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Der verflixte Neoliberalismus oder Vom Pakt mit dem Teufel

«Liberal» ist gerade noch akzeptabel, aber «neoliberal» geht gar nicht. Die «Neoliberalen», das sind jene Zyniker, die seit den 1970er Jahren den Staat abschaffen wollen. Wer sich im Jahre 2011 «neoliberal» nennt, gilt als Staatsfeind, und Staatsfeinde sind heutzutage selbst in jenem linksalternativen Milieu des Teufels, das einst – Sie erinnern sich? – den Staat […]

«Liberal» ist gerade noch akzeptabel, aber «neoliberal» geht gar nicht. Die «Neoliberalen», das sind jene Zyniker, die seit den 1970er Jahren den Staat abschaffen wollen. Wer sich im Jahre 2011 «neoliberal» nennt, gilt als Staatsfeind, und Staatsfeinde sind heutzutage selbst in jenem linksalternativen Milieu des Teufels, das einst – Sie erinnern sich? – den Staat zerschlagen wollte.

Aber halt – hier stimmt etwas nicht. Da wir in dieser Ausgabe einen Schwerpunkt zum helvetischen Liberalismus lancieren, mag es ange-zeigt sein, zunächst die Begriffe zu klären. Denn ihr präziser Gebrauch ist Voraussetzung für ein halbwegs klares Denken, das im Zeitalter des «Semisozialismus auf eigentumswirtschaftlicher Grundlage» (Peter Sloterdijk) irgendwie durcheinandergeraten ist. Die semisozialistische Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass nur jene Aktivitäten das Prädikat «wertvoll» verdienen, die mit der Gnade staatlicher Förderung einhergehen. Es ist der Staat, der «Solidarität» und «soziale Gerechtigkeit» durch sein Management der Umverteilung nicht nur herzustellen, sondern auch zu adeln hat. Dabei ist dem Staat zu attestieren, dass er sehr erfolgreich an der Selbsterfüllung der Prophezeiung seiner Erhabenheit arbeitet. Denn wer sich Respekt und Bewunderung für die spontanen Bindungs- und Hilfskräfte der Individuen bewahrt hat, gilt als Nostalgiker.

Der Liberale hegt eine tiefe Aversion gegen jede Form von Zwang. Menschen zu überzeugen, ist sein Elixier – wo aber Menschen durch Gewalt, Begünstigung oder willkürliche Gesetze angeleitet werden, etwas zu tun, das sie sonst nicht tun würden, regt sich sein Widerstand. So viel Freiwilligkeit und so wenig Zwang wie möglich – derart könnte das liberale Credo lauten. Weil der Markt auf freiwilligem Tausch beruht, ist der Liberale marktfreundlich eingestellt. Weil der Staat das freie Denken und Handeln (und alle die daraus entstehenden Ideen und Leistungen) schützt, gehört der Liberale zu den Verfechtern eines Staates, der sich die «Selbstbegrenzung der gouvernementalen Vernunft» (Michel Foucault) auferlegt.

Und der «Neoliberalismus»? Er lehnt staatlichen Zwang zwar ebenfalls ab, doch ist er anders als der Liberalismus für eine umfassende, anleitende Politik ohne Dirigismus. Michel Foucault schreibt in seinen Vorlesungen zum Neoliberalismus aus dem Jahre 1979, die durch die Präzision ihrer Darstellung auch heute noch beeindrucken: «Der Neoliberalismus stellt sich nicht unter das Zeichen des Laissez-faire, sondern im Gegenteil unter das Zeichen einer Wachsamkeit, einer Aktivität, einer permanenten Intervention [des Staates].»

Der neoliberale Staat sieht den Markt als «staatliche Veranstaltung» (Leonhard Miksch, SPD-Mitglied, enger Berater Ludwig Erhards), wobei er die freie Konkurrenz gegen Monopole und Kartelle immer wieder herzustellen und durchzusetzen hat. Er sieht den arbeitenden und politischen Menschen als Individuum, dessen Freiheitspotentiale er über Anreize zu fördern hat. Er sieht sich selbst als Agentur, die aus Effizienzgründen nach den Prinzipien des Wettbewerbs zu funktionieren hat. Und er sieht die Liberalen als Idealisten, die der «naturalistischen Naivität» des freien Markts und des freien Menschen verfallen sind.

Als sich die neuen Liberalen 1938 am Vorabend des Kriegs am Walter-Lippmann-Symposium in Paris formierten und sich fragten, wie sie den Liberalismus ins 20. Jahrhundert retten könnten, legten sie sich verschiedene Begriffe zurecht: «Neoliberalismus», «positiver Liberalismus» und – aufgepasst! – «linker Liberalismus». Das Ideal des Neoliberalismus war ein starker und schlanker, ein fördernder und fordernder Staat – mit den Jahren geriet das «schlank» und «fordernd» freilich in Vergessenheit, und so ebnete der Neoliberalismus wider Willen den Weg zum heute herrschenden Neoetatismus. Sozialdemokraten wie Clinton, Blair oder Schröder haben in der Sozial- oder Steuerpolitik nicht zufällig auf neoliberale Rezepte der Förderung und Anleitung zurückgegriffen. Umso merkwürdiger mutet an, dass der Neoliberalismus ausgerechnet von den Neoetatisten als Inbegriff des Bösen hingestellt wird.

Die Vertreter des neoetatistischen Mainstreams haben einen Pakt mit dem neoliberalen Teufel geschlossen. Und der Liberale (ohne «neo») weiss: sie haben es nicht einmal gemerkt.

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