Die absurdesten Bewegungen
Dank Internet und Social Media erwachsen auch aus Ansichten «spezieller» Natur schnell ganze Communities. Fünf Beispiele.
Voluntary Human Extinction Movement (VHEMT)
Das Motto der «Bewegung für das freiwillige Aussterben der Menschheit» lautet: «Mögen wir lange leben – und aussterben.» Sie ermutigt Menschen dazu, aus ökologischen Gründen, also um unseren Planeten zu retten, von einer Reproduktion abzusehen. Die auf ihrer Website gelisteten Fragen sind vielfach durchaus interessant – so z.B.: «Wozu diese Bewegung, wenn doch die Geburtenraten schon überall sinken?», «Braucht eine wachsende Wirtschaft eine wachsende Bevölkerung?» oder «Wer soll einst unsere Renten bezahlen?». Die Antworten sind dagegen meist wenig erhellend. Sie atmen durchwegs den Geist des Menschen als Störenfried auf dieser Erde. Wenigstens sieht die VHEMT von aktiver Menschenverachtung bewusst ab. Wer so etwas sucht, ist bei der «Church of Euthanasia» besser aufgehoben. Sie predigt zur Weltrettung auch Schwangerschaftsabbruch, Kannibalismus und – immerhin – Analverkehr.
Incels
Incel steht für «Involuntary Celibacy», zu Deutsch etwa «unfreiwillige Sexabstinenzler». Dass gewisse Menschen – fast nur Männer – ihr Leben lang gegen ihren Wunsch Jungfrau bleiben, ist zwar kein neues, aber ein bisher gesellschaftlich unterschätztes Phänomen. Verlässliche Statistiken dazu fehlen, doch es scheint plausibel, dass etwa 10 Prozent aller Männer davon betroffen sind. Internetforen ermöglichen Geplagten einen anonymen, niederschwelligen Austausch. Daraus hat sich eine eigentliche Bewegung entwickelt. Sie verfügt über ein eigenes Wiki (incels.wiki), in dem man sich z.B. darüber informieren kann, warum Incels «Chads» und «Stacys» hassen. So wird etwas, das Betroffenen im Sinne einer Selbsthilfegruppe eigentlich helfen könnte, zur Gefahr: Statt Beratung und Abhilfe zu suchen, bestärkt man sich gegenseitig in Opferrollen und suhlt sich in Rachefantasien gegen die Sexhabenden. Die mitunter auch ausgelebt werden: 2014 tötete der 22jährige Elliot Rodger in Santa Barbara 6 Studenten, verletzte 13 weitere und richtete danach sich selbst. Er hinterliess ein frauenverachtendes Manifest und wurde damit zum Helden der späteren Incel-Bewegung. Gar eine Incel-Rebellion rief Alek Minassian aus, als er – sich auf Rodger berufend – 2018 in Toronto mit einem Lieferwagen 10 Menschen tötete.
Jediismus
Die Jediisten haben sich die Jedi-Religion der «Star-Wars»-Saga zum Vorbild genommen. Bei Volksbefragungen in Grossbritannien gaben 2001 derart viele Einwohner «Jedi» als Religion an, dass diese ein eigenes numerisches Kürzel erhielt – 896 für «Jedi-Knight». Neuseeland ging sogar noch weiter und ernannte den Jediismus nach einem ähnlichen Befragungsergebnis zu einer offiziellen Religion. Ihr Hauptkonzept ist die «Macht»: ein Energiefeld, das alle lebenden Dinge erzeugen und das diese umgibt und durchdringt. Anders als in den grossen, monotheistischen Weltreligionen wird die Macht nicht personifiziert. Ein Jedi sieht es als Pflicht an, selbst für sein Tun und Nichttun geradezustehen, ohne dazu indirekt genötigt zu werden. Das Grundverständnis des Jedi ist durch gegenseitigen Respekt und nie durch gewolltes Beherrschen anderer geprägt. Insofern ist wohl keine Religion liberaler als der Jediismus.
Impfgegner
Die Community der Impfgegner wird in standhafter Faktenverweigerung grösser und grösser – und auch die gesellschaftliche Akzeptanz ihrer Besorgnis scheint zu wachsen, was angesichts der haarsträubenden Argumente der Impfgegner verblüfft: Da gibt es jene, die auf Basis eines einzigen, in der Zwischenzeit zigfach wiederlegen, wissenschaftlichen Artikels glauben, Impfungen verursachten Autismus. Andere sind der Ansicht, dass uns die moderne Medizin ohnehin nur töte – «natürliche Immunität» ist das Schlagwort und alles «Natürliche» ist a priori besser als «Chemie» (wen kümmerts, dass der Mensch unter «natürlichen» Bedingungen eine Lebenserwartung von 30–40 Jahren hatte). Dritte halten Impfungen schlicht für wirkungslos: ein grosser Schwindel der Big-Pharma, die damit ihre Bankkonten füllen. Am unterhaltsamsten sind aber die eigentlichen Verschwörungstheorien: So geistert die Sage herum, Impfungen seien von reichen Illuminaten erfunden worden, um die Kinder armer Eltern zu sterilisieren und damit die Erde selektiv zu entvölkern. Cheers!
Flat Earth Society
Wo wir schon bei Verschwörungstheorien sind: Gemäss der Meinungsforschungsplattform Yougov sollen 2 Prozent der US-Amerikaner davon überzeugt sein, die Erde sei eine Scheibe. In deren Zentrum die Arktis, nach aussen hin die «südlicheren» Erdteile, begrenzt durch einen ringförmigen Eiswall: die Antarktis. Zweifellos hat auch dieser Bewegung das Internet zu neuer Popularität verholfen. Welchem Zweck allerdings die Verschwörung aller Weltregierungen und Millionen (gekaufter) Wissenschafter über eine Erde in Kugelform dienen soll, bleibt ungewiss. Beeindruckend ist hingegen, wie diverse Flat Earther keine Kosten und Mühen scheuen, ihre Weltanschauung «wissenschaftlich» zu beweisen. Am bekanntesten ist wohl der Versuch des Raketennarrs «Mad Mike» Hughes. Eine Spendenaktion zum Bau einer eigenen, durch ihn bemannten Rakete verlief vorerst im Sand. Bis er auf die Idee kam, das Projekt als Flacherdebeweis zu framen. Die Gelder flossen plötzlich und Hughes Altmetallrakete beförderte ihn 2018 tatsächlich 572 Meter über den Grund der Mojave-Wüste. Leider reichte diese Höhe nicht, um den angestrebten Beweis zu erbringen. Wir empfehlen ihm als nächstes die Buchung eines herkömmlichen Passagierflugs.