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Martina Kühne, zvg.

Der Verkehr verlagert sich auf die Datenautobahn

Die Verkehrsinfrastruktur wird immer stärker von der Kommunikationsinfrastruktur entlastet. Die Mobilität der Zukunft wird von Software beherrscht und angetrieben werden.

 

Menschenleere Bahnhöfe, Flughäfen und Autobahnen – die Bilder des ersten Lockdowns im Frühling 2020 waren ungewohnt. Aber nicht gänzlich neu: Die Ölkrise sorgte in den 1970er-Jahren ebenfalls für leere Strassen. Die drohende Energiekrise könnte ähnliche Folgen haben. Die Bilder offenbaren, was in Diskussionen über stetig wachsende Pendlerströme gern vergessen geht: Kapazitätsengpässe sind kein Naturgesetz, sondern ein menschenverursachtes Phänomen. Verursacht von höchst anpassungsfähigen Menschen, die, wenn’s sein muss, ihr Mobilitätsverhalten schnell ändern können.

Nun sind wir gerade alle wieder unterwegs. Wir stecken morgens im Stau oder abends in der überfüllten S-Bahn. Wir sind wieder Teil der Verkehrsproblems. Neu aber mit der Einsicht, dass wir auch Teil der Lösung sein könnten, dass wir die Zukunft der Mobilität neu denken und gestalten sollten. Dies bedingt allerdings, dass wir den Fokus nicht bloss auf Hardware wie neue Strassen, Schienen oder Hyperloops legen, sondern auch auf Software, die eruiert und bestimmt, wie wir möglichst sinnvoll unterwegs sein können. Software legt sich über alles und definiert die Art und Weise, wie wir mit der bestehenden Verkehrsinfrastruktur interagieren und die Verkehrsmittel nutzen. Und genau hier beginnt gerade die Zukunft der Mobilität.

Software definiert Mobilität neu

Vielfältige Informations- und Kommunikationstechnologien beeinflussen unsere täglichen Routinen, Routen und letztlich unsere physische Mobilität. Algorithmen, künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge bestimmen schon heute für uns in Echtzeit und vorausschauend, wie wir mit welchem Verkehrsmittel am schnellsten, effizientesten, billigsten, bequemsten, sichersten oder umweltfreundlichsten von A nach B gelangen. Und das ist erst der Anfang. Je umfassender und präziser die Software künftiger Navigationssysteme wird, desto grösser wird das Potenzial der bereits bestehenden Verkehrsinfrastruktur.

Software lässt uns einerseits die vorhandene Infrastruktur besser nutzen. Und sorgt andererseits sogar dafür, dass wir sie gar nicht erst nutzen müssen: Virtuelle Meetings und Remote Work sind heute für viele Alltag und haben eine signifikante Reduktion des physischen Mobilitätsaufkommens vom Pendlerverkehr bis zum Businessflug gebracht. Heute ersetzt der Datenverkehr zunehmend den physischen Verkehr – das Wort «Datenautobahn» ergibt endlich doch noch Sinn, schliesslich entlastet die Kommunikationsinfrastruktur immer mehr die Verkehrsinfrastruktur.

Wege verkürzen, Begegnungen fördern

Angenommen, die technische Infrastruktur hält den immer grösseren Datenströmen stand, stellen sich viele neue Fragen zur Zukunft der Mobilität. Wie werden Homeoffice und New Work unser Mobilitätsbedürfnis verändern? Werden die wegfallenden Arbeitswege mit mehr Freizeitwegen kompensiert? Und wenn ja, werden wir diese zu Fuss oder mit Auto, zu Randzeiten oder in den Verkehrsspitzen, unter der Woche oder an den Wochenenden zurücklegen?

Klar ist schon heute: Flexiblere Arbeits- und Lebensstile stellen neue Anforderungen an die bestehende Verkehrsinfrastruktur, insbesondere im öffentlichen Verkehr. Wer beispielsweise heute Rollmaterial auf lange Sicht bestellen soll, ist nicht zu beneiden. Zugleich verspricht die Flexibilisierung eine bessere Verteilung der Mobilität – und mehr persönliche Ausgeglichenheit. Schliesslich sind lange Pendelwege für viele Menschen eine Belastung.

Dasselbe gilt aber wohl auch für lange Arbeitstage im Homeoffice. Je virtueller sich das Arbeitsleben organisiert und gestaltet, desto stärker wächst die Sehnsucht nach persönlichen Kontakten, nach realen Begegnungen. Allein schon unserem geistigen und körperlichen Wohlbefinden zuliebe werden wir uns nicht weniger, dafür aber intelligenter bewegen. Und dies nicht, um von A nach B zu gehen, sondern um an die frische Luft zu kommen, anderen Menschen zu begegnen und Beziehungen zu pflegen. Der Mensch als soziales Wesen braucht Austausch.

Kombinierter Verkehr, ­geteilte Strasse

Intelligent heisst in erster Linie, die Stärken der verschiedenen Verkehrsmittel und -techniken sinnvoll zu kombinieren – über systemische Hürden hinweg. Zwar wechseln wir bereits heute vereinzelt zwischen verschiedenen Transportmitteln, zwischen Auto und Bahn, Bus und Velo – man denke an Park and Ride, Click and Drive, Velostationen und Tagesparking an Bahnhöfen. Unter Begriffen wie intermodaler oder kombinierter Verkehr wird dies künftig jedoch immer individueller und pragmatischer geschehen.

Lösen sich klassische Kategorien wie Auto oder Bahn, Bus oder Velo auf, verändert sich auch das Stadtbild. Es wird in Zukunft nicht nur von geteilten Verkehrsmitteln, sondern auch von geteilten Strassenräumen geprägt. Sich fortbewegen, sich begegnen, sich erholen – unterschiedliche Bedürfnisse müssen und sollen Platz haben. Dass sich dabei die einst klaren Grenzen zwischen öffentlich und privat, zwischen Orten und den ihnen zugewiesenen verschiedenen Funktionen auflösen, zeigt sich vielerorts schon heute. Hier das Café, das tagsüber zum Arbeitsort wird (Starbucks), dort der Parkplatz, der abends zur Gastro­nomiefläche umgenutzt wird (Parking Day). Neu dazu kommen temporäre Pop-up-Velospuren und mobile Strassenmöbel, die von Stockholm bis Stuttgart andeuten, wie der städtische Raum auf einer hyperlokalen Ebene in Zukunft gestaltet werden kann.

Das Problem der Smart City

Noch sind viele dieser neuen Konzepte nicht perfekt, haben experimentellen Charakter, bergen Konfliktpotenzial, wirken handgestrickt. Kurz: Sie passen so gar nicht ins glänzende Bild der automatisierten und effizienten «Smart City». Oder besser: Sie entlarven dessen Hauptproblem: Technikgetriebene Zukunftsbilder – vom autonom fliegenden Taxi über die Smart City bis zum Teleporter – lassen sich nicht realisieren, solange sich die Protagonisten und Protagonistinnen im System (also wir Reisende) nicht darauf zubewegen.

Statt auf den technischen Fortschritt zu warten, sollten wir also lieber neue Bilder zur Mobilität entwickeln. Solche, die nicht bei Bau, Ausbau und Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur ansetzen, sondern bei den Bedürfnissen und beim Verhalten der Reisenden. Hier liegt die Zukunft einer intelligenten Mobilität.

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