Der Wert der offenen Debatte
Oliver Zimmer und Bruno S. Frey: Mehr Demokratie wagen. Für eine Teilhabe aller. Berlin: Aufbau-Verlag, 2023.
Pandemie, Krieg, Klimawandel: Die Häufung von Krisen leistet der Zentralisierung von Macht Vorschub. Schnelles, entschlossenes Handeln einsichtiger Experten ist gefragt, langwierige demokratische Prozesse werden dagegen als störend dargestellt. Dahinter steht ein epistokratisches Denken, das Oliver Zimmer und Bruno S. Frey nun einer Fundamentalkritik unterziehen. Der Historiker und der Ökonom, beide Forschungsleiter am Center for Research in Economics, Management, and the Arts (CREMA), beschreiben in «Mehr Demokratie wagen» geistesgeschichtliche Grundlagen der Epistokratie, also der Herrschaft der Wissenden, und stellen ihr konkrete Vorschläge für die Stärkung der Demokratie entgegen.
Ihre Kernthese: Epistokratie steht für Alternativlosigkeit, für von oben vorgegebene Lösungen, Demokratie dagegen für Offenheit. Diese Offenheit des Austauschs und der Debatte ist gerade zur Bewältigung komplexer Herausforderungen nötiger denn je. Im ersten Teil zeichnet Zimmer die historischen Entwicklungen nach und zeigt, dass Epistokratie bis heute zumindest implizit in vielen Denkschulen und Institutionen das vorherrschende Ideal ist, etwa in der von Demokratieskepsis geprägten Europäischen Union.
Im zweiten Teil macht Ökonom Frey Vorschläge zur Stärkung einer partizipativen, dezentralisierten Demokratie: beispielsweise dezentralisierte, neue Jurisdiktionen oder der Einsatz von Losverfahren bei der Besetzung von Gremien. Die Kombination von historischer und ökonomischer Analyse ist zwar spannend, zum Teil führt sie allerdings zu Widersprüchen: Wie verträgt sich etwa die Betonung demokratischer Gleichheit mit dem Vorschlag, gewissen Altersgruppen nur ein limitiertes Stimmgewicht zuzugestehen? Solche Inkongruenzen schwächen die Überzeugungskraft des Buches, das ansonsten einen anregenden und hochrelevanten Beitrag zur Debatte über die Zukunft der Demokratie bietet.