Der Redner im Bildraum
Der Künstler Thomas Huber
Eine Zumutung, wenn ich es mir recht überlege. Über Kunst zu schreiben! Oder können Sie erklären, warum dies von Journalisten, Kunstkritikern und Museumsdirektoren mit grösster Selbstverständlichkeit erwartet wird? Schliesslich geht ja auch niemand davon aus, dass jeder, der nur ein wenig singen kann, auch fähig ist, ein Lied zu einem x-beliebigen Bild zu komponieren. Oder ist Ihnen am Kiosk schon einmal neben den Tageszeitungen eine täglich neu erscheinende CD mit musizierten Ausstellungskritiken aufgefallen? Kennen Sie etwa einen Ausstellungsmacher, der seine Besucher von Bild zu Bild leitet, ununterbrochen das Cello oder die Klarinette spielend?
Eine Zumutung auch, über Kunst zu lesen! Kaum betreten wir eine Kunsthalle, dann hängt an der ersten Wand nicht etwa ein Bild. Nein, man erblickt dort einen Text, der in Werk und Leben des ausgestellten Künstlers einführt. Handzettel in mindestens vier Sprachen werden in Plexiglasbehältern neben den Türen angeboten. Findet sich in den Ausstellungsräumen eine der viel zu raren Sitzgelegenheiten, dann ist dort garantiert ein Katalog angekettet, in dem sich viel zu viel Text um schlecht gedruckte Bilder ringelt wie ein Python ums Kaninchen. Nicht zu vergessen die Unsitte der Führungen, die ja nichts anderes sind als laut memoriertes Geschriebenes. Recht bedacht, ist es weitgehend unmöglich, in einer Kunstausstellung Bilder zu sehen: zuerst ist der Zugang versperrt, weil Trauben von Menschen den an den Wänden angeschlagenen Einführungstext lesen; ist dieses Hindernis überwunden, dann wird der Blick auf die Bilder durch Besucher verstellt, die den Ausführungen eines Kunsthistorikers lauschen.
Die Schlussfolgerung ist daher nicht von der Hand zu weisen, dass wir all die Texte und all das Gerede brauchen, weil wir uns vor der Unmittelbarkeit der Kunst fürchten. Dafür spräche auch die Beliebtheit der Museumsshops, in denen wir in Bücher eingesperrte und von Texten gesicherte Abbilder von Bildern betrachten können. Vielleicht könnte man sogar so weit gehen und vermuten, dass die Worte erfunden wurden, um sich vor den Bildern zu schützen – und dass die Bilder daher lange vor den Worten existierten.
Wie gefährlich Bilder sein können, davon kann der Maler Thomas Huber viel erzählen. Gefährlich sind sie für Kunsthochschulprofessoren. Weil ein Bild mit zu heissem Pinsel gemalt und ausserdem im pädagogischen Konzept der Bildraum mit den Universitätsräumen unüberlegt verschachtelt worden war, ging eine Kunsthochschule in Flammen auf, und der dafür verantwortliche Professor wanderte ins Gefängnis. Gefährlich sind Bilder auch für Ausstellungsmacher. Weil ein Bild, es zeigte das Meer, zu stark gesalzen worden war und daher die Bildoberfläche – Thomas Huber nennt sie treffender «Wirklichkeitshinterfläche» – den osmotischen Druck nicht aushielt, fing das Bild so stark zu tropfen an, dass dem Ausstellungsmacher das Wasser bald bis zum Halse stand und alle Bilder weggeschwemmt wurden. Gefährlich sind die Bilder vor allem für die Künstler und ihre Familien. Weil ein Maler die Lebenswirklichkeit ständig mit der Bildwirklichkeit durchmischte, wurden schliesslich seine Frau und seine Kinder im Bild eingeschlossen, und es soll vier Jahre gedauert haben, bis das Bild geöffnet und die Unglücklichen befreit werden konnten.
Wegen all dieser traumatischen Erfahrungen ist Thomas Huber ein vorsichtiger Maler. Er malt grosszügige Bildräume und ist sich nicht zu schade, diese immer wieder leerzuräumen und zu säubern. Die Gefahr, dass wir durch ungenügend befestigte oder unachtsam herumliegende Dinge aus seinen Bildern erschlagen werden, ist daher gering. Er stellt uns Bänke ins Bild, damit wir uns Zeit nehmen und ausruhen können. Er malt sich selbst ins Bild, damit er uns im Bild und vor einem weiteren Bild eine Rede halten kann (was, nebenbei bemerkt, etwas ganz anderes ist, als wenn Journalisten, Kunstkritiker oder Museumsdirektoren über ein Bild reden). Und damit es uns nicht zuviel wird, malt er die Bilder im Bild meist nur von hinten. Wir können also gefahrlos durch die Bildoberfläche hinter die Wirklichkeitshinterfläche treten, es uns im Bildraum bequem machen, der Rede Thomas Hubers zuhören und entscheiden, wann wir das Bild im Bild umdrehen, um einen Blick auf seine Vorderseite zu wagen.
Thomas Huber, geboren 1955 in Zürich, lebt und arbeitet zurzeit in Neuss (www.huberville.de). Abbildungen seiner Bilder, begleitet
von einem seiner Texte, finden sich auf den Seiten 9, 14, 23, 32, 33, 37, 43 und 51 sowie dem Titelblatt und der Innenklappe (© VG Bild-Kunst, Bonn)