Der Supercomputer von Lugano
Schweizer Spitzenforscher verfügen mit dem Hochleistungsrechner Alps über einen wichtigen Motor mit nahezu unbegrenzten möglichen Anwendungen.

Denken Deutschschweizer an Lugano, dann denken sie meistens an Sonne, Gelati und «dolce far niente». Dass Forscher hier auch Klimamodelle mit immer höherer Auflösung und Genauigkeit bauen, neue Materialien für effizientere Solarzellen erkunden oder Modelle des Erdinneren als Grundlage für Erdbebenfrühwarnsysteme erschaffen, ist wohl den meisten Menschen nördlich der Alpen nicht bekannt. Ebenfalls nur wenige wissen, dass die Schweizer Wetterprognosen hier berechnet werden, am Centro Svizzero di Calcolo Scientifico (CSCS). Es betreibt eine Hochleistungsrechen- und Datenforschungsinfrastruktur, die Spitzenforschung in der Schweiz unterstützt und ermöglicht.
Auf seinem neuen, extrem leistungsstarken Supercomputer Alps, der im Herbst 2024 eingeweiht wurde, lassen sich mittels Simulationen virtuelle Experimente durchführen. Solche etwa, die im Labor unmöglich oder viel zu teuer wären, wie zum Beispiel das Ergründen des Ursprungs unserer Galaxie. Laborexperimente und Simulationen ergänzen sich oft auch gegenseitig und fördern gemeinsam neue Erkenntnisse zutage. So nutzen Forscher aus allen Bereichen der Naturwissenschaften – zum Beispiel Materialwissenschaften, Chemie, Astronomie, Hochenergiephysik, Umweltwissenschaften, Biologie, Gesundheitswissenschaften und Ingenieurwissenschaften – die Infrastruktur am CSCS für aufwendige Berechnungen wie Simulationen und Datenanalysen. In jüngerer Zeit spielt auch maschinelles Lernen (ML), insbesondere künstliche Intelligenz (KI), eine immer wichtigere Rolle.
Generell gelten Supercomputer als die jeweils leistungsfähigsten Allzweckrechner einer Epoche. Sie können gewaltige Datenmengen verarbeiten und nahezu alle Rechenaufgaben lösen. Ihre Leistung wächst mit dem technologischen Fortschritt stetig. So ist der neue Alps-Rechner am CSCS rund 3000-mal leistungsfähiger als das System Monte Rosa von 2009. In Europa ist der Supercomputer Alps derzeit der zweitschnellste Rechner, weltweit der siebtschnellste. Dies aufgrund der traditionellen Benchmark, die für die Top-500-Liste genutzt wird. Berücksichtigt man auch die KI-Fähigkeiten der neusten Prozessoren in «Alps», steigert sich die Leistung nochmals um rund einen Faktor 30.
«In Europa ist der Supercomputer Alps derzeit der zweitschnellste
Rechner, weltweit der siebtschnellste.»
Ziehen am selben Strang: Super- und Quantencomputer
Allerdings gibt es Aufgaben, bei denen der Rechenaufwand exponentiell mit der Grösse des Problems wächst. Solche Fragestellungen werden sich auch durch künftige, noch leistungsstärkere Generationen von Supercomputern nicht zufriedenstellend lösen lassen – was Quantencomputer ins Feld rückt. Noch sind diese im Forschungsstadium, unfassbar teuer und nicht bereit, genutzt zu werden. Aber wohl in etwa fünf bis zehn Jahren werden sie vor allem jene Probleme effizient bearbeiten können, bei denen kleine Datenmengen und exponentiell steigender Rechenaufwand zusammentreffen. Beispiele dafür finden sich in der Kryptografie oder der Quantenchemie. Letztere ist grundlegend für wichtige Bereiche wie Materialwissenschaften und Pharmakologie – beides essenzielle Industriezweige für die Schweiz.
Für die Analyse grosser Datenmengen – und damit auch für KI in ihrer heutigen Form – sind Quantencomputer dagegen ungeeignet, weil allein das Laden der Daten in den Quantencomputer schon Monate oder sogar Jahre dauern würde. Sie werden die Computerlandschaft sicherlich stark bereichern, jedoch andere Aufgaben erfüllen, als Supercomputer dies tun. Daher werden Supercomputer wie Alps auch in den kommenden Jahrzehnten eine bedeutende Rolle spielen – und wahrscheinlich erst in fünf bis zehn Jahren von Quantencomputern ergänzt, die spezifische Probleme mit exponentiell steigenden Anforderungen lösen werden.
Massgeschneidert für die Forschung
In der Welt der Supercomputer führt das CSCS nun mit Alps eine neue Systemarchitektur ein, die man sich wie eine Cloud vorstellen kann. Sie lässt sich in verschiedene Partitionen aufteilen, die für bestimmte Anwendungsbereiche gezielt konfiguriert werden. Denn nicht alle Anwender haben die gleichen Anforderungen: Die einen benötigen ordentlich Datenspeicher, andere sind vor allem auf einen schnellen Datenaustausch zwischen Speicher und Computerchip angewiesen. Die einen führen über Wochen hinweg riesige Simulationen durch, andere dafür Sets aus Tausenden kleiner Rechnungen. Mit Alps nun lassen sich für jeden Anwendungs- und Forschungsbereich passgenau massgeschneiderte Partitionen einrichten – was Alps bislang weltweit einzigartig macht.
Eine dieser Partitionen ist für die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz) reserviert. Darin baut und betreibt das CSCS die Systeme, auf denen die Wettervorhersagen laufen. Man kann sich das folgendermassen vorstellen: Messdaten von allen Wetterstationen in der Schweiz sowie von Satelliten und Flugzeugen werden in ein regionales, hochauflösendes Modell für den Alpenraum eingespeist. Dieses Modell wird durch bestimmte Daten eines globalen, allerdings weniger hochaufgelösten Modells des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen (ECMWF) in Bologna ergänzt. Aus dem hochauflösenden Modell entstehen wiederum Daten, die in der Schweiz für Wettervorhersagen genutzt werden, beispielsweise von Skyguide für die Überwachung des Schweizer Luftraums.
Grosse KI-Modelle trainieren
Auf weiteren Alps-Partitionen laufen Datenanalysen für grosse Physikexperimente wie der Large Hadron Collider (LHC) am CERN. Die grössten Partitionen sind für die vielen Nutzer aus der akademischen Forschung und für die Schweizer KI-Initiative vorgesehen – eine Kooperation der beiden ETH-Standorte in Lausanne und Zürich mit dem Ziel, grosse KI-Modelle zu trainieren. Aktuell stehen vor allem ein grosses Schweizer Sprachmodell (Swiss-LLM, ähnlich wie bei ChatGPT) und ein multimodales Modell im Fokus. Beide sollen in unterschiedlichsten Bereichen wie Medizin, Rechtswissenschaften und Bildung eingesetzt werden. Darüber hinaus werden neu auch KI-gestützte Klima- und Wettermodelle entwickelt. Im Gegensatz zu KI-Modellen aus der Privatwirtschaft wie ChatGPT wird bei diesen Schweizer KIs transparent sein, mit welchen Daten sie trainiert werden. Damit können zum Beispiel kulturelle Vorurteile des Models verstanden und überwunden werden. Wichtig zudem: Damit erarbeitet sich die Schweiz eigenes KI-Know-how.
Allgemein kann man sich einen Supercomputer wie Alps als einen riesigen Rechner vorstellen, der aus Zehntausenden von komplexen Prozessoren (CPU und GPU) und umfangreichen Datenspeichern besteht, die über ein Hochleistungsnetzwerk miteinander verbunden sind. Die neuesten GH200-Superchips von Nvidia etwa sind ausgeklügelt so gestaltet, dass CPU und GPU nahtlos zusammenarbeiten.
Für KI-Anwendungen besonders relevant sind die über 10 000 Nvidia-GPUs der neuesten Generation, die 2024 auf Alps eingeführt wurden. Bei voller Auslastung benötigt das System laufend etwa 10 Megawatt elektrische Leistung, was ungefähr so viel ist wie zwei Lokomotiven und einem Tausendstel des gesamten Stromverbrauchs der Schweiz entspricht. Mit Nvidia und weiteren Anbietern von HPC-tauglichen Prozessoren wie Intel und AMD arbeitet das CSCS seit 15 Jahren eng zusammen. So ist das Rechenzentrum, besonders was GPU angeht, bestens aufgestellt. Allerdings ist Nvidia gerade bei der KI-Entwicklung derzeit marktführend, was Befürchtungen über ein mögliches Monopol aufkommen lässt. Es gibt aber Unternehmen wie AMD, die sich technologisch auf Augenhöhe entwickeln können.
«Nvidia gerade bei der KI-Entwicklung derzeit marktführend, was
Befürchtungen über ein mögliches Monopol aufkommen lässt.»
Eine grössere Herausforderung stellt das AI-Diffusion Ruling dar, das die Biden-Administration am 8. Januar 2025 veröffentlicht hat und die Einfuhr von KI-Prozessoren in die Schweiz bestimmten Einschränkungen unterstellt. Besorgniserregend ist, dass die Schweiz neben Luxemburg und Portugal zu den einzigen westeuropäischen Ländern gehört, die in dieser Hinsicht als potentiell kritisch eingestuft werden – eine Entwicklung, die zu denken geben sollte. Die wirtschaftlichen Folgen könnten erheblich sein, denn KI ist ein rasant wachsender Sektor. So werden Länder, die Importbeschränkungen für essenzielle Technologien unterliegen, unweigerlich benachteiligt.
Genauso wichtig wie Prozessoren für moderne wissenschaftliche Anwendungen und KI sind indessen die Datenspeicher: Das CSCS betreibt Speicher mit vielen Hundert Petabyte und einen mehrere Petabytes ultraschnellen Flash-Speicher, der vor allem für KI-Anwendungen genutzt wird. Zum Vergleich für den Alltagsnutzer: Ein einziges Petabyte entspricht 1000 handelsüblichen 1-Terabyte-SSD-Platten.