie hält als einziger Wirtschaftszweig die Emissionsvorgaben ein, unterschreitet sie sogar deutlich, und ist im internationalen Vergleich im Bereich Tierwohl vorbildlich. Als Gunststandort zum Beispiel für Weizen kann Deutschland durch Exporte den globalen Hunger lindern. Trotzdem – oder gerade deshalb? – wird die deutsche Landwirtschaft in den Abgrund gedrängt. Hungersnöte und gravierende Mangelsituationen könnten auch in Mitteleuropa wieder «heimisch» werden.
In der Schweiz wirkt der Bauernverband bei den Protesten nicht mit. Er konnte aber mittels einer Petition an den Wirtschaftsminister verhindern, dass die Verbilligung des Agrardiesels gestrichen wird. Genau diese Streichungspläne brachten in Deutschland das Fass zum Überlaufen. Seitdem werfen die Landwirte alles auf die Strassen, was sie haben. Dennoch wurden die Streichungspläne in Deutschland bislang nicht zurückgenommen. Obwohl sich etwas bewegt, steht der gewaltige Aufwand noch in einem ungünstigen Verhältnis zur Wirkung.
Sollte Deutschland von der Schweiz lernen, wo der Bauernverband einen Konfrontationskurs vermeidet und anscheinend mit weniger Aufwand mehr erreicht? Nein. In Deutschland ist diese Karte schon lange ausgereizt. Der Deutsche Bauernverband hat mit seinem Kuschelkurs kläglich versagt und nun die letzte Chance ergriffen, seine Glaubwürdigkeit zu erhalten, indem er sich den Protesten anschliesst. Inzwischen wirkt er aber wieder als Bremsklotz.
Die Funktionäre machen das, was sie am besten können – sich eifrig von den eigenen Leuten distanzieren und der Obrigkeit versichern, dass die Bauern in Wirklichkeit ganz brav, ja sogar «bunt» seien. Das ist genau das falsche Signal, denn bunt sind zum Beispiel auch jene Blumenwiesen, mit deren Anblick man gerne für Nachhaltigkeit wirbt. Die Frage, wie viele Menschen man damit satt bekommt, stellt sich niemand mehr. Die in solcher Buntheit zum Ausdruck kommende Artenvielfalt ist ein Signal für Nährstoffmangel. Verunkrautete Bioäcker sehen auch schön aus, doch schmälern sie den Ertrag beträchtlich. Wo man aber etwas Gescheites ernten will, kann man die Buntheit mit der Lupe suchen. Eine in diesem Sinne «bunte» Zukunft ist eine Zukunft, in welcher der Mangel herrscht, nichts anderes.
«Die Funktionäre machen das, was sie am besten können – sich eifrig von den eigenen Leuten distanzieren und der Obrigkeit versichern, dass die Bauern in Wirklichkeit ganz brav, ja sogar «bunt» seien.»
Die Schweiz hat noch Glück, dass ihr Wirtschaftsminister ein ehemaliger Landwirt ist. Deutschland wird hingegen von einem Kinderbuchautor in den Ruin getrieben, der als Wirtschaftsminister die Mutter aller Insolvenzen spielen darf. Das deutsche Landwirtschaftsministerium leitet ein Moralvegetarier. Der letzte Landwirt im Amt ist schon vor einem knappen Vierteljahrhundert zurückgetreten. Mit anderen Worten: In Deutschland ist der Bock bereits Gärtner, und in der Schweiz wird er es werden, wenn die letzte Sachkunde aus den Ämtern verschwunden ist.
Die Schweizer Landwirte werden also rasch nachlegen müssen, bevor sie nur noch auf taube Ohren stossen. Die Protestfeuer sind ein guter Anfang.