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Deutschland bekommt (k)ein Zuwanderungsgesetz

Deutschland braucht Zuwanderer. Den Grund dafür kennen wir längst. In den kommenden Jahrzehnten wird die Zahl der Deutschen im Erwerbsalter deutlich schrumpfen. Das ist die unerfreuliche Spätfolge unserer zu niedrigen Geburtenrate. In Zukunft werden immer weniger Junge mit frisch erworbenem Wissen aus dem Bildungssystem auf den Arbeitsmarkt nachrücken. Gleichzeitig muss eine immer geringere Zahl von […]

Deutschland braucht Zuwanderer. Den Grund dafür kennen wir längst. In den kommenden Jahrzehnten wird die Zahl der Deutschen im Erwerbsalter deutlich schrumpfen. Das ist die unerfreuliche Spätfolge unserer zu niedrigen Geburtenrate. In Zukunft werden immer weniger Junge mit frisch erworbenem Wissen aus dem Bildungssystem auf den Arbeitsmarkt nachrücken. Gleichzeitig muss eine immer geringere Zahl von Jüngeren für immer mehr Alte aufkommen; es wird schwierig werden, das derzeitige Rentenniveau zu halten. Den Standort Deutschland macht dies nicht attraktiver. Und es erschwert alle Versuche, das Defizit der öffentlichen Haushalte zu reduzieren, ohne gleichzeitig Steuern und Abgaben zu erhöhen.

Zweierlei könnte Abhilfe schaffen. Die Deutschen müssten im Lauf ihres Lebens länger arbeiten – und (oder) sie könnten versuchen, attraktive Zuwanderer ins Land zu holen. Deutschlands Malaise beruht jedoch darauf, dass viele Bürger beide Möglichkeiten für ein grösseres Problem halten als die heute unguten Aussichten für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit. Zuwanderung ist und bleibt unpopulär; ein höheres Rentenalter auch. Vernünftige Alternativen dazu gibt es jedoch nicht.

Vor dem Hintergrund dieser Problemlage wurde beschlossen, dass Deutschland das modernste Einwanderungsrecht Europas bekommen sollte. Da die rot-grüne Bundesregierung diese Neuerung aber nicht einfach mit knapper Mehrheit beschliessen wollte, suchte sie einen breiteren Konsens. Mitte 2000 bestellte Innenminister Otto Schily (SPD) eine Kommission unter Vorsitz der prominenten CDU-Politikerin Rita Süssmuth. Arbeitgeber, Gewerkschaften, Kirchen, Kommunen und Parteien wurden in die Diskussionen einbezogen.

Vor drei Jahren publizierte die Kommission ihren umfangreichen Bericht. Darin wurde ein Bündel von Massnahmen vorgeschlagen. Erstens, die aktive Auswahl qualifizierter Zuwanderer nach dem Vorbild klassischer Einwanderungsländer; zweitens, die aktive Förderung der Integration durch Sprach- und Orientierungskurse für Zuwanderer; drittens, nachhaltige Änderungen im Asylrecht. Vor allem die pro-aktive Auswahl von Zuwanderern nach einem Punktesystem sollte Deutschland einen klaren Vorteil im internationalen Wettbewerb um ökonomisch attraktive Migranten verschaffen. Kanada und Australien machen damit seit Jahrzehnten gute Erfahrungen.

Heute steht fest, dass der ehrgeizige Versuch eines zukunftsweisenden Einwanderungsrechts gescheitert ist. Die CDU lehnte das Vorhaben in seiner ursprünglichen Form ab, obwohl ihre eigenen Experten ganz ähnliche Vorschläge gemacht hatten. Die CSU ihrerseits vermochte einer aktiven Einwanderungspolitik von vornherein nichts abzugewinnen. Der rot-grünen Bundesregierung schliesslich fehlte zur Durchsetzung eine eigene Mehrheit im Bundesrat, der Länderkammer des deutschen Parlaments. Die Anschläge vom 11. September 2001 ebenso wie die steigende Arbeitslosigkeit belasteten das Reformprojekt zusätzlich. Dies führte zu langen Verhandlungen; erst direkte Gespräche zwischen Kanzler, Innenminister und Opposition ermöglichten schliesslich einen Kompromiss.

So bekommt Deutschland zwar doch ein neues Zuwanderungsgesetz, es wird am 1. Januar 2005 in Kraft treten. Seinen Namen aber verdient der Erlass nicht: das ursprüngliche Kernstück ist verloren gegangen – und so wird es auch in Zukunft keine Auswahl attraktiver Migranten nach dem Punktesystem geben. Stattdessen gilt der 1973 erlassene Anwerbestopp auch weiterhin, wenn auch mit Ausnahmeregelungen. Ambitionierte jüngere Menschen aus anderen Ländern werden sich auch weiterhin nicht oder nur unter restriktiven Bedingungen in Deutschland niederlassen können.

Zu echten Verbesserungen gegenüber dem Status quo kommt es im Bereich des Asylrechts. Ein Beispiel: Für Personen mit prekärem Status wird auf Bundes-ebene eine Härtefall-Kommission zuständig sein, die auch dann ein befristetes Aufenthaltsrecht erteilen kann, wenn ein Antragsteller im Prinzip zur Ausreise verpflichtet ist und abgeschoben werden könnte.

Neu sind überdies Bestimmungen zur inneren Sicherheit. Die Ausweisung von Terrorverdächtigen, aber auch von «Hass-Predigern» wird vereinfacht. Ist die Ausweisung nicht möglich, können die Behörden den Bewegungsraum für Verdächtige einschränken und ihnen den Kontakt mit bestimmten Personen untersagen. Eine weitere, wesentliche Forderung der Süssmuth-Kommission wird durch das neue Gesetz erfüllt, nämlich die Förderung der Integration von Zuwanderern. Fortan haben sie Anspruch auf Sprach- und Integrationskurse.

Fazit: Das neue Zuwanderungsgesetz erleichtert die Abschiebung von Fanatikern. Im Asylbereich bringt es ein Aufenthaltsrecht für eine grosse Zahl von Personen, die bislang in prekärer Lage am Rand unserer Gesellschaft lebten. Auch für die Integrationsförderung be-deutet das Gesetz eine klare Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustand. Im wichtigen Bereich der Zuwanderung allerdings vergibt das Gesetz die Chance einer zukunftsweisenden Neuregelung, wie Deutschland sie dringend bräuchte. Eine zweite Gelegenheit wird es so bald nicht geben, eine europaweite Regelung ist nicht in Sicht.

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