Die Asyl-Bewerber
Während eines laufenden Asylverfahrens müssen Personen nicht gezwungenermassen nur von Steuergeldern leben. In Kantonen mit einem offenen Arbeitsmarkt erreichen Asylsuchende nennenswerte Erwerbsquoten.
Vor einigen Monaten stellten Bund und Kantone ihre Agenda zur Arbeitsmarktintegration von anerkannten Flüchtlingen (Status B) und vorläufig aufgenommenen Personen (Status F) vor. Vorgesehen sind etwa Sprachkurse und Job-Coachings. Ziele sind zum Beispiel, dass alle Personen mit Status B und F nach drei Jahren Grundkenntnisse einer Landessprache haben, dass sich zwei Drittel der 16- bis 25jährigen nach fünf Jahren in einer beruflichen Grundbildung befinden und dass die Hälfte der Erwachsenen nach sieben Jahren voll in den Arbeitsmarkt integriert ist.
Schon die Asylverfahren dauerten bisher aber schnell ein Jahr oder länger. Sind die Asylsuchenden bis zum Entscheid zur Untätigkeit verdammt? Nicht ganz! Schon nach drei Monaten dürfen sie einer regulären Arbeit nachgehen – theoretisch. De facto sind die Chancen aber von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich. Der schweizerische Föderalismus zeigt sich auch im Umgang mit Asylbewerbern und ermöglicht damit, über vergleichende empirische Studien etwas zu lernen und dann das System zu verbessern.
«Die Sorge, dass ein offener Arbeitsmarkt weitere Asylsuchende anzieht, verträgt sich kaum mit der Forderung, dass diese weniger von Sozialhilfe leben sollen.»
Angesichts der in der Integrationsagenda formulierten Massnahmen, die primär auf die Qualifikation abzielen, kann man sich also zunächst fragen: Haben die kantonalen Rahmenbedingungen überhaupt eine Auswirkung auf die Erwerbsquote von Asylsuchenden – oder sind deren «fehlende» Qualifikationen die einzig relevante Determinante? Mehrheitlich liegt der Ausbildungsstand von Asylsuchenden nicht auf schweizerischem Niveau und Kenntnisse der Landessprachen sind oft nicht vorhanden. Wird da die Erwerbsquote nicht ohnehin durchgehend bei 0 liegen? Die Antwort aus unserer empirischen Forschung ist: Nein.
Unterschiedliche Zugangsregeln…
Die Kantone unterscheiden sich in verschiedenen Punkten bezüglich der Offenheit ihrer Arbeitsmärkte für Asylsuchende:
Arbeitsmarktzugang:
- Die Kantone haben ein Recht, das formelle dreimonatige Arbeitsverbot des Bundes auf maximal sechs Monate zu verlängern.
- Die Dauer des Arbeitsbewilligungsprozesses unterscheidet sich von Kanton zu Kanton deutlich.
- Die Kantone können Arbeitsbewilligungen auf bestimmte Branchen (meist Landwirtschaft, Gastgewerbe, Bau) beschränken. Fast die Hälfte aller Kantone wendet solche Restriktionen an.
- Einige Kantone sehen – zusätzlich zur Sonderabgabe gemäss Art. 86 des Asylgesetzes – Lohnabzüge zur Deckung der Krankenversicherung und/oder Miete der Asylsuchenden vor.
Finanzielle Unterstützung:
Neben den Sachleistungen, die von Kanton zu Kanton variieren, gibt es auch deutliche Unterschiede in der Höhe der Cash-Transfers, die die Kantone den Asylsuchenden in der zweiten Phase ausrichten. Sie reichen von 320 bis 768 Franken pro Monat.
Integrationsförderung:
11 der 26 Kantone beginnen mit der Integrationsförderung (Sprachkurse, allgemeine Ausbildung, Beschäftigungsprogramme, Praktika etc.) schon während des Asylverfahrens.
…ergeben unterschiedliche Erwerbsquoten
Die Erwerbsquote von Flüchtlingen und von vorläufig aufgenommenen Personen variiert stark zwischen den Kantonen. Dies gilt in ähnlichem Mass für Asylsuchende mit Status N, d.h. Asylsuchende, deren Gesuche noch in Abklärung sind. Die Karte zeigt, dass die Erwerbsquote unter den Erwerbsfähigen im April dieses Jahres zwischen 0 Prozent in den Kantonen Glarus, Jura, Nidwalden und Uri und 17,5 respektive 15,2 Prozent in den Kantonen Graubünden und Obwalden streute.
Die Resultate unserer Studie zeigen nun, dass diese unterschiedlichen Erwerbsquoten von Asylsuchenden signifikant von den unterschiedlichen Rahmenbedingungen beeinflusst werden. In Kantonen, in denen es kein verlängertes Arbeitsverbot gibt und die Beschäftigung nicht auf ausgewählte Sektoren beschränkt ist, arbeiten wesentlich mehr Asylsuchende. Zwischen dem offensten und dem am stärksten einschränkenden Regime besteht eine Differenz in der Erwerbsquote von im Durchschnitt 11 Prozentpunkten. Die Indikatoren zum Arbeitsmarktzugang beziehen sich auf das Jahr 2011, als die durchschnittliche schweizweite Erwerbsquote von Asylsuchenden 8,4 Prozent betrug. Da die Asylsuchenden nicht wählen können, wo sie wohnen, lässt sich der Zusammenhang nicht damit erklären, dass unterschiedlich qualifizierte Asylsuchende innerhalb der Schweiz wandern. Die statistische Analyse zeigt auch, dass die lokale Arbeitsmarktsituation (Arbeitslosenquote) die Unterschiede nicht erklären kann.
Interessant sind auch die Ergebnisse für die finanzielle Unterstützung und die Integrationsförderung: Die Grosszügigkeit der Sozialleistungen an und für sich scheint keine systematische Erklärungskraft für die Unterschiede in den Beschäftigungsquoten zu haben. Es gibt zumindest keine klaren Hinweise, dass eine grosszügige Sozialhilfe den Anreiz zu arbeiten untergräbt. Frühzeitige Integrationsprogramme scheinen nicht etwa mit positiven, sondern mit leicht negativen Effekten auf die Arbeitsmarktpartizipation verbunden zu sein. Das ist kurzfristig allerdings zu erwarten, da Asylsuchende, die an Integrationsprogrammen teilnehmen, nicht für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Der Effekt des offenen Arbeitsmarktzugangs besteht unabhängig von der Grosszügigkeit der Sozialleistungen und der Nutzung von Integrationsprogrammen.
Sprachliche Nähe hilft
Ein offener Arbeitsmarktzugang hilft vor allem Asylsuchenden, deren Herkunftssprache näher an der Hauptsprache in ihrem Gastkanton ist. Die Abbildung zeigt, dass für die sprachlich näheren Gruppen eine hypothetische Öffnung des Arbeitsmarkts von einem restriktiven zu einem uneingeschränkten Zugang die Erwerbsquote stark erhöht. Für das Viertel der sprachlich am weitesten entfernten Gruppen von Asylsuchenden erhöht sich die Erwerbsquote kaum, selbst bei einer vollständigen Öffnung. Dieses Ergebnis bestätigt bisherige Erkenntnisse, dass die sprachliche Nähe den Erwerbseinstieg stark erleichtert. Dem Spracherwerb wird deshalb bei der kürzlich von Bund und Kantonen verabschiedeten Integrationsagenda unseres Erachtens zu Recht grosses Gewicht beigemessen.
Früher Einbezug ist wichtig
Eine häufig geäusserte Sorge sind die Kosten für die Steuerzahler, die die staatliche Unterstützung von Asylbewerbern und später anerkannten Flüchtlingen nach sich zieht. Andererseits wird aber auch eine Lockerung der Möglichkeiten zur Arbeitsmarktpartizipation dieser Menschen kritisch kommentiert. Die Aussagen stehen in einem Spannungsverhältnis: Die Sorge, dass ein offener Arbeitsmarkt weitere Asylsuchende anzieht, verträgt sich kaum mit der Forderung, dass Asylsuchende weniger von der Sozialhilfe leben und stärker für sich selbst sorgen sollten.
Unsere Untersuchung zeigt klar, dass sich tiefe Erwerbsquoten neben den möglicherweise fehlenden Qualifikationen der Asylsuchenden auch ganz einfach durch regulatorische Hürden ergeben. Bei Asylsuchenden, die mit grosser Wahrscheinlichkeit den Flüchtlingsstatus erhalten, sind dies vertane Chancen. Aus anderen Studien weiss man, dass sich ein früher Einbezug in den Arbeitsmarkt positiv auf die langfristige Beschäftigung auswirkt. Es lässt sich folglich einiges lernen aus der föderalen Vielfalt im Schweizer Asylwesen.
Literatur: Michaela Slotwinski, Alois Stutzer und Roman Uhlig: Are Asylum Seekers More Likely to Work with More Inclusive Labor Market Access Regulations? WWZ Working Paper 2018/08.