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Dichtestress im Wald

Mountainbiker, Kindergärtler, Spaziergänger: Nutzungskonflikte im Wald nehmen zu, zum Schaden von Natur und Eigentümern. Wirksamer Umweltschutz braucht Klarheit beim Eigentum.

 

Das neue Coronavirus hat deutliche Spuren hinterlassen – auch im Wald. Reiseeinschränkungen und abgesagte Veranstaltungen zwingen dazu, das Freizeitvergnügen in heimischen Bergen, Flüssen und Landschaften zu suchen. Zu Problemen führen dabei insbesondere Waldbenutzer auf zwei Rädern: Mountainbikes aller Art gehören inzwischen zum unerfreulichen Alltag von Waldbesitzern und Förstern. Kein Hang zu steil, kein Wald zu jung, als dass er nicht als Abfahrtspiste benutzt werden könnte. Erosion, Wurzelschäden mit späterer Rotfäule, zerstörter Jungwuchs, gestörte Wildtiere, beschädigte Wanderwege oder Unfälle mit anderen Waldnutzern sind an der Tagesordnung. Mit anderen Worten: Ungehemmtes Biken querbeet durch den Wald abseits von Wegen und legalen Pisten ist in den vergangenen Monaten zu einem Umweltproblem geworden.

Aber hoppla, der Wald gehört doch jemandem! Und ist Velofahren im Wald überhaupt gestattet? Nun, offenbar schon, schliesslich ist das freie Betreten von Wald und Weide seit langer Zeit üblich und gestützt auf Artikel 699 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) auch explizit für jedermann gestattet.

Die rechtliche Ausgangslage ist tatsächlich nicht klar, weil im ZGB von «ortsüblichem Umfange» die Rede ist und die kantonalen Ausführungsgesetze zu wenig zur Klärung des Bikens im Wald beitragen. Auch zur Rechtsauslegung durch die Gerichte ist es bisher kaum gekommen. Überhaupt ist die Entschärfung der Nutzungskonflikte im Alltag schwierig und präsentiert sich für die Waldeigentümer und Förster als Dilemma. Die grossen Emotionen, welche die Bevölkerung mit Wald und Waldnutzung verbindet, können rasch ausarten und die Konfliktregelung in weite Ferne rücken. Und ist es überhaupt möglich, Bikeverbote im Wald durchzusetzen?

Verbote führen nicht zwingend zum Erfolg. Es gibt auch freiheitlichere Lösungsansätze. Diese werden seit 40 Jahren beim Property and Environment Research Center (Perc), einem privaten Forschungsinstitut und Think Tank mit buchstäblich grossem Weitblick in Montana in den USA, erforscht und entwickelt.1 Ob es um Wald, Wasser, Fische oder Wildtiere geht: Definieren, Benennen und Zuordnen der Rechte an der Natur sind die ersten Schritte zur Lösung von so vielen Umweltproblemen. Die klare Zuordnung dieser sogenannten Verfügungsrechte oder «Property Rights» hilft zwar nicht bei allen Typen von Umweltproblemen. Nützlich ist die Zuordnung jedoch beispielsweise zum Offenlegen von Verteilungskonflikten, zum Austragen von Nutzungskonkurrenz über Märkte oder zum (besseren) Einzäunen von wertvollen Ressourcen.

Die Beschäftigung mit Eigentum und Verfügungsrechten zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit von Perc. Neulich etwa durch die Arbeit von Bart Wilson, der aufgrund seiner Experimente die Menschen als «Property Species» bezeichnet.2 «Going beyond panaceas» war nicht nur ein Leitmotiv der Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom, sondern ist auch für Perc programmatisch. Voreiligen Liberalen ist deshalb dringend zur Vorsicht geraten: Die grosse Bedeutung einer klaren Zuordnung der Verfügungsrechte an der natürlichen Umwelt sagt noch nichts darüber aus, wem die Rechte am Schluss am besten gehören sollen. Mit anderen Worten: Private Verfügungsrechte, trotz ihrer vielen Vorteile, sind mit Bestimmtheit nicht in jedem Fall liberal, klug oder sonst wie erwünscht. Das freie Betretungsrecht im Wald ist das beste Beispiel dafür.

Die Wurzeln des «Free Market Environmentalism»

Viele ökonomische Lehrbücher für Anfänger und Fortgeschrittene stellen Marktversagen und negative Externalitäten in den Fokus und damit indirekt auch Regulierung sowie Umweltsteuern und -subventionen. Grosszügig blenden sie dabei Politik- und Staatsversagen aus. Diese «Nirvana-Sichtweise», wie sie einmal von Harold Demsetz bezeichnet wurde, hat aber wenig mit der realen Welt zu tun. Die Forscher in Montana denken anders, und vermutlich sind deshalb ihre Einsichten und Ideen bisher wenig in Lehrbücher eingeflossen. Aber wie kommt es, dass ein kleines privates Forschungsinstitut quasi im weltweiten Alleingang freiheitliche Lösungen für den Schutz der Umwelt sucht und findet?

Die Geschichte beginnt in den frühen 1970er Jahren mit vier jungen Sozialwissenschaftern: einem Wirtschaftsethnologen (John Baden), zwei Wirtschaftshistorikern (Terry Anderson, Peter Hill) und einem Umweltökonomen (Richard Stroup). Alle vier sind frus­triert vom schlechten Management der riesigen Bundesländereien im amerikanischen Westen und suchen nach besseren in­sti­tutionellen Arrangements. Dem Vorschlag von Milton Friedman, die Nationalparks und -wälder zu privatisieren, stehen sie kritisch gegenüber. Stattdessen machen sie sich auf die Suche nach politisch realisierbaren Lösungen. Es entwickelt sich eine neue Denkschule, welche später als «Free Market Environmentalism» bezeichnet wird.3 Mit der Gründung von Perc im Jahr 1980 werden immer mehr auch eigene Forschungsvorhaben angepackt. Insbesondere in den Sommermonaten entwickelt sich richtiggehend ein Inkubator für neue Ideen, weil Kolleginnen und Kollegen von der feuchtheissen Ostküste zu Besuch sind, um im angenehmen Bergklima auf 1500 m ü.M. ihre Forschungsprojekte zu verfolgen.

Interessanterweise lernen die Forscher durch die Beschäftigung mit der Geschichte des nordamerikanischen Westens am meisten über den Schutz der Umwelt. An der wandernden Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis gibt es keinen Staat, welcher das Leben organisiert. Vielmehr entsteht eine spontane Ordnung, welche durch das Zusammenleben der Pioniere, Siedler und Abenteurer geprägt ist und von den vielen Tauschbeziehungen untereinander lebt.4 Mit der Entwicklung der «Frontier» werden auch die natürlichen Ressourcen wertvoller und wertvoller. Es bilden sich langsam Ver­fügungsrechte an der Natur heraus. Nutzung und Schutz der Natur entstehen allmählich. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass Wald eines Tages zur wertvollen Kohlenstoffsenke wird?

Die Geschichte ist natürlich nie zu Ende. Sie entwickelt sich ständig und überall, weil der zunehmende Reichtum der Menschen plötzlich natürliche Ressourcen ins Zentrum rückt, welche bis anhin kaum interessierten. Womit wir wieder beim Biken in den Schweizer Wäldern sind.

Die Tragik des Allmendeguts

Als Eugen Huber Anfang des letzten Jahrhunderts das Schweizerische Zivilgesetzbuch verfasste, konnte er die gegenwärtige Entwicklung des Freizeit- und Erholungsverhaltens weiter Teile der Bevölkerung unmöglich erahnen. Einzig zur Aneignung von Beeren und Pilzen schien ihm ein Hinweis nötig. Die Menschen hatten andere, häufig existenzielle Sorgen. Mit E-Bikes kreuz und quer durch den Wald zu preschen, wäre mehr als utopisch erschienen.

Heute ist das anders: Das wilde Biken erzeugt im Schweizer Wald langsam eine Tragik des Allmendeguts, wie sie von Scott Gordon 1954 und später von Garrett Hardin ungleich dramatischer und öffentlichkeitswirksamer beschrieben worden ist. Es strapaziert die Toleranz der Waldeigentümer bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus, weil sie durch die umtriebigen Aktivitäten geschädigt werden, sich nicht zu helfen wissen und stattdessen mit der hohlen Hand auf Subventionen warten. Und es mutiert den Wald zum Disneyland ohne Eingangskasse.

Was tun? Eine Lösung liegt nicht auf der Hand. Einerseits ist ein Zurückbuchstabieren beim freien Betretungsrecht politisch unmöglich durchzusetzen. Weltweit wird die Entwicklung vermutlich mit zunehmendem Reichtum eher in die andere Richtung gehen. Andererseits müssen Verfügungsrechte auch verteidigt werden können, d.h. durchsetzbar sein. Doch aufgrund der damit verbundenen hohen Kosten wäre kaum ein Waldeigentümer in der Lage, seinen Wald zu zäunen oder gegen «Hausfriedensbruch» zu bewachen. Und auch die Verbote vieler Kantone, welche das Biken abseits von Pisten verbieten, nützen offenbar nichts. Die Verbote lassen sich nicht so einfach durchsetzen.

Ein Vorschlag zur Güte

Doch eines hat die Forschung von Perc gezeigt: Wenn Umweltgüter langsam knapp und damit wertvoller werden, dann sind die Eigentumsrechte an diesen Gütern zu klären. Die konkrete Umsetzung könnte anhand folgender Grundregeln geschehen:
1. Jedermann hat das Recht, auf Waldstrassen Velo zu fahren.
2. Waldeigentümer haben das Recht, im eigenen Wald auf Maschinenwegen und legalen Bikepisten Velo zu fahren. Sie können selbstverständlich das Recht an Dritte übertragen.
3. Wald­eigentümer sind berechtigt, Bikepisten ohne Bewilligungen zu errichten, sofern die Piste eine Maximalbreite und -dichte nicht überschreitet.
4. Waldeigentümer können unerlaubtes Velofahren, illegale Pisten und andere ungerechtfertigte Einwirkungen gestützt auf ein richterliches Verbot selber verzeigen.

So weit die Klärung der Rechte. Der Prozess, um gestützt darauf Lösungen zugunsten des Waldes zu finden, könnte folgendermassen aussehen:
1. Die Waldeigentümer bauen Bikepisten.
2. Gemeinsam mit anderen Waldeigentümern verkaufen die Waldeigentümer einen Bikepass.
3. Interessierte Biker kaufen einen Bikepass und sind im Wald auf Strassen, Wegen und Pisten willkommen.
4. Genervte Waldeigentümer verzeigen sowohl die Biker ohne Bikepass als auch die illegalen, vorwiegend nachtaktiven Pistenbauer.
5. Biker lernen, dass sie ein Bikepass vor Konflikten mit genervten Waldeigentümern schützt. 6. Die Waldbehörden kontrollieren die Breite und Dichte der Bikepisten (und vermutlich noch ein bisschen mehr).

Der Clou an der Sache: Wir machen ausnahmsweise einmal einen Schritt zurück zu einer Privatrechtsgesellschaft. Der Wald ist besser geschützt als heute. Niemand kommt mehr zu Schaden. Aus Sicht der Waldeigentümer ist die Rechtmässigkeit wiederhergestellt. Die unproduktive Anarchie ist überwunden. Die Rechnung bezahlen die Nutzniesser.

  1. Die Geschichte von Perc wird u.a. erzählt und beschrieben bei Walker Asserson: Economists in the Garden: The Historical Roots of Free Market Environmentalism. Perc Reports 39 (2020), S. 15–21, sowie bei John Baden: Public Choice in the Big Sky. In: Dwight R. Lee (Hrsg.): Public Choice, Past and Present: The Legacy of James M. Buchanan and Gordon Tullock. New York: Springer, 2013. S. 169–183.

  2. Bart J. Wilson: The Property Species: Mine, Yours, and the Human Mind. New York: Oxford University Press, 2020.

  3. Terry L. Anderson und Donald R. Leal: Free Market Environmentalism for the Next Generation. New York: Palgrave, 2015. Inspiriert wurde Free Market Environmentalism unter anderem von Vincent und Elinor Ostrom, Ronald Coase, James Buchanan, Gordon Tullock, Douglass North, Armen Alchian und Harold Demsetz.

  4. Terry L. Anderson und Peter J. Hill: The Not So Wild, Wild West: Property Rights on the Frontier. Stanford: Stanford University Press, 2004.

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