Der verlängerte Arm des FBI

Die Enthüllung der Twitter-Files zeigt auf, wie staatliche Organe sehr direkt auf die Inhalte von wichtigen Medienplattformen Einfluss nehmen. In einer freien Gesellschaft ist das fehl am Platz.

Der verlängerte Arm des FBI
Daniel Jung (l.) und Jannik Belser, zvg.

Im Oktober 2022 übernahm Elon Musk für rund 44 Milliarden Dollar den Kurznachrichtendienst Twitter als privater Besitzer. Als neuer CEO startete er rasant und im Rampenlicht der Öffentlichkeit: Innert Wochenfrist tüftelte er an einem Bezahlmodell für die bisher kostenlose Plattform, verärgerte zahlreiche Nutzer und verlor prominente Werbekunden. Im Dezember liess Musk dann die nächste Bombe platzen: Er spannte einen kleinen Kreis von Journalisten ein – unter ihnen mit Bari Weiss und Michael Shellenberger auch zwei Autoren des «Schweizer Monats» – und liess diese unter dem Stichwort «Twitter-Files» interne Dokumente auswerten. Diese zeigen auf, wie Twitter-Mitarbeiter Inhalte nach politischen Kriterien zensierten und gewisse Geschichten bewusst verschwinden liessen – etwa eine Recherche der «New York Post» zum Laptop von Hunter Biden, auf dem sich E-Mails fanden, die auf problematische Geschäfte in der Ukraine hinweisen – und von denen wohl auch sein Vater wusste, der heutige US-Präsident Joe Biden.

Im deutschen Sprachraum stiessen die Berichte auf wenig Interesse. Das Schweizer Fernsehen SRF fand die Twitter-Files bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe keiner Berichterstattung wert. Mareile Ihde, Leiterin für digitale Kommunikation beim deutschen Beratungsnetzwerk polisphere, erklärte sich im «Faktenfinder» der ARD-«Tagesschau» die Enthüllungen so: «In einer Zeit, in der so viel Desinformation verbreitet wird in den sozialen Netzwerken, ist es logisch, dass dort eine entsprechende Moderation stattfindet.» Letztlich stütze Musk mit der Veröffentlichung der Twitter-Files primär die Narrative vieler Verschwörungserzählungen, die in den USA kursierten, so der «Faktenfinder». In linksliberalen US-Medien war von einem «Nothingburger» die Rede: zwei Scheiben Brot ohne Fleisch, ein Hauch von Nichts also. Zwar gab es auch einzelne Beiträge, welche die Enthüllungen durchaus ernst nahmen, etwa von USA-Korrespondent Martin Suter in der «Sonntags-Zeitung». Trotzdem dominierte die Meinung zu den Twitter-Files: Alles halb so wild.

Propaganda für das Pentagon

Dass Angestellte sozialer Medien in den Informationsfluss auf dem Netzwerk eingreifen (müssen), ist nichts Neues. Doch die Twitter-Files liefern Sprengstoff: So unterstützten Twitter-Verantwortliche etwa direkt Propagandazwecke des Pentagons im Nahen Osten, indem sie die Reichweite von Accounts mit USA-freundlichen Inhalten erhöhten, wie etwa Journalist Lee Fang bei «The Intercept» ausführt. Ein Mailverkehr zeigt, dass ein Angehöriger des Zen­tralkommandos Centcom, einer Abteilung im US-Verteidigungsdepartement, einem Twitter-Mitarbeiter eine Liste von 52 wohlgesinnten Kanälen zuschickte, deren Wirkung von der Plattform doch bitte verstärkt werden solle. Inhaltlich behaupteten diese Accounts etwa, dass US-Drohnenangriffe im Jemen äusserst treffgenau Terroristen vernichteten und dass dabei kaum je Zivilisten ums Leben gekommen seien. Andere Kanäle machten im Irak Stimmung gegen den Iran. Die enge Kollaboration mit den US-Behörden überrascht: Twitter hatte über Jahre hinweg behauptet, gegen staatliche Propagandakampagnen auf der eigenen Plattform entschieden vorzugehen, wie etwa Unternehmenssprecher Nick Pickles 2020 vor dem Intelligence Committee des US-Repräsentantenhauses betonte.

Standen dagegen Desinformationsvorwürfe von russischen oder chinesischen Akteuren im Raum, so scheute sich Twitter nicht vor Massnahmen: Ab 2017 kommunizierte man der breiten Öffentlichkeit gegenüber, dass die Firma alleine über die Offline-Schaltung einzel­ner ­Accounts entscheide. In Tat und Wahrheit hielt ein interner Leitfaden zur gleichen Zeit fest, dass man sich bei der Identifikation von staatsgesteuerten Cyberoperationen auf die Vorarbeit der US-Nachrichtendienste stützen wolle. So nahm Twitter Sperrlisten von Behörden wie dem FBI und der NSA entgegen. Mails zeigen, wie Twitter-­Mitarbeiter dafür im eifrigen, ja ständigen Austausch mit FBI-Agenten standen, Daten teilten sowie Für und Wider spezifischer Kontosperren diskutierten. «Der Kontakt von ­Twitter zum FBI war konstant und durchdringend – als ob Twitter eine Tochterfirma gewesen wäre», schreibt Journalist Matt Taibbi.

«Twitter nahm Sperrlisten von Behörden
wie dem FBI und der NSA entgegen.»

Die Twitter-Files zeigen auch, dass nicht nur staatliche Behörden, sondern auch Vertreter einflussreicher Unternehmen direkten Einfluss auf die Moderations- oder Zensurentscheidungen hatten. So wurde etwa im August 2021 ein Tweet des…