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Der Selektierer

Francesco Dell’Endice kam als Raumfahrttechniker an die ETH, hat ein Unternehmen gegründet und wäre bereit, die Schweiz als Freelance-Diplomat nach aussen zu vertreten. Später einmal. Zuvor revolutioniert er noch die Nahrungsmittelindustrie.

Der Selektierer

Herr Dell’Endice, wir haben nach jungen Unternehmern gesucht, die ein wertvolles Netzwerk haben und als Wissensbotschafter für die Schweiz unterwegs sein können. Dabei sind wir auf Ihren Namen gestossen. Sie fühlen sich nun hoffentlich geschmeichelt?

Klar, und die Idee hat ja viel für sich: Unternehmer, also Praktiker, also gut vernetzte Menschen, spielen in der Fremde Botschafter für ihre Landsleute. Sie stellen Kontakte her, jenseits der ausgetretenen Pfade hochoffizieller Diplomatie. Aber bis ich so weit bin, steht viel Arbeit an. Wir tüfteln hier in Dübendorf an etwas, das in der Nahrungsmittelindustrie viel bewegen könnte – und egal welcher Herkunft, ernähren müssen sich letztlich alle Menschen. Sie merken, ich bin zunächst Botschafter unseres Unternehmens. Ob in der internationalen Politik oder in der Privatwirtschaft – alle haben ihre eigenen Interessen, und es ist jeweils gut, diese möglichst offen auf den Tisch zu legen. Wenn wir heute zusammensitzen, wollen Sie eine gute Geschichte, und ich will, dass mein Unternehmen bekannt wird.

Quid pro quo: Wir erfahren von Ihnen, wie swissnex junge Unternehmer einspannt, und Sie erzählen uns die Geschichte Ihres Unternehmens. Einverstanden?

Deal. Wissen Sie, was wir hier genau machen?

Sie sortieren Getreide und wollen damit ganze Ernteausfälle verhindern. Das sind ambitionierte Ziele für ein junges Unternehmen.

Wir können damit zumindest verhindern, dass ganze Schiffsladungen und Tonnen von Getreide zerstört werden. Wenn Teile von Gütern durch Pilze oder Krankheiten befallen sind, müssen heute Produzenten und Händler von Proben auf grössere Mengen schliessen. Unsere Idee war, Samenkerne und Getreidekörner einzeln zu untersuchen. Wir lassen die Körner mit hoher Geschwindigkeit – zurzeit brauchen wir für ein halbes Kilo fünf Minuten – durch eine Maschine laufen und analysieren so Grösse, Farbe und biochemische Beschaffenheit jedes einzelnen Elements. Das funktioniert für Weizen, Gerste, Roggen, Soya- und Kaffeebohnen genauso wie für andere Rohstoffe. Und eine Maschine arbeitet hier nun mal konstanter und schneller als der Mensch.

Ein mechanisiertes Aschenputtel: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen?

Genau. Wir sortieren die Körner nach zuvor definierten Kategorien – zum Beispiel niedrige, mittlere und höchste Qualität. Durch die Verfeinerung von Produkten können die Produzenten höhere Margen verlangen. Und von befallenen Ladungen können wir die verseuchten Körner einzeln ausfindig machen und jenen Teil retten, der noch als Tierfutter verwendbar ist. Vor allem lässt sich die Technologie für alle möglichen Arten von Qualitätskontrolle anwenden. Das könnte die Art verändern, wie die Nahrungsmittelindus-trie ihre Produkte differenziert und entsprechend vermarktet. Sie sehen, wir haben viel vor.

Das ist schön und ehrgeizig. Wann wurde Ihnen klar: Ich verfüge über eine Idee, die grosses finanzielles Kapital und gute Leute anzieht?

Das war eher ein Prozess, der während meiner Zeit in der Forschung stattfand. Ich studierte Raumfahrttechnologie, wurde der rein universitären Tätigkeit irgendwann überdrüssig und suchte nach Möglichkeiten, wie Sensortechnologien für industrielle Verwendungen umgestaltet werden könnten. Meine Dissertation drehte sich um die Spektroskopie – das Messen von Stoffen anhand ihres Energiespektrums –, und ich überlegte, wie diese in verschiedenen Industrien anwendbar wäre: Nahrungsmittel, Metalle, Diamanten – besonders anziehend fand ich Rohstoffe. Eines Abends rief ich einen befreundeten Biologen an und brachte ihm, nachdem seine Neugierde geweckt war, einen Sensor vorbei, mit dem wir Körner analysieren wollten. Wir probierten es aus und fanden, dass man eigentlich die biochemische Zusammensetzung jedes einzelnen Kornes messen können müsste. Das war im Herbst 2009. Seitdem hat sich ziemlich alles verändert in meinem Leben. Und es ist für mich immer wichtiger geworden, neben der Datenwelt den geschäftlichen Teil des Spiels zu verstehen.

Die Geschäftswelt kannten Sie schon aus Ihrer Jugend – Sie schreiben in Ihrem CV, dass Sie einem unternehmerischen Umfeld entstammen. Inwiefern haben Ihre Eltern geprägt, was Sie über die Welt denken?

Mein Vater war im Handel mit Herrenbekleidung tätig. Ich begann früh, etwa mit sechs Jahren, ihn auf Geschäftsreisen zu begleiten. Wir reisten von Apulien aus in alle Teile Italiens, und mein Vater hatte jeweils einen Koffer mit Hunderten von Poloshirts dabei. Mein Job war, den Kunden in die Augen zu schauen und anhand der Blicke herauszufinden, welche Shirts das Interesse der Kunden wecken könnten. Das war lustig und interessant. Ich war ein kleiner Fratz, ständig im Anzug unterwegs. Die Leute nannten mich «short man». Ich lernte nicht nur, nach aussen aufzutreten, sondern bin seither auch in der Lage, selbst zu nähen (lacht).

Vom Kleiderhandel in Apulien zum Sensortechnik-Start-up in Dübendorf ist es ein weiter Weg. Nehmen Sie uns ein Stück weit mit – wie sind Sie als italienischer Raumfahrttechniker in die Zürcher Agglomera-tion gekommen?

Bis ich 19 war, begleitete ich meinen Vater jeweils während den Ferien und in meiner Freizeit. Irgendwann wuchs das Interesse für andere Fragen. Weil ich damals risikoavers war, wollte ich eine wissenschaftliche Karriere einschlagen, was mich nach Mailand, Frankreich und Australien führte. Mitte 20 fand ich es an der Zeit, mein an den Universitäten erlangtes Wissen über Raumfahrttechnologie zu nutzen, um ein Start-up zu gründen. Die Idee war, Bauern mit Hilfe von Satellitentechnologie zu helfen, ihren Wasserverbrauch zu optimieren. Ich hatte mittlerweile meine Risikoaversion teilweise abgelegt, doch prallte ich immer wieder gegen die «flexible» italienische Geschäftskultur. Mich zu verschulden, um damit Bestechungen zahlen zu können, war mir aber zu viel des Risikos, und ich schaute mich um, wo ich meine Idee testen könnte – ich hatte dabei zunächst Länder wie Frankreich oder Holland im Kopf. Über eine britische Website stiess ich auf eine Annonce der ETH Zürich, in der sie jemanden für die Entwicklung von Satellitentechnologie suchten und die Stelle an eine Dissertation koppelten. Ich dachte: phantastisch, ich kann Erfahrungen als Ingenieur sammeln, mein technologisches Wissen erweitern und bekomm dafür erst noch einen akademischen Grad.

Der universitäre Hort war also das Basiscamp, von dem aus riskante Unternehmungen in Angriff genommen werden konnten. Wie gingen Sie vor?

Nachdem ich mich lange mit abstrakten Daten der Spektroskopie beschäftigt hatte, gelangte ich an den Punkt, an dem ich testen wollte, wie potentielle Kunden auf meine Pläne reagieren würden. Ich ging zu Swissmill, wo der für die Qualitätssicherung Verantwortliche nur Deutsch sprach. Ich schlug mich mit Händen und Füssen durch und reiste danach zu potentiellen Kunden in die USA, nach Italien und in die Ukraine. Alle sagten: wenn du so ein Gerät entwickelst, eines, das mit grosser Geschwindigkeit einzelne Elemente analysieren kann, kaufen wirʼs. Als ich von diesen Ausflügen zurückkam, machten mein Kollege und ich bei «Venture 2010» mit, einem von der ETH organisierten Wettbewerb, und kurz darauf reichten wir unsere Business-Idee bei Venture Kick ein: Eine Woche später erhielt ich einen Anruf und wurde eingeladen, meine Idee vor 25 qualifizierten Leuten zu präsentieren. Wenige Stunden nach dem Pitch erhielt ich eine E-Mail, in der stand, dass ich 10 000 Franken gewonnen hätte. Die Prämie war ein Glück, denn ich brauchte damals Geld für Werkzeuge, um den Prototyp zu entwickeln. Es begann eine ebenso schreckliche wie schöne Zeit: Von 7 bis 9 hatte ich Sitzungen für mein Start-up, tagsüber arbeitete ich an der Uni, und abends war ich wieder-um unterwegs, um Leute zu treffen. Ich erhielt von Venture Kick Zugang zu einem Netzwerk mit Coaches – und Netzwerke sind entscheidend, wenn man Neues machen will. Ich rief sie alle an und machte die Erfahrung: Die Leute sind grundsätzlich bereit, dir zu helfen, wenn du sie richtig angehst.

Eine Studie des MIT Center for Collective Intelligence zur Anzahl von Kontakten auf linkedin, verschickten E-Mails und getätigten Telefonaten zeigt, dass es eine Verbindung gibt zwischen unternehmerischem Erfolg und dem Zugang zu Entscheidungsträgern. Waren Sie sich dessen bewusst?

Ich lernte von klein auf, dass die persönliche Ebene wichtig ist, wenn man von anderen etwas will oder Hilfe sucht. So lernte ich meine heutigen Verwaltungsräte kennen: Alberto Romaneschi, der als Finanzchef für die Nestlé Group arbeitete, und Stefan Blarer, der bei Syngenta Chef für die globale Forschung und Entwicklung war. Sie standen mir dank Venture Kick kostenlos zur Seite und entschieden sich irgendwann, eigenes Geld zu investieren.

Wie funktioniert aber nun swissnex? Als Netzwerk, mit dessen Hilfe man Zugang zu guten Kontakten bekommt – oder als Label für klassische Wirtschaftsförderung?

Ich würde sagen: als Plattform, die Unternehmer und Wissenschafter untereinander vernetzt und so Verbindungen schafft, die der Schweiz als Ganzes nützlich sind. Connecting the dots – das Motto trifft es ziemlich gut.

Noch konkreter: was erhält man und wozu muss man sich verpflichten?

Man bewirbt sich mit einem unternehmerischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Projekt und gibt seine Ziele bekannt. Wird das Projekt als gut befunden, helfen die Leute von swissnex einem dann, die eigenen Ziele zu erreichen. Wenn ich beispielsweise in den USA mein Glück versuchen und vor Ort eine Niederlassung eröffnen will, helfen sie in der Vermittlung von Experten für Unternehmens- und Migrationsrecht oder stellen Kontakte zu potentiellen Investoren her. Pascal Marmier, der damals swissnex Boston führte, ist extrem gut vernetzt und hatte Spass daran, spannende Unternehmen anzutreiben. Es wird einem angeboten, vor Ort Workshops durchzuführen und Leute in die swissnex-Konsulate einzuladen. Ich werde dort demnächst auch QualySense als Arbeitgeber vorstellen und herausragende Studenten von Harvard, dem MIT und anderen Universitäten anwerben. Es können aber auch ganz simple Dienstleistungen sein: Man darf Räume nutzen, um Verträge zu unterzeichnen – es macht einen Unterschied, ob man sich im «Starbucks» trifft oder jemanden ins swissnex-Konsulat einlädt.

Konsulate sind offizielle Auslandvertretungen. Was halten Sie von der Idee, Unternehmer als Diplomaten einzusetzen?

Zuerst möchte ich festhalten: Es gibt keine Verpflichtungen. Aber es versteht sich von selbst, dass man bereit ist, etwas zurückzugeben und später seine Kontakte fruchtbar zu machen, wenn man als junger Unternehmer gefördert wurde. Unternehmer sind gemeinhin pragmatisch und können sogar Kommunisten und Kapitalisten zusammenbringen. Wenn die Politik ähnlich funktionieren würde, ginge es uns allen besser.

Sie lachen. Aber führen Sie das doch noch weiter aus.

Wer als Unternehmer weltweit unterwegs ist, lernt, mit Menschen verschiedener Kulturen zu verhandeln und dabei immer strategische Faktoren im Kopf zu haben. Ich reise demnächst für eine Woche durch Russland und treffe dort verschiedene Leute aus der Politik und von Handelskammern sowie Kunden. Normalerweise stehen sich diese Akteure wegen Zielkonflikten distanziert gegenüber, aber wenn ein Produkt gemeinsame Interessen schafft und Win-win-Situationen entstehen, müssen sie zusammenarbeiten. So schwierig ist das nicht.

Nun, spielen wir das doch einmal durch: Wenn Sie gefragt würden, für ein Handelsabkommen zum russischen Landwirtschaftsminister einen direkten Kontakt herzustellen – würden Sie das tun?

Sofern ich diese Kontakte habe, warum nicht? Mir ist es einfach wichtig, dass konkrete Resultate erzielt werden. Zum Beispiel Türen zu öffnen, damit Schweizer Firmen nach Russland, Japan oder in die USA vordringen können oder dass die Schweiz mit anderen Ländern gemeinsam grosse Infrastrukturprojekte umsetzt. Ich habe kürzlich als Vertreter der Schweiz am Tokyo Innovation Forum teilgenommen, wo alle grossen Erfindungen präsentiert werden – Rehab-Roboter, fliegende Fische für Kinder etc. Dort habe ich wieder erfahren: es spielt überall die Macht der Netzwerke. Wenn sich also die Möglichkeit bietet, meine Kontakte im Sinne eines Unternehmer-Botschafters einzusetzen, helfe ich gerne. Nur ist jetzt nicht gerade ein idealer Zeitpunkt dafür (lacht).

Die geopolitische Bedeutung von Technologie nimmt zu, und Nationalstaaten ringen um High-Tech-Unternehmer wie Sie. Sind Sie sich Ihres Marktwerts bewusst?

Technologie ist wichtig, aber letztlich geht es immer um Humankapital: Wer zieht die besten Leute an? Technologie ist schnelllebig, verbreitet sich schnell, und man ist trotz allem eher getrieben als treibende Kraft. Wenn sich Städte und Länder um mich als Unternehmer bemühen, ist das schön. Für mich stellt sich die Frage, wo und in welcher Umgebung ich am meisten Wert schaffen kann.

Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in zehn Jahren, und wie kommen Sie dahin?

Wir wollen in eine Richtung gehen, die uns zu einem Nahrungsmittelunternehmen macht. Die Sortiermaschine ist eine Art Instrument unseres Brandings – wir sind die Spezialisten, um Produkte zu sortieren. Wenn man über eine solche Technologie verfügt, die Premiumprodukte selektieren kann, entstehen dadurch extrem viele Möglichkeiten. Man kann mit der Sortierung die Nahrungsmittelindustrie dazu bringen, neue Standards zu setzen. In den aufstrebenden Märkten sind die Qualitätskontrollen heute noch nicht sehr hoch. Aber wenn es billiger und einfacher wird, die Produkte zu testen, führt dies zu tieferen Preisen für Konsumenten und zu minimierten Ausfällen. Wir könnten versuchen, an der Front des Nahrungsmittelhandels zu agieren – noch vor den Händlern. Wenn man dies in grossen Mengen machen kann, können viele Probleme der heutigen Nahrungsmittelindustrie umgangen oder gelöst werden. Ich bin ehrgeizig und hoffe, dass wir in zehn Jahren eine Vielzahl von Problemen der Industrie gelöst haben werden.

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