Der Sammler stirbt,
die Sammlung bleibt
Was geschieht mit einer Kunstsammlung nach dem Tod ihres Stifters? Ein Privatmuseum ist auf Dauer oft zu teuer, und bestehende Museen sind sehr wählerisch. Doch auch eine Sammlung aufzulösen muss kein Drama sein.
Die Schweiz ist ein Paradies von Sammlern und auch ein Eldorado der Privatmuseen. Seit Mitte der 1990er-Jahre wurden gut 50 private Museen neu geschaffen respektive Privatsammlungen öffentlich zugänglich gemacht. Unüberschaubar ist die Zahl der Sammlungen, die der Öffentlichkeit ganz entzogen sind. Die Schweizerische Vereinigung der Kunstsammler umfasst etwa 140 Mitglieder; dies entspricht bloss einem Bruchteil der effektiv Kunstsammelnden in unserem Land. Der Kosmos des privaten Sammelns ist sehr vielfältig und lässt sich folgendermassen aufgliedern: in Privatsammlungen ohne professionelle Ansprüche, sodann in Privatsammlungen in aussermusealen Strukturen und schliesslich in Sammlungen in Privatmuseen. Zu diesen traditionellen Formen des Kunstsammelns gesellen sich seit dem 20. Jahrhundert die Kunstfördersammlungen der Firmen und in der Gegenwart die Auffangsammlungen für Künstlernachlässe.
Wie geht privates Sammeln?
Ohne – zumindest – rudimentäre Auflistung können zusammengetragene Objekte nicht als «Sammlung» bezeichnet werden; sie bleiben «Ansammlung». Wer nicht wenigstens die Rechnungen seiner Ankäufe aufbewahrt oder deren Erwerbsumstände dokumentiert, verdient die Bezeichnung «Sammler» kaum (weil er vermutlich bloss «hortet»).
Viele Kunstsammlerinnen und -sammler begnügen sich nicht mit einer Präsentation ihrer Sammlung in den eigenen vier Wänden. Sie möchten fachlichen Ansprüchen genügen, öffentlich wahrgenommen werden, einen Beitrag an den Kulturbetrieb leisten. Solche aussermusealen Strukturen mit Schausammlungen oder Sichtlagern beobachten wir bei Privatsammlern immer öfter. Deren Hauptverantwortliche, nämlich die Sammelnden selbst, schenken ihr Augenmerk dem fachgerechten Aufbewahren in adäquaten Räumlichkeiten, sorgen sich um die Konservierung ihres Sammlungsgutes, betreuen das Sammlungsinventar und organisieren den Leihverkehr. Etliche solcher Privatsammler beschäftigen sogar eigenes Personal. Mangels regelmässiger öffentlicher Zugänglichkeit gelten derart professionalisierte hybride Privatsammlungen aber nicht als Museen.
Privatsammlungen empfinden viele als besonders interessant, weil sie meist fokussiert sind, Sammlerpersönlichkeiten spiegeln und oft vom Themenmainstream
abweichen. Eine besondere Gruppe bilden dabei die Sammlungen, die von Händlern, zum Beispiel von Galeristen, zusammengetragen werden. Als bedeutender Kunsthandelsstandort ist die Schweiz reich an solchen «Händlersammlungen». Da Händler auf ihrem Gebiet Profis sind, nähern sie sich bei ihrem Umgang mit ihrem Sammlungsgut den professionellen Standards von Museen an. In der Schweiz haben wichtige Kunsthändler wie Ernst Beyeler oder Angela Rosengart gezeigt, wie die Grenzen zwischen Kommerz und Sammeln und Museum ineinanderfliessen. Mit seiner Fondation Beyeler in Riehen respektive ihrer Sammlung Rosengart in Luzern haben die beiden zwei Privatmuseen für die Kunst des 20. Jahrhunderts gegründet, deren Bestände die Crème de la crème zweier exemplarischer Kunsthändlerkarrieren bilden. Wirklich erfolgreiche Art Dealer sind auch in der Lage, die Markttrends als Trendsetter zu beeinflussen. Denn sie definieren in ihren Marktsegmenten den Kanon der angesagten Kunstschaffenden. Somit profitieren sammelnde Kunsthändler von einem Markt, in dem sie eben Insider sind.
Erfolg beim Sammeln – und auch bei der Nachfolge?
Ich kenne keinen Sammler, der sich nicht Gedanken über ein mögliches Fortleben seiner Sammlung nach dem eigenen Ableben machen würde. Sammler mit eigenen Nachkommen gehen mit dieser Thematik etwas lockerer um. Für Sammler ohne Nachkommen und ohne viel Eigenmittel bilden bestehende Museen die grössten Hoffnungsträger, und diese bringen oft die bittersten Enttäuschungen: Die Bereitschaft und die Kapazitäten für Übernahmen ganzer Sammlungen durch Ankauf, Dauerleihgabe oder Schenkung sind sehr eingeschränkt. Trotzdem beobachtet man einen ausgeprägten Run von Privatsammlern auf die Museen. Die eigene Sammlung dauerhaft in einem Museum zu platzieren – über einen Verkauf oder auch «bloss» als Depositum – bedeutet in vielen Fällen Ziel und Auszeichnung für einen Sammler. Lukrative Verkäufe eines ganzen Sammlungskonvoluts an Museen lassen sich dabei – angesichts deren eingeschränkter Anschaffungsetats – in den seltensten Fällen realisieren. Auch Dauerleihgaben ganzer Kollektionen in guten Häusern können attraktiv sein, zumal wenn sie eine Symbiose zwischen Depositär und Leihgeber bilden. Ein aktuelles Beispiel stellt der Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich dar, der auf anderthalb Geschossen grosse Werkgruppen aus den Sammlungen von Emil G. Bührle, Werner und Gabriele Merzbacher sowie Hubert Looser als Dauerleihgaben präsentieren kann. Auffällig dabei: Alle diese drei Privatsammlungen wurden wenige Jahre zuvor im Rahmen von temporären Ausstellungen bereits einmal – als Probeläufe? – im Kunsthaus gezeigt. Museen und Privatsammler befruchten sich also im besten Fall gegenseitig. Das Museum profitiert von der Ausstrahlungskraft einer ihm auf Zeit anvertrauten Sammlung. Die Leihgeber freuen sich an der weiteren «Nobilitierung» und der mutmasslichen Wertsteigerung ihrer Sammlung dank prominenter Umgebung.
«Für Sammler ohne Nachkommen und ohne viel Eigenmittel bilden
bestehende Museen die grössten Hoffnungsträger, und diese bringen oft die bittersten Enttäuschungen.»
Um einen allfälligen finanziellen Wertzuwachs nicht mehr kümmern müssen sich Privatsammler, die ihre Bestände zu Lebzeiten an ein Museum verschenken oder vermachen. Solche unentgeltlichen Übernahmen stehen hinter den meisten Zuwächsen von musealem Sammlungsgut. Aus dem letzten Jahr in Erinnerung geblieben ist die Schenkung von knapp 30 Werken der klassizistischen Malerin Angelika Kauffmann durch den Sammler Johannes Fulda ans Bündner Kunstmuseum. Etwas zurück liegt die Schenkung von Valentin Jaquets integraler Sammlung zeitgenössischer lateinamerikanischer Volkskunst an das Museum der Kulturen Basel im Jahr 2014. Dieses Museum wäre wohl kaum in der Lage (und vielleicht auch nicht interessiert?) gewesen, aus eigenem Antrieb zu diesem neuartigen Themengebiet eine so grosse und vielfältige Sammlung zusammenzutragen. Sie ist wohl ein gutes Beispiel für mögliche Einflüsse der Sammler auf das Akquisitionsgebaren der Museen.
Ein Privatmuseum bildet nicht immer den Königsweg
Das Perpetuieren einer Sammlung innerhalb des eigenen Privatmuseums mag man sich als höchstes aller Gefühle des betroffenen Sammlers vorstellen. Mit der erwähnten Fondation Beyeler und der Sammlung Rosengart verfügt die Schweiz über zwei hervorragende private «Händlersammlermuseen». Mit Gründungsjahr 1997 respektive 2002 sind sie bereits ins Erwachsenenalter getreten – freilich auch sie nicht ohne finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand. In beiden Fällen beteiligen sich mittlerweile die Kantone und Standortgemeinden subsidiär an den Betriebskosten. Beispiele von Privatmuseen, die sich unter das institutionelle Dach eines öffentlichen Museums flüchten mussten, sind zahlreich: das Zentrum Paul Klee (faktisch nun Teil des Kunstmuseums Bern), die Sammlung Imobersteg (heute eine Stiftung innerhalb des Kunstmuseums Basel) und die Villa Flora (nun Kunst-Museum Winterthur).
Wenn die Finanzierung eines Privatmuseums bei dessen Gründung nicht langfristig gesichert wurde, kann irgendwann die Aufgabe eines solchen Museums drohen. Der Sammlung für Eisenplastik Dr. Hans Koenig in Zollikon und dem Coninx-Museum der Werner-Coninx-Stiftung in Zürich ist in den vergangenen Jahren dieses Schicksal widerfahren (wobei die Sammlung der Coninx-Stiftung immerhin vor einem Verkauf bewahrt wurde und in Teilen als Dauerdeposita etablierten Museen übertragen wurde). Aktuell ist der Fall des Museums Langmatt, dem das Badener Stimmvolk am 17. Juni finanziell unter die Arme gegriffen hat (und es trotzdem nicht vor dem verpönten Teilverkauf seiner Impressionistensammlung schützen kann).
Nachhaltige Finanzierungen von Privatmuseen können sich praktisch nur Grossmäzene leisten. Maja Oeri finanziert ihr Schaulager in Münchenstein und Hansjörg Wyss ist als Geldgeber bei der Fondation Beyeler dauerpräsent. Sie leiten als Stiftungspräsidien beide Privatmuseen auch noch strategisch. Konzerne treten ebenfalls als Museumsträger auf, so etwa die Roche für das Museum Tinguely in Basel oder die Firma Würth mit ihren Foren in Arlesheim, Chur und Rorschach.
Als mögliche Alternative zu den privaten Museen oder Schausammlungen wird immer wieder das Modell des Sammlermuseums diskutiert. 1991 hatte das Museum Neue Weserburg Bremen als Heimstatt von elf privaten Sammlungen diesen Museumstypus erstmals nach Europa gebracht. Durchgesetzt hat er sich hier trotzdem nicht, wie das ungebrochene Wachstum der Privatsammlungen mit professionellen Lagerstrukturen zeigt: Viele der Sammler wollen die Nähe zu ihrer Sammlung gar nicht aufgeben und sehen sich dazu – unabhängig und vermögend, wie sie sind – auch nicht veranlasst. Bedauerlicher Nebeneffekt ist, dass viele dieser privaten Kunstsammlungen einem grösseren Publikum weitgehend entzogen sind (auch wenn Leihgaben an Ausstellungen Dritter gelegentlich punktuelle Einblicke geben mögen). Es fehlt hierzulande eine bauliche und logistische Struktur, die im Sinne einer «Sammler-Ausstellungshalle» privaten Sammlungen, die üblicherweise verborgen bleiben, temporäres Gastrecht gibt.
Ein steter Kreislauf
Den wenigsten Sammlerinnen und Sammlern gelingt eine befriedigende Nachfolgeregelung, zum Beispiel die Übertragung in ein dauerhaft finanziertes Privatmuseum oder ein Verkauf, ein Dauerdepositum oder wenigstens eine Schenkung an ein renommiertes Museum. Selbst die zukunftsträchtige Vererbung einer Sammlung gelingt nicht immer. Wer aber glaubt, dass ein privater Sammler nur Erfolg hat, wenn seine Sammlung nach seinem Ableben irgendwie weiterlebt, hat eine einseitige Sicht auf das Sammlerwesen. Sammlungsverkäufe zu Lebzeiten oder Sammlungsauflösungen durch die Nachkommenschaft sind in einer solchen Betrachtungsweise die Folge misslungener Übertragungen. Websites von Auktionshäusern mit Auflistungen «Beispiele für versteigerte Sammlungen» (zum Beispiel bei der Galerie Koller in Zürich) lesen sich dann wie Nekrologe.
Doch ist es tatsächlich schlimm, wenn eine Sammlung aufgelöst und verstreut wird? Da das Sammeln, insbesondere unter den Sammlern selbst, als kulturelle Leistung betrachtet wird, gilt das Auflösen von Sammlungen einigen als Sakrileg. Nicht so dem Basler Kunstsammler Hans Furer: «Entweder kommt eine Sammlung ins Museum, oder sie wird am Schluss des Lebens in einem Auktionshaus verkauft, wo andere Sammler darauf warten, ihre Sammlung zu ergänzen.» Viele Dienstleistungszweige leben vom kontinuierlichen Kreislauf alter Sammlungsgüter und neuer Sammlungszweige durch Verkauf, Kauf, Tausch, Lagerung etc. Die Akteure (und Profiteure) sind dabei die Antiquare, Auktionatoren, Experten, Galeristen, Händler, Kuratoren, Zollfreilageristen und – eben die nachfolgenden Privatsammler.