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Der neue Deal

Das Wissen über funktionierende Institutionen der Demokratie und des Föderalismus ist ein Trumpf der Schweiz. Und könnte zum Exportschlager werden. Um sich aus der internationalen Schusslinie zu manövrieren, braucht die Schweiz der Welt bloss ein attraktives Angebot zu machen.

Der neue Deal

«If you’re not at the table, you’re on the menu.» Dieses Bonmot aus Washington beschreibt trefflich die Risiken jener internationalen Machtpolitik, der die Schweiz seit der Schlacht von Marignano 1515 selber abgeschworen hat. Doch ob eskalierender Steuerstreit mit den USA, schwarze Listen der OECD oder Flughafenstreit mit Deutschland – Selbstmitleid ist fehl am Platz. Die delikate Lage bietet vielmehr die Chance, nach Möglichkeiten zu suchen, um langfristig von der machtpolitischen Speisekarte wieder zu verschwinden – und stattdessen selbst am Tisch Platz zu nehmen.

Eine wichtige Lektion können wir dabei von alt Bundesrat Max Petitpierre lernen. Petitpierre entwickelte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine nach ihm benannte Doktrin, die auf dem Prinzip des Gebens und Nehmens beruhte. Der Deal: in der Nachkriegszeit bot die Schweiz ihre Guten Dienste und humanitäres Engagement an – im Gegenzug gewährte ihr die internationale Staatengemeinschaft die Neutralität.

Die Parallelen zur heutigen Situation sind klar: Weil der internationale Druck auf die Schweiz nicht von alleine abnehmen wird, tut die Schweiz gut daran, sich mit einem attraktiven Angebot an die Staatenwelt aus der Schlusslinie zu manövrieren. Wir brauchen Petitpierre 2.0! Dabei sollte die Schweiz auf eine ihrer grossen Stärken setzen und deren Export aktiv anbieten: unser Wissen über funktionierende Institutionen der Demokratie und des Föderalismus.

Ob es um effektive Regierungsführung, die Promotion des Rechtsstaats oder die Legitimation von Institutionen geht: die Schweiz ist Denkplatz, Forschungslabor und Kompetenzzentrum für direktdemokratische und föderale Institutionen, die bei uns viele Belastungsproben überstanden haben und sich über längere Zeit erfolgreich entwickeln konnten.

Was wir heute als funktionierendes System erleben, verdankt sich nicht zuletzt auch grenzüberschreitendem Erfahrungsaustausch. Die Amerikanische und auch die Französische Revolution waren wichtige Impulsgeber für die Entwicklung direktdemokratischer Volksrechte in der Schweiz; beim Entwurf der Verfassung von 1848 liessen sich deren Architekten stark von dem in den USA und anderswo gesammelten Wissen inspirieren. Davor hatten Schweizer Rechtsgelehrte in der Konzeption der amerikanischen Verfassung von 1787 mitgewirkt, und die berühmten «Federalist Papers» zeugen davon, wie sehr sich die amerikanischen Verfassungsväter von der Idee eines institutionellen Lernprozesses leiten liessen. Importiert haben die USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch jene direktdemokratischen In­strumente, die die Schweiz kurz zuvor auf nationaler Ebene entwickelt hatte (1874 das fakultative Gesetzesreferendum, 1891 die Verfassungsinitiative). Was damals galt, hat auch heute noch seine Gültigkeit: auf internationaler Ebene besteht ein grosses Interesse an funktionierenden institutionellen Lösungen. Und die Schweiz ist in diesem Markt äusserst gut positioniert.

Die weltweite Nachfrage

Eine beispielhafte Episode aus der jüngeren Vergangenheit: im Januar 2011 liess der mongolische Staatspräsident Tsakhiagiin Elbegdorj anlässlich eines Besuchs in der Schweiz verlauten, er wolle in seinem Land die direkte Demokratie wie bei uns einführen. In Gesprächen mit Schweizer Experten in Demokratiefragen wurden gemeinsam Modelle entwickelt, die zwar vom Schweizer System inspiriert, aber auf den lokalen Kontext in der Mongolei angepasst sind. Seit diesem denkwürdigen Besuch haben sowohl in der Mongolei als auch in der Schweiz mehrere weitere Treffen stattgefunden, um erste Elemente der Demokratisierung dieses Staates auch tatsächlich umzusetzen.

Das Problem an der ganzen Geschichte: Entgegen den diplomatischen Gepflogenheiten übersprangen Präsident Elbegdorj und seine vierzigköpfige Delegation die übliche Höflichkeitsvisite in Bern und bescherten stattdessen dem Kanton Aargau den ersten Staatsgast seit 150 Jahren. Der Besuch kam also nicht dank den Bemühungen helvetischer Diplomatie zustande, sondern dank der Aargauer Kantonalregierung – und nicht zuletzt auch dank dem grossen persönlichen Engagement des mongolischen Präsidenten. Das Zentrum für Demokratie (ZDA) in Aarau, ein universitäres Forschungsnetzwerk für Fragen der direkten Demokratie und des Föderalismus, schien ihm folglich geeigneter, um für das eigene Land zu lernen, als ein diplomatischer Austausch mit der offiziellen Schweiz. Diese offizielle Schweiz täte gut daran, solche Chancen in Zukunft nicht mehr zu verpassen! Die Schweizer Expertise und der Dialog zu Föderalismus- und Demokratisierungsfragen sollten zu einem Standardangebot der Aussenpolitik gemacht werden, um so die vorhandene Nachfrage auch zu bedienen.

Zweifellos, das Modell einer aufgezwungenen Top-Down-Demokratisierung wie im Falle des Irakkriegs ist ebenso gescheitert wie zahllose gutgemeinte Missionierungsversuche durch den Westen in anderen Teilen der Welt. Doch die Schweiz hat den Vorteil, als eines der wenigen Länder des Westens keine koloniale Vergangenheit zu haben und deshalb historisch unbelasteter agieren zu können. Natürlich ist das Schweizer Demokratie-Gesamtpaket kein Allheilmittel für alle Länder und unser System selbstverständlich nicht das einzige seligmachende. Im steten Dialog mit den jeweiligen lokalen Akteuren können Schweizer Wissensträger jedoch ihre Expertise anbieten, um auf die Verhältnisse vor Ort adaptierte Lösungen zu entwickeln, die Elemente der schweizerischen Demokratie oder des spezifisch eidgenössischen Föderalismus enthalten.

Der Export

Die Schweiz verfügt über ein weltweites Aussennetz von rund 140 Botschaften und Konsulaten. Wer, wenn nicht die mit den lokalen Umständen vertrauten Diplomaten können Situationen erkennen, in denen ein Wissensexport fruchtbar wäre? Wer sonst sollte hinter den Kulissen die Fühler ausstrecken, erste Kontakte zu lokalen Akteuren herstellen und dann als Türöffner für Schweizer Experten dienen? Auch hier kann von einer bereits sehr erfolgreichen Struktur gelernt werden: Swissnex. Diese Agentur für Technologie- und Wissenschaftsdiplomatie hat es in den letzten Jahren geschafft, eine Plattform für die Schweiz zu schaffen, wo vorher bloss ein gähnendes Nichts war. Dank innovativer Vernetzung mit führenden Technologieinstituten entsteht ein Wissenstransfer, der Schweizer Hochschulen und Unternehmen zugute kommt. Die Swissnex-Hubs sind an die jeweiligen Botschaften und Konsulate angegliedert und befinden sich in boomenden Orten in Indien, China oder auch im Silicon Valley (USA).

Ein ähnliches Hub-System ist auch geeignet, um den Demokratie-Export mit geringen Kosten und guten Erfolgschancen zu testen. Beispielsweise könnte ein lokaler Schweizer Demokratie-Hub in Addis Abeba (Äthiopien) – dem Sitz der Afrikanischen Union – die boomende Region abdecken, in der chinesische Investitionen und eine sich rasant entwickelnde Wirtschaft für einen Zuwachs an Wohlstand sorgen und dringender Bedarf nach einer Entwicklung des politischen Systems besteht. Eine besondere Chance stellen auch politische Umbrüche dar, wie sie im Zeichen des arabischen Frühlings auftraten. In Libyen besteht grosses Potential. Die stark fragmentierte und durch das Stammessystem geprägte Gesellschaft wird kaum als zen­tralistisch organisierter Staat Bestand haben; ein Mehrebenensystem mit föderalen Elementen könnte Teil einer Lösung sein. Die Schweiz könnte, ja sollte auch hier ein Angebot zum Demokratie-Export machen.

Nach einer Marktanalyse, die das Potential ermittelt, ginge es in der praktischen Umsetzung darum, die Demokratie-Offensive mit bereits bestehenden Aktivitäten der Schweiz vor Ort zu verknüpfen – es müssten also auch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), die Image-Agentur «Präsenz Schweiz» sowie die Aussenwirtschaftsförderer der Osec eingebunden werden. Als wichtige Akteure könnten zudem die Kantone helfen, einen bürgernahen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen.

Die Investition

Alles schön und gut – aber wer bezahlt? Auch hier hat Swissnex beispielhafte Vorarbeit geleistet: sogenannte Private-Public-Partnerships haben sich als innovatives Finanzierungsmodell bereits etabliert – es handelt sich dabei um beidseitig Profit erzeugende Kooperationen zwischen öffentlicher Hand und privaten Unternehmen. Denn wer als Unternehmen mit seinen Produkten von der Marke «Swissness» sowie von stabilen Rahmenbedingungen profitiert, hat ein immanentes Interesse am Demokratie-Export. Die Unternehmen schaffen dadurch Werte, die ihnen selbst zugute kommen – Stichwort: «creating shared value» – und werden deshalb bereit sein, einen Teil der Mittel zu decken. Ein weiterer sehr diskreter Akteur, der auch unbedingt Teil des Projektes sein sollte, sind die Schweizer Stiftungen. Sie verfügen sowohl über Expertise als auch über das nötige Geld, um einen substan­tiellen Beitrag zu leisten.

Damit wäre die Struktur in In- und Ausland festgelegt. Jetzt braucht die Schweiz nur noch ein Forum, zu dem sie künftige Partner einladen kann. Warum nicht zur Lancierung der Initiative ein Demokratie-und-Föderalismus-WEF ins Leben rufen? Beispielsweise im (symbolischen!) Landsgemeinde-Kanton Glarus in Braunwald.

Der Schweiz bietet sich die Chance, sich als globaler Denkplatz für Demokratie- und Föderalismusfragen zu etablieren und ihr Wissen Partnerländern aktiv anzubieten. Sie könnte die Grundlagen ihres erfolgreichen Staatsaufbaus als inflationssichere Währung einsetzen und in Zukunft an jenem grossen runden Tisch Platz nehmen, dessen Tischplatte sie selber mitzudecken hilft.

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