Die Anbiederung der Grosskonzerne
Multinationale Unternehmen folgen gerne dem Zeitgeist und betonen, wie politisch korrekt sie seien. Damit entfremden sie sich von der bürgerlichen Gesellschaft, bleiben aber dennoch Zielscheibe der Linken.
Grosse international ausgerichtete Konzerne leisten einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Nicht nur in monetärer Hinsicht für das Bruttoinlandsprodukt und die Staatsfinanzen, sondern beispielsweise auch als Sprungbrett in die Berufswelt für junge Erwachsene. Während meiner einjährigen Arbeit bei einem der vier weltweit grössten Wirtschaftsprüfer wurden meine Excel-Fertigkeiten bis zur Perfektion gedrillt. Als Youngster habe ich gelernt, wie man innerhalb einer grösseren Struktur effektiv interagiert und kommuniziert, sei es mündlich oder schriftlich. Es sind Grundlagen, die sich in einem akademischen Umfeld nicht vermitteln lassen. Die Konzerne stellen damit eine Art Rekrutenschule dar, die Nachwuchskräften den Feinschliff gibt. Unvergesslich in Erinnerung bleiben mir auch die Feierabend-Apéros mit Expats; es sind Kontakte, die ich bis heute pflege und die ganz generell zur Weltoffenheit der Schweiz beitragen. Die Unternehmenskultur grosser Firmen erleichtert es jungen Erwachsenen, sich in einer fremden Stadt ein privates Netzwerk aufzubauen, wie ich das für Zürich als Zuzüger aus Baselland nur bestätigen kann. Kurzum: Konzerne braucht das Land!
Genau deshalb schmerzt es mich besonders, Augenzeuge ihrer aktuellen Beschwichtigungs- und Anbiederungspolitik gegenüber der identitätspolitischen Linken, gegenüber dem «Wokeism» zu sein. Das Adjektiv «woke» beschreibt ein «erwachtes» und ausgeprägtes Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit, Klimaziele und die Problematik des Rassismus; praktisch werden dabei oft sozialistische Strukturen als Mittel zur Problemlösung propagiert.
Gleichzeitig treten die Konzerne und ihre Verbände immer arroganter auf. Einerseits fordern sie vom Volk die Annahme von wirtschaftsfreundlichen Vorlagen, doch bei nächster Gelegenheit schmeicheln sie sich mit der Operation Libero bei der EU ein und predigen dem Volk mit mahnenden Fingern, wie wichtig die EU sei. Dabei bewegt sich die EU zunehmend in Richtung Etatismus und steht wirtschafts- und finanzpolitisch deutlich weiter links als die Schweiz. Dass CEOs, die eigentlich an eine freie Marktwirtschaft glauben, dem nachgeben, ist Appeasement und zeigt eine Entfremdung gegenüber dem Schweizer Mittelstand. Frei nach dem Motto: Dann verliert die Schweiz halt ihre direkte Demokratie, dafür gibt es keine Unsicherheit bezüglich des Marktzuganges.
Fürwahr, auch früher schon neigten Konzerne zu einer eigennützigen Politik. Doch heute wird sie ohne Scham mit den Schlagworten Globalisierung, Weltoffenheit und «soziale» Verantwortung vorangetrieben und in die Watte des «grün-menschlichen Wokeismus» verpackt. Der Preis dafür ist, dass viele international tätige Konzerne gesichts- und geschichtslos geworden sind und sich immer mehr von den Arbeitnehmern und von der Schweizer Gesellschaft entfremdet haben.
Ruchlose Kolosse – ein Zerrbild
Diese Entfremdung ist ein wichtiger Grund dafür, dass die bürgerlichen Parteien in der Schweiz bei Themen Niederlagen erleiden, in denen sie – wie bei der Steuerpolitik – eigentlich einen Heimvorteil haben sollten. So wurden 2022 sowohl die Abschaffung des Emissionsstempels auf Eigenkapital als auch die Reform der Verrechnungssteuer für Fremdkapital vom Volk abgelehnt. Warum schaffen es die Bürgerlichen nicht, selbst solche moderaten und sachlich fundierten Vorlagen durchzubringen? Wie Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter im SRF treffend feststellte1, operierte die Gegenseite mit dem typischen linken Feindbild der ruchlosen Grosskonzerne. Deren Schwachstelle ist deren fehlende Glaubwürdigkeit und Fassbarkeit.
Ein Ritual des unglaubwürdigen Woke-Aktivismus lässt sich jedes Jahr im Juni verlässlich auf dem sozialen Netzwerk LinkedIn beobachten. Im «Pride Month» zu Ehren des Stonewall-Aufstands in Manhattan im Jahr 1969 bekommen die Logos der internationalen Konzerne dort jeweils einen regenbogenfarbigen Anstrich. Swiss Re dekorierte zuletzt ihren Hauptsitz gar in den Regenbogenfarben. Als stolzer Gesellschaftsliberaler gefällt mir das, und ich freue mich sehr für meine homosexuellen Freunde. Nur zeigt sich, dass die Logos in Ländern wie dem Fussball-WM-Gastgeber Qatar keine Pride-Farben bekommen. Wieso nur? Das ist eine Anbiederung an den «Wokeism», die zugleich opportunistisch ist. Der daraus resultierende Verlust an Glaubwürdigkeit trägt dazu bei, dass die bürgerliche Wählerschaft bis hin zur politischen Mitte für Anliegen, die im Interesse der Gesamtwirtschaft und auch der Konzerne liegen, nicht mehr ausreichend mobilisiert werden kann.
Wenn Klimaaktivisten am Paradeplatz den Eingang der Credit Suisse blockieren, ärgert das nur Passanten und Angestellte, führt aber nicht dazu, dass sich die Grossbank noch schneller als ohnehin geplant von ihren Assets mit Treibhausgas-Stigma trennt. Das wissen auch die linken Strategen, sie können aber so dank der grossen Medienresonanz ihr Framing verstärken: «Wir, die Schwachen, kämpfen gegen den übermächtigen, klimaschädlichen Kapitalismus, der über die Polizei und den ganzen Staatsapparat gebietet!» Wenn Grosskonzerne wie die CS um des lieben Friedens willen dem Zeitgeist nachgeben, leisten sie der Verbreitung marktfeindlicher und etatistischer Ideologien Vorschub. Sie bilden damit nicht nur ein dankbares Ziel für Medienkampagnen und Abstimmungskämpfe der Linken, sondern schaden sich auf lange Frist auch selbst, indem sie ein wirtschaftsfeindliches Umfeld erschaffen. Selbst ein Machiavelli hätte es nicht besser hinbekommen.
Wer traut sich zu sagen, was ist?
Die Führungskräfte der Grosskonzerne, die CEOs und CFOs, sind meist ambitionierte und intelligente Menschen mit eindrucksvollen akademischen Abschlüssen und bereit, deutlich mehr als ein 100-Prozent-Pensum für ihr Unternehmen zu leisten. Dass sie sich so offensichtlich von Studenten der Sozialwissenschaften vorführen lassen, die gerade eine Vorlesung geschwänzt haben, um am Paradeplatz zu protestieren, sollte ihnen peinlich sein. Der Wokeismus basiert auf der Identitätspolitik, die wiederum aus wirtschaftlicher Sicht mit dem Nullsummenspiel (zero-sum game) untermauert wird. Man geht von der primitiven Annahme aus, dass wir Individuen ohne wechselseitige, für beide Seiten vorteilhafte Transaktionen interagieren. Etwa die Klimaaktivisten sehen die Welt in Schwarz und Weiss: Entweder gewinnen ein paar Ausbeuter und die Welt geht aufgrund von Ressourcenmangel und Klimawandel unter – oder wir (die Guten) gewinnen! Wieso nur geben sich unsere Wirtschaftskapitäne gegenüber dieser marktfeindlichen Theorie geschlagen?
Zum Glück gibt es auch Ausnahmen. Dazu gehört etwa Jamie Dimon, CEO der Grossbank JPMorgan Chase & Co. «Absolut nicht, und das wäre der Weg zur Hölle für Amerika!», sagte er in einer Anhörung des Financial Services Committee zur US-Bankenregulierung auf die Frage, ob seine Firma Richtlinien gegen die Finanzierung von Öl- und Gasanlagen definiert habe.2 Obschon auch beim Medienauftritt dieser Grossbank platte Bekenntnisse zu aktuellen Trends zu finden sind, ist es ein starkes Zeichen, dass der CEO bei wichtigen Regulierungen – Sachthemen, in denen es eben um den Wohlstand der breiten Bevölkerung geht – doch den eigenen Verstand walten lässt. Die meisten anderen Unternehmensführer rattern nur ihre von den PR-Abteilungen formulierten Antworten herunter, weil sie Konflikte mit der Öffentlichkeit scheuen.
«Die meisten Unternehmensführer rattern nur ihre von den
PR-Abteilungen formulierten Antworten herunter,
weil sie Konflikte mit der Öffentlichkeit scheuen.»
Unsere Konzerneliten wissen, dass die inneren Kräfte des Wokeism auf die Überwindung der marktwirtschaftlichen Gesellschaft hinarbeiten. Wer tritt hervor und benennt sie? Unter den Mitgliedern des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse ragt leider kein Jamie Dimon heraus. Dabei ist klar, dass die Anbiederung an solche Trends am Ende für jedes freie Unternehmen in die Sackgasse führt. Ironischerweise könnte nun aber ausgerechnet das schlechte wirtschaftliche Umfeld mit höheren Energiepreisen die CEOs zur Umkehr zwingen. Denn nun schauen die Investoren wieder genauer hin, ob die Einnahmen stimmen und ob ein Unternehmen gewinnbringend arbeitet.