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Der Traum vom Wunderland
Peter Kuster, fotografiert von Daniel Jung.

Der Traum vom Wunderland

In der Fiskal- und Geldpolitik wird der Spielraum immer enger.
Es droht ein unsanftes Erwachen.

Reichlich spät, aber immerhin haben die Zentralbanken den Kampf gegen die Inflation aufgenommen und die Leitzinsen markant angehoben. Ob sie damit die Preisstabilität innert nützlicher Frist wiederherstellen können, wird sich zeigen. Steigende Zinsen bedeuten, dass es für die Staaten teurer wird, neue Schulden zu machen. Doch da die öffentlichen Haushalte in vielen Ländern schon lange strapaziert sind, wird Fiskalpolitik zur grossen Herausforderung. Einige scheinen es vergessen zu haben, aber dass der Staat an Grenzen stösst, ist der Normalfall.

Wer in den 1990er-Jahren Ökonomie studierte und sich mit Wirtschaftspolitik befasste, für den wurde rasch eines klar: Geldpolitik war zwar wichtig, um die Inflation unter Kontrolle zu halten, aber doch etwas für Technokraten. Es ging darum, die Zentralbanken möglichst unabhängig von politischen Einflüssen zu machen, ihnen klare Ziele – Preisstabilität – sowie Regeln vorzugeben und sie dann im Sinne der monetaristischen Theorie die Geldmenge respektive die Zinsen und damit die Erwartungen steuern zu lassen. Der Spielraum für Geldpolitiker war limitiert, weil ein übermässiger Gebrauch des Notenmonopols von den Märkten rasch bestraft wurde und Inflation zur Folge hatte.

Auch die Kraft des zweiten Armes der Wirtschaftspolitik, der Fiskalpolitik, war beschränkt. Die «Bond Vigilantes» (die Wächter am Anleihenmarkt, primär für US Treasury Bonds) sorgten dafür, dass finanzielle Liederlichkeit einen hohen Preis hatte (die Schweiz führte ihre Schuldenbremse auch vor diesem Hintergrund ein). Gleichwohl war die Fiskalpolitik für die Studenten spannender, ging es doch um hochpolitische Verteilungsfragen. Wer sollte dem Staat Steuern bezahlen, und wer sollte von dessen Subventionen und Dienstleistungen profitieren?

Diese Gesetzmässigkeiten wurden mit der globalen ­Finanzkrise von 2008 auf den Kopf gestellt. Seither kennt die Wirtschaftspolitik kaum noch Grenzen. Auch die Geldpolitik kämpfte nicht mehr gegen die Inflation, sondern gegen eine diffuse Deflationsgefahr. Dafür waren nahezu alle Mittel recht, und nachdem die Zentralbanken an die Nullzinsgrenze gestossen waren, folgten massive Käufe von Staatsanleihen – die von liberalen Ökonomen befürchtete Inflationswelle blieb lange aus. Viele zeitgeistige Wissenschafter kritisierten sogar die Fiskalpolitik dafür, zu wenig expansiv zu sein – ein Ruf, dem die Politiker nur zu gerne folgten, letztmals in der Pandemie.

Die Wirtschaftspolitik schien in einem Wunderland angekommen zu sein, in dem Gelddrucken nicht zu Inflation führte und der Staat fürs Schuldenmachen bezahlt wurde: Zudem spielte neu die Geldpolitik die erste Geige. Zentralbanken verpflichteten sich dazu, den Leitzins für eine längere Zeit à tout prix tief zu halten (Forward Guidance), passten in ihrer Fixierung auf die Deflation die Definition der Preisstabilität nach oben an und entdeckten zusätzliche Aufgaben, zum Beispiel den Klimaschutz. Mit der «neuen monetären Theorie», gemäss der Fiskalpolitik gleich auch Geldpolitik ist, wurde ein Gedankengebäude ­errichtet, auf das der Begriff «Voodoo Economics» zutrifft.

Steht also nach dem Reality Check für die Fiskal- und Geldpolitik die Rückkehr in die Neunzigerjahre bevor? Leider nein. Erstens hat die intensive Nutzung der wirtschaftspolitischen Instrumente dazu geführt, dass deren Wirkung abgenommen hat, was den Spielraum für die Geld- und Fiskalpolitik verengt. Zweitens war die Krisenbewältigungspolitik erstaunlich lange erfolgreich, was die Chance verringert, dass grundlegende Reformen auf absehbare Zeit durchsetzbar sind. Drittens sind die Zentralbankbilanzen trotz zuletzt leichtem Rückgang um ein Vielfaches grösser als damals. Hohe Bewertungsverluste auf Staatsanleihen und Zinszahlungen an die Geschäftsbanken für deren Sichtguthaben lassen die gewohnten Ausschüttungen an die öffentlichen Haushalte in weite Ferne rücken, womit der Druck auf die Unabhängigkeit der Zentralbanken steigt. Dem Eingeständnis der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ, dass das Gesamtsystem zerbrechlicher geworden sei1, ist nichts anzufügen.

  1. BIS Annual Economic Report 2023, S. 41 ff.

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