
Die acht Reiter der Apokalypse
Europa und Nordamerika stehen derzeit vor riesigen Gefahren, die zum Grossteil aus dem Inneren kommen. Doch es gibt auch Hoffnung.
In seinem lesenswerten Werk «Open» zeigt Johan Norberg ausführlich, dass wirtschaftliche und kulturelle Blütezeiten unabhängig von der Religion, der Ethnie und der Epoche an verschiedenen Orten der Welt auftreten können, sei es im heidnischen Griechenland, dem muslimischen Kalifat der Abbasiden, dem konfuzianischen China, dem katholischen Italien während der Renaissance oder in der calvinistischen holländischen Republik. Was haben diese Erfolgsgeschichten gemeinsam? Sie alle waren geprägt durch eine relative Offenheit gegenüber Handel, Migration und neuen Ideen.
Das bedeutet, dass nicht die Überlegenheit einer Religion oder Rasse die entscheidende Rolle spielt. Vielmehr hängt es von den Institutionen und vom Freiheitsgrad ab, ob eine Gesellschaft floriert oder nicht. Das sind einerseits gute Nachrichten für alle Entwicklungsländer dieser Welt, jedoch auch eine schlechte Nachricht für den Westen: Unser Wohlstand ist nicht gottgegeben.
Vor diesem Hintergrund ist es beunruhigend, dass es vermehrt Anzeichen für eine Erosion dieser Institutionen gibt. Das könnte das Ende der aktuellen Blütezeit einläuten, die seit rund 200 Jahren andauert. Acht Gründe sprechen für einen Niedergang – quasi acht apokalyptische Reiter. Doch es gibt auch drei Hoffnungsschimmer.
- Gefahr: Dogmen ersetzen Wahrheitsfindung
Eine wachsende Intoleranz gegenüber abweichenden Ansichten ist ein zuverlässiges Indiz für den Niedergang einer Zivilisation. Eine florierende Gesellschaft lebt vom Wettstreit der Ideen, von der Freiheit, aufgestellte Thesen testen und kritisieren zu dürfen. Heute ist an vielen Universitäten im Westen zu beobachten, dass der offene Geist, die Wahrheitssuche und die freie Forschung zunehmend dem Propagieren von Glaubenssätzen weichen. Dies zielt nicht auf wissenschaftlichen Fortschritt ab, sondern auf eine ideologische Gleichschaltung. Bestimmte Meinungen werden als «Angriff auf die Gefühle» interpretiert oder als «inakzeptabel» dargestellt und unter diesem Vorwand verboten, niedergeschrien oder niedergeprügelt. Im Jahr 2018 gaben in einer Gallup-Umfrage satte 37 Prozent der Studenten in den USA an, dass sie es akzeptabel fänden, kontroverse Redner niederzubrüllen. Jeder zehnte Student fand es sogar legitim, Gewalt anzuwenden, um jemanden vom Sprechen abzuhalten. Auch ausserhalb der Unis wird das Diskussionsklima immer gehässiger.
- Gefahr: Technokratisierung
Ob «Agenda 2030», «Green New Deal» oder andere grossangelegte gesellschaftliche Transformationspläne: Die ambitionierte Agenda der zunehmend etatistisch agierenden internationalen Organisationen, die insbesondere von westlichen Nationalstaaten blind übernommen wird, ist mehr und mehr gezeichnet durch einen naiven Fortschrittsglauben, wonach der Staat per Dekret die Armut überwinden, Bildung und Gesundheit für alle zur Verfügung stellen oder den Klimawandel einfrieren könne. Man glaubt, das Paradies auf Erden schaffen zu können, indem man die Menschen nur entschlossen genug zu ihrem Glück zwinge. Die technokratische Herangehensweise bei allen Problemen lautet: Der Staat findet die beste Lösung und setzt diese überall durch. Das mag verlockend klingen. Doch staatliche Gelder für Technologiesubventionen auszugeben oder die Unternehmen und Bürger mit Zwangsmassnahmen zu einem bestimmten Verhalten zu nötigen, behindert die Nutzbarmachung des Wissens der vielen, das über die gesamte Bevölkerung verstreut ist und das über den marktwirtschaftlichen Preismechanismus zum Ausdruck käme, wenn man den Markt nicht durch technokratische Masterpläne unterdrücken würde.
«Die technokratische Herangehensweise bei allen Problemen lautet:
Der Staat findet die beste Lösung und setzt diese überall durch.»
- Gefahr: Fiskalische Gier
Indem internationale Organisationen und westliche Politiker immer weitere Projekte und Programme auf den Weg bringen und dafür immer mehr Mittel benötigen, wächst auch die fiskalische Gier des Staates. Dadurch werden einerseits dezentrale Finanzierungsquellen von allerlei unternehmerischen Vorhaben immer mehr ausgetrocknet und in die Hände von Monopolisten gelegt, die kein «Skin in the Game» haben, was den wichtigen Prozess von Versuch und Irrtum, von Wettbewerb und Konkurrenz, von Verantwortung und Haftung ausschaltet. Andererseits sinkt auch die Motivation, etwas zu leisten, wenn den Leuten immer mehr Früchte ihrer Arbeit abgenommen werden. Das geschieht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern vollzieht sich…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1104 - März 2023 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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