…der Schweizer Neurose
Wir Schweizer sind zu freundlich, selbst dann, wenn man uns auf der Nase herumtanzt. Wir sind entgegenkommend in Zeiten, in denen Wehrhaftigkeit angesagt wäre. Wir wehren uns nicht entschlossen genug gegen infame Anwürfe und Beleidigungen, wir halten zu wenig dagegen, wenn Kampfeslust und Widerstand angezeigt wären. Wir sind zu nachsichtig gegenüber Gästen in unserem Land, […]
Wir Schweizer sind zu freundlich, selbst dann, wenn man uns auf der Nase herumtanzt. Wir sind entgegenkommend in Zeiten, in denen Wehrhaftigkeit angesagt wäre. Wir wehren uns nicht entschlossen genug gegen infame Anwürfe und Beleidigungen, wir halten zu wenig dagegen, wenn Kampfeslust und Widerstand angezeigt wären. Wir sind zu nachsichtig gegenüber Gästen in unserem Land, welche die Spielregeln nicht einhalten.
Klinisch betrachtet handelt es sich bei solchem Verhalten um Aggressionshemmung. Die Aggressivität staut sich an. Und wir richten sie gegen uns selbst. So wird aus Kraft Verzweiflung.
Wir tolerieren zu viel und passen uns einseitig an, statt auf gegenseitiger Einstimmung zu beharren. Durch grossmannssüchtige Drohungen lassen wir uns oft einschüchtern, weil wir selbstbewusstes Auftreten als Ausdruck von Schwäche umgedeutet haben.
Wir feiern bloss noch in der Isolation jene Tugenden, auf die wir uns insgeheim einiges einbilden: Selbstdisziplin, Leistungsethos, Geschäftstüchtigkeit, Zuverlässigkeit, Qualitätsbewusstsein, Sorge für das Gemeinwohl und die Natur, Besonnenheit, politische Reife und vor allem: ein gesundes Misstrauen gegenüber jeder Obrigkeit.
Warum?
Wie alle Erfolgreichen fühlen wir uns unbewusst schuldig und fürchten die Rache und den Neid der Habenichtse.
Darum gehen wir vor den neidischen Aggressoren (und das sind einige) in die Knie, steuern einen Beschwichtigungskurs, wo wir besser sachlich und selbstbewusst für unsere berechtigten Interessen einstehen würden.
Statt unsere irrationalen Schuldkomplexe zu unterdrücken, sollten wir sie uns bewusst machen und dadurch überwinden.
Der Kern des Schweizer Erfolgsmodells beruht auf harter Arbeit, Klugheit, vielfältiger Kultur und Bereitschaft für fundierte Selbstkritik.
Sagen wir Schuldgefühlen ade. Gönnen wir uns die Früchte des Erfolgs. Seien wir stolz darauf. Sorgen wir für eine leistungsgerechte Verteilung der Trophäen. Stellen wir uns den inneren Gewissensanwürfen und halten ihnen stand. Machen wir aus der Verzweiflung wieder Kraft. Schluss mit der Schweizer Neurose!