Der Sozialismus der dummen Kerls
Linker Antisemitismus lebt wieder auf. Die Schamlosigkeit, mit der diese Weltsicht propagiert wird, ist bemerkenswert.
Noch bevor die Leichen der am 7. Oktober ermordeten Israelis kalt waren, begannen Studenten auf dem Campus von Harvard, gegen «Zionismus» zu demonstrieren. Auf die Frage, was denn der Zionismus sei, wusste niemand eine Antwort. So fuhren die engagierten Studenten mit der laut skandierten Parole fort, «Palästina» werde «vom Fluss bis zum Meer» frei sein («From the river to the sea, Palestine will be free»).
Aber auf die Frage, um welchen Fluss und um welches Meer es sich handle, reagierten viele dieser der Hamas eher freundlich gesinnten Studenten mit Schulterzucken, grossen Augen oder verbalen Attacken. Eine Antwort blieb man schuldig.
So viel Geschichtsvergessenheit könnte komisch sein, würde sie nicht die niedersten Instinkte menschlicher Zivilisation wecken. Der ewige Jude ist wieder da. Egal, was man mit ihm angestellt hat, seine Verbrechen wiegen schwerer. Die Täter-Opfer-Umkehr wurde exemplifiziert an einer Klage gegen Israel am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, die vom korrupten Südafrika vorgebracht und von Iran initiiert und bezahlt wurde. Gegenstand des Vorwurfs: Völkermord. Beweise einer «gezielten Ermordung der Zivilbevölkerung» hatten die Kläger keine, aber Moral. So viel, dass sie einem zu den Ohren heraushing.
«Der ewige Jude ist wieder da. Egal, was man mit ihm angestellt hat, seine Verbrechen wiegen schwerer.»
Als vor zwei Jahren russische Truppen in die Ukraine einmarschierten, spielte Moral eine eher untergeordnete Rolle. Da ging es um Realpolitik und «amerikanische Interessen», wie immer bei den Linken, wenn irgendwas mit Geopolitik los ist. So weit, so legitim.
Doch plötzlich ist wieder alles anders. Im Krieg in Israel geht es plötzlich ganz viel um Moral, um «Kindermörder», um «bestialische Zerstörung» sogenannter «ziviler Ziele» wie Spitäler, von denen man inzwischen weiss, dass sie zur militärischen Infrastruktur der Hamas gehören, die jahrelang freundlich von der UNO unterstützt wurde. Es sind die linken Gutmenschen von vorgestern, die eben noch Bilder zerschossener ukrainischer Wohnsiedlungen als sentimentalen Kitsch verhöhnten und jetzt dieselben Bilder aus Gaza zum Anlass nehmen, das «moralische Gewissen der Menschheit» auf den Plan zu rufen und Israel zur Selbstaufgabe zu zwingen.
August Bebel, Sozialdemokrat erster Stunde, nannte den Antisemitismus den «Sozialismus der dummen Kerls». Sozialismus, weil irgendwas mit «gegen Kapitalismus», und dumm. Vor allem aber ist diese Dummheit eine der Verkürzung und eine der Verdrängung. Man identifiziert das «böse Geld» (Geld = Kapitalismus!) mit dem Juden und gibt ihm die Schuld – für Krise, Krieg und die eigene studentische Wohlstandsverwahrlosung. Denn insbesondere junge Leute sind für diese Art Kapitalismuskritik empfänglich, weil sie ihnen Zutritt zu den exklusivsten linksakademischen Kreisen verschafft.
Deren Mitglieder können kein Gespräch übers Wetter oder die Liebe führen, schaffen es aber, ihre Dekolonialisierungs- und Dekarbonisierungspläne jedem Desinteressierten unter die Nase zu reiben, ohne einmal rot zu werden. Oder man geht in linksbewegten Gruppen zu Lesungen von jüdischen Autoren und sorgt dafür, dass sie abgebrochen werden müssen – wie kürzlich in Berlin, als eine Hannah-Arendt-Lesung wegen schreiender Gutmenschen nicht mehr durchgeführt werden konnte. Andererseits sollte man in Schweizer Wintersportgebieten auch nicht unbedingt jüdisch sein, wenn man noch einen Schlitten mieten will. Ein Aushang in einer Davoser Schlittenvermietung gab auf Hebräisch zu verstehen, man wolle hier nicht an Juden verleihen.
Und dann war da noch der Messerangriff auf einen orthodoxen Juden im Zentrum von Zürich Anfang März. Ein tunesisch-schweizerischer Jugendlicher mit islamistischem Eifer stach scheinbar wahllos auf einen Familienvater ein. Es folgte die erwartungsgemäss heuchlerische Verurteilung der Tat durch SP- und Grünen-Politiker, die 2022 als einzige geschlossen gegen ein Verbot der Hamas in der Schweiz gestimmt hatten.
Zumindest Linke können sich nicht vorstellen, dass Islamismus-Sympathisanten gegenüber gut sichtbaren orthodox jüdischen Mitbürgern jemals ausfällig oder gar gewalttätig werden. Ganz zu schweigen von der Verharmlosung des islamischen Antisemitismus, den Linke gern unter dem Stichwort «kulturelle Diversität» subsumieren.
Über 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus ist die Linke zu ihren von August Bebel bereits im 19. Jahrhundert diagnostizierten Wurzeln zurückgekehrt. Sozialismus und Antisemitismus – heute kommt zusammen, was zusammengehört.