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Der Uterusneid des Mannes

Wer kennt nicht den Begriff des «Penisneids der Frau» von Sigmund Freud? Ich glaube nicht daran. Ich glaube an das Gegenteil – an den Uterusneid des Mannes. Und ich möchte Ihnen auch erklären, woher er kommt.

Wann wurde das erste Mal geschrieben? Genauer: Wie kam es, dass ursprünglich nur Männer schrieben, malten, kreierten? Dass viele berühmte Schriftsteller entweder Schwule oder Lesben waren? Kann es nicht gewesen sein, dass sie dadurch ihre Unfähigkeit, Kinder zu gebären, kompensierten; dass sie im göttlichen Funken der Kunst einen Ersatz für den göttlichen Nukleus des Lebens sahen?

Im Anfang war das Matriarchat. Ein Blick auf die Naturvölker genügt, um das nachzuweisen. Polynesien, Amazonas. Doch dann rebellierte der Mann. Zu Beginn gewiss insgeheim, aber mit der Zeit wurde er lauter, und das heisst auch, dass er leiser wurde: Denn das lauteste Wort ist das leiseste; kein Wort ist so laut wie das geschriebene Wort. Wann genau war das? Wie kam das zustande? Und ich meine nicht Schreiben im Sinne von Wörter schreiben oder Hieroglyphen keilen. Sondern den ursprünglichen, den ersten, wahren Text. Wann entstand der erste Logos, das erste Zeichen?

Das erste geschriebene Wort war ein Bild. Ein Höhlenbild, von Jägern nach der Jagd mit Blut und Asche auf Stein geschrieben. Und aus diesem Bild schrie es: Ich lebe auch! Ich bin! Und wenn ich nun mal bin, dann will ich auch ewig sein. Ewig, wie es eine Mutter, wie es eine Frau, wie es das Weib ist – denn Frau und Mutter waren zu jener Zeit noch eins. Oedipus war damals kein Komplex; damals war Oedipus «normal».

Mütter sind unsterblich, weil sie Göttinnen sind. Weil sie gebären. Weil sie Leben schenken. Der Mann aber kann kein Leben schenken. Der Mann kann nur jagen und für die Göttinnen, die Leben schenken, sterben. Doch der Mann sagt sich: Ich will auch wie die Ewigen sein. Und daher äfft er sie nach. In der Bibel heisst es: Der Mensch ist ein Abbild Gottes. Abbilder sind Kopien, und Kopien imitieren das Original. Also imitierte auch der Mann das Weib und versuchte zu werden wie sie: unsterblich. Wie aber tat das der Mann? Wie versuchte er, unsterblich zu werden? Der Mann tat es, wie es die Göttinnen tun. Er verewigte sich, wie es die Frau bei ihrer Niederkunft tut. Er tat es mit seinem Blut. Mit Blut und Asche, aus der alles Leben ist: Hier in dieser Höhle. Genau auf dieser Wand. Ein Strich, ein zweiter, dritter, vierter. Schau, das bist du, und das bin ich, und das – das ist der Stier, den wir vorhin erlegten.

So ungefähr muss es gewesen sein, damals, in einer Höhle des Magdalénien.

Der Mann hat sich, angetrieben von seinem Uterusneid, den Verstand zunutze gemacht. Wenn die Frau im Matriarchat noch emotional entscheiden konnte, so regiert im Patriarchat allein die Ratio des Kopfes. Dessen Höhepunkt, und wir nähern uns ihm immer schnelleren Schrittes, ist die Erschaffung menschlichen Lebens ausserhalb des weiblichen Körpers. Der Mensch aus der Retorte. Der Mann will in seinem Drang nach Ewigkeit sein eigenes Neidobjekt verzichtbar machen. Hinweg, ruft der Mann, hinweg mit dem Uterus, den der Mann der Frau neidet.

Der Mann versucht seit Jahrtausenden, die Minderwertigkeit seines Fleisches gegenüber der weiblichen Vulva durch Geist zu überwinden. Aus Neid und Furcht legte er die Frau in Ketten und sperrte sie, je nach Kulturkreis, mal ein, mal aus. Gefängnis und No-Go-Area, Serail und Männerdomäne – wo liegt da der Unterschied? Beide definieren sich darüber, dass Männer sowohl rein als auch raus dürfen, während den Frauen eines von beidem verwehrt bleibt. Frauen dürfen nicht raus aus dem Harem, und Frauen dürfen oder durften nicht rein in die Altarräume der Macht. Sie durften weder studieren noch regieren noch beten. Bis heute ist in den meisten Religionen Frauen die Nähe zu Gott verwehrt. Und das alles geschieht nur aus Furcht. Aus der Furcht des Mannes davor, dass sich die Frau auf das Wissen um ihre eigene Überlegenheit, auf das Wissen um ihre Unsterblichkeit wieder besinnen könnte.

Jeder Wahrheit wohnt ein Paradoxon inne, das stets der Wahrheit als Schutzschild dient.

Denn die Wahrheit ist ein Heiligtum, darf nicht von jedermann betreten werden. Und so stellt sich das Paradoxon, wann immer jemand der Wahrheit zu nahe kommt, schützend vor sie.

Die meisten Menschen erkennen nicht, dass es sich um ein Paradoxon handelt. Sie sehen kein Paradoxon, sondern einen Widerspruch und wenden sich von der Wahrheit, der sie gerade noch so nahe waren, wieder ab. In dieser Richtung, sagt uns unser Verstand, kann die Wahrheit sicher nicht liegen. Wir müssen einen Irrweg eingeschlagen haben. Und so kehren die Menschen, bestärkt durch den Blick zum Nachbarn, der Wahrheit kurz vor dem Ziel wieder den Rücken zu. So schützt sich die Wahrheit vor Inflation.

Was also ist das schützende Paradoxon am Uterusneid des Mannes? Es ist die Befreiung der Frau. Denn je näher der Mann seinem Ziel ist, den Uterus überflüssig zu machen (wir können es wollen oder nicht, wir können versuchen, es zu verbieten, aber es wird doch kommen), desto unabhängiger wird die Frau. Und desto überflüssiger wird der Mann. Männer, ihr wolltet die Frau, die Mutter verzichtbar machen, und ihr habt euch selbst überflüssig gemacht, eure Potenz von euren Körpern gelöst, abgeschnitten. Ihr wolltet Leben schenken können, und ihr habt erreicht, dass Frauen nicht mehr Leben schenken müssen. Ihr glaubtet, ihr werdet die Welt und den Weltraum erobern. Doch wird der erste Mensch im Weltraum ohne Wiederkehr, der erste Mensch, der die Erde auf immer verlässt, aus abermals rationalen Gründen kein Mann, sondern eine Frau sein. Warum aber das so ist, lesen Sie das nächste Mal.

 


Dieser Text ist der Auftakt zu einer kleinen Serie unter dem Titel «Von der Erschöpfung des Geschlechterdualismus».

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