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Reiner Eichenberger und Fabian Kuhn, zvg.

Die Alterung ist unser Glück –
packen wir es!

Das Steuersystem macht es heute uninteressant, zu sparen und mehr zu arbeiten. Werden diese Anreize wieder gestärkt, kann die Altersvorsorge gesichert und der Fachkräftemangel gelindert werden.

Viele befürchten, die gesellschaftliche Alterung überfordere die Altersvorsorge und heize den Fachkräftemangel an. Denn die Pensionierten wollen weiter konsumieren und müssen teils gepflegt werden, und ihre ­früheren Stellen müssen neu besetzt werden. Wer soll das bezahlen und die Arbeit leisten?

Bisher wurden vor allem vier Ansätze diskutiert: Erstens sollen die Jungen mehr Rentenbeiträge leisten, sprich: sie ­sollen ihren Konsum einschränken. Das aber verschärft die Probleme nur noch, denn bei weiter steigender Abgabenlast werden die Jungen immer weniger arbeiten, was die Knappheit an Arbeitskräften und Konsumgütern verschärft.

Zweitens sollen die Ausfälle durch zusätzliche Zuwanderung ersetzt werden. Auch das löst das Problem nicht. Die ­Zuwanderer erweitern zwar das Arbeitsangebot, aber ihre Konsum- und Investitionsbedürfnisse vergrössern die Arbeitsnachfrage noch stärker, was den Fachkräftemangel weiter anheizt.

Drittens soll die Fertilität gesteigert werden. Auch das ist nutzlos. Die meisten Personen verbrauchen über ihr Leben gerechnet mehr Güter und Dienstleistungen in Form von ­privatem Konsum und staatlichen Leistungen, als sie selbst erarbeiten und über ihre Steuern mitfinanzieren. Nettozahler zugunsten der Gesellschaft sind angesichts des progressiven Steuersystems nur die weit überdurchschnittlich Produk­tiven, wobei auch sie zumeist erst nach 40 bis 50 Jahren zu Nettozahlern werden.

Viertens kann das Rentenalter erhöht werden. Dagegen sind die Widerstände bekannt, auch weil manche Alte befürchten, am Arbeitsmarkt nicht mehr mithalten zu können.

Was also tun? Wir müssen die Ängste vor der Alterung abstreifen und die Probleme liberal angehen. Die Alterung ist nicht ein Problem, sondern unser Glück. Denn wir werden nicht älter, weil wir immer kränker werden, sondern weil wir immer gesünder werden. Dadurch nimmt die Zeit, in der wir freudig konsumieren und produktiv arbeiten könnten, relativ zu der Zeit, in der wir Pflege und Betreuung brauchen, zu. Wir müssten also die Früchte der Alterung nur noch ernten. Aber wie?

Steuerbelastung senkt Arbeitsanreize

Für die Finanzierung des Konsums der Alten und des Wohlstandes aller braucht es dreierlei: Die Jungen sollten mehr arbeiten und sparen, und die Alten sollten mehr arbeiten. Die entscheidende Frage ist, weshalb sie das nicht schon längst freiwillig tun.

Eine zentrale Rolle spielt die Steuerbelastung. Dabei ist nicht so sehr die totale Belastung der Arbeitsleistung pro­blematisch, sondern die Grenzbelastung, also die steuer­liche Belastung eines zusätzlichen beziehungsweise wegfallenden Einkommensfrankens. Diese beträgt für Durchschnittsverdiener aufgrund der Steuerprogression in vielen Kantonen um die 40 Prozent: rund 30 Prozent Steuern plus die AHV-Beiträge (Arbeitnehmer- und -geberseite), da diese schon Durchschnittsverdienern an der Grenze keine zusätzlichen Rentenleistungen mehr bringen und so wie Steuern wirken. Bei ­höheren Einkommen steigt die Grenzbelastung dann auf gegen 50 Prozent. Hinzu kommt, dass bei der Verwendung des so verbleibenden Einkommens auch noch Mehrwertsteuern von 8,1 Prozent anfallen. So beträgt dann die gesamte steuer­liche Grenzbelastung von Arbeitseinkommen 45 bis 55 Prozent.

Was bedeutet es, wenn Menschen die Hälfte der Früchte ihrer Arbeit weggenommen wird? Wenn im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung Frauen oft und Männer immer öfter Teilzeit arbeiten sowie der altersbedingte Rückzug aus der Marktarbeit zunehmend individualisiert wird, spielen Steuern eine immer wichtigere Rolle. Denn die persönlichen Entscheide hinsichtlich Arbeit versus Freizeit, Beschäftigungsgrad sowie Zeitpunkt und Geschwindigkeit des Rückzugs aus dem Arbeitsmarkt hängen entscheidend von der Grenzsteuerbelastung ab.

Beim Kapitaleinkommen wirkt noch ein zusätzlicher Effekt: Weil die nominellen, durch Inflation aufgeblähten Einkommen besteuert werden, wirken die Steuern oft konfiskatorisch. So lagen die nominellen Zinssätze sicherer Anlagen wie vieljähriger Schweizer Bundesobligationen seit 1950 durchschnittlich bei gut drei Prozent, wobei die Inflation rund zwei Prozent und so die realen Zinsen rund ein Prozent betrugen. Damit wurden Kapitaleigentümer auf Basis des Dreifachen ­ihres realen Einkommens besteuert!

Die Überbesteuerung ist besonders dramatisch bei festverzinslichen Anlagen. Während Aktien- oder Immobilienwerte tendenziell mit der Inflation mitwachsen, sinkt die Kaufkraft der nominell festgeschriebenen Werte wie Obligationen oder Festgeldanlagen. Zwar wachsen deren Zinsen mit der Inflation, was die Kaufkraftverluste des verliehenen Kapitals kompensiert. Aber die Eigentümer des Kapitals müssen ihre aufgeblähten nominellen Zinseinkommen und Liegenschaftsgewinne voll versteuern, ohne dass sie die Kaufkraftverluste steuerlich anrechnen können.

Die Folge: Es lohnt sich nicht mehr, mit wenig riskanten Anlagen wie Bundesobligationen zu sparen. Damit wird die private Kapitalbildung von Personen mit wenig Finanzmarktkenntnissen und kleineren Budgets weitgehend ausgehebelt.

Gezielte Steuersenkungen

Damit liegt eine Strategie zur Steigerung des Arbeitseinsatzes von Jung und Alt sowie einer Förderung des privaten Sparens auf der Hand. Wir müssen allen und insbesondere denjenigen, die zu tiefen und mittleren Löhnen viel arbeiten und gerne ein eigenes Vermögen ansparen würden, mehr ihrer Erträge lassen. Dafür braucht es dreierlei:

Erstens sollten bei der Bestimmung des steuerbaren Einkommens diejenigen, die länger als eine bestimmte Referenzarbeitszeit, zum Beispiel 35 Stunden wöchentlich, arbeiten, für jede über die Referenz hinausgehende Arbeitsstunde ­einen «Vielarbeitsabzug» von beispielsweise 30 Franken machen können.

Zweitens sollten nur noch die realen Kapitalerträge besteuert werden. Das geht einfach mit einem Steuerabzug für Inflationsverluste, welcher sich aus dem Produkt der Inflationsrate und dem Nominalwert der festverzinslichen Anlagen ergibt.

Drittens sollte das Arbeitseinkommen derjenigen, die im Rentenalter noch arbeiten, tiefer besteuert werden.

Dafür schlagen wir das Modell «SAFE AAA» vor – die Sicherung der Altersvorsorge durch freiwillige Erwerbsarbeit im Alter dank Anreizen. Es macht Arbeit im Alter durch die Senkung von Rentenbeiträgen und Steuern attraktiver und erlaubt so allen Bürgern, ihre Lebensarbeitszeit entsprechend ihren Bedürfnissen zwangsfrei und flexibel zu verlängern. Das Modell besteht aus drei Elementen:

  1. Rentenaufschub mit Beitragsrabatt: Bei einem Rentenaufschub soll gemäss unserem Modell nicht die spätere Rente erhöht, sondern sofort die Beiträge gesenkt werden. ­Arbeitnehmer, die sich beispielsweise mit 60 Jahren für Rente erst ab 67 entscheiden, könnten von 61 bis 67 von den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen praktisch ­befreit werden. Damit haben sie einen unmittelbaren ­Anreiz, länger zu arbeiten.
  2. Teilbesteuerung von Altersarbeit: Die Steuern und Ab­gaben auf Einkommen aus Arbeit über 67 sollen deutlich ­reduziert werden, um Rentnern Anreize zur Fortführung ihrer Erwerbstätigkeit zu bieten. So könnte ihr Arbeits­einkommen nur noch zur Hälfte besteuert werden, oder es könnte ihnen für alle Arbeitsstunden ein Vielarbeitsabzug gewährt ­werden.
  3. Steuermehreinnahmen für die Altersvorsorge: Mit unserem Modell würden viele Ältere freiwillig länger und mehr ­arbeiten. Damit stiege das Einkommens-, Vermögens-, Mehrwert- und auch Gewinnsteueraufkommen. Diese ­zusätzlichen Einnahmen sollen in die Altersvorsorge ­fliessen statt wie heute in die allgemeine Staatskasse.

Im Gegensatz zu den traditionellen Ansätzen, die die Pro­bleme nur noch vergrössern, verbessern unsere Vorschläge die Anreize, mehr zu arbeiten sowie zu sparen, und stärken so die Konsummöglichkeiten und die Lebensqualität in allen Altersgruppen. Sie setzen das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ernsthaft um. Denn diese entspringt nicht dem nominellen Geldeinkommen, sondern dem realen Einkommen plus der frei verfügbaren Zeit.

Die Massnahmen finanzieren sich längerfristig selbst, weil sie alle dazu beitragen, dass insgesamt mehr gearbeitet und mehr Kapital gebildet wird und so das Bruttoinlandsprodukt steigt und dadurch trotz tieferen Steuersätzen mehr Steuereinnahmen resultieren.

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