Der Kampf um die  Zollbefreiung des Bonsais
Patrick Ziltener, zvg,

Der Kampf um die
Zollbefreiung des Bonsais

Freihandelsabkommen bringen für sich allein noch nichts. Die Wettbewerbsvorteile müssen von den Unternehmen auch genutzt werden.

 

Vielen liegt die Vorstellung nahe, dass Freihandelsabkommen (FHA) einfach freien Handel schaffen, im Sinne von: Zugbrücke runter, freie Bahn für alle Teilnehmer, keine Beschränkungen im bilateralen Warenverkehr. Leider ist die Realität anders.

Zollbefreiung muss beantragt werden, der Schweizer Ursprung der Ware muss dokumentiert sein, und gegen technische oder andere Handelshemmnisse helfen bilaterale FHA praktisch nichts. Dennoch profitieren Schweizer Exporteure massiv: Allein im Jahr 2018 wurden bei der Ausfuhr von Waren laut einer vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) in Auftrag gegebenen Studie 1,8 Milliarden Franken an Abgaben faktisch eingespart. Auf der Importseite wurde im gleichen Jahr noch mehr, nämlich rund 2,5 Milliarden Franken, eingespart.

Goldene Formel des Freihandels

Als ich im SECO zuständig für die Wirtschaftsbeziehungen mit Japan war und dort im Sekretariat der FHA-Verhandlungen fungierte, rief mich eines Tages ein Bonsai-Importeur an. Er sagte, Freihandel mit Bonsai (so auf japanischen Wunsch ausdrücklich im bilateralen FHA festgehalten) sei ja eine gute Idee, aber die Einfuhr werde verweigert, weil die Bonsai mit den Wurzeln in Erde steckten, und die Einfuhr dieser war aus phytosanitären Gründen verboten – es geht um die Vermeidung der Einschleppung von besonders gefährlichen Schadorganismen. Inzwischen gibt es besondere Nährlösungen, die die Bäumchen am Leben erhalten und dieses Risiko eliminieren sollen.

Ein anderes Beispiel aus dem Agrarbereich: Bei der Auswertung der Nutzung unseres FHA mit Südkorea erschien auf der Liste der Produkte mit nicht ausgeschöpftem Sparpotenzial ein Posten ganz oben, der mich einigermassen erstaunte: Schweizer Mozzarellakäse. Gerade bei Käse ist der Ursprungsnachweis simpel – in der Regel vollständig in der Schweiz hergestellt – und die Schweizer Lebensmittelexporteure nutzen FHA überaus fleissig. Wieso also die hohen Zölle für Mozzarella? Die Lösung des Rätsels war einfach: Man hatte sich im Agrarteil auf die Liste der bekannten Schweizer Käsesorten beschränkt, die sogenannten AOP-Sorten («Appellation d’origine protégée», geschützte Ursprungsbezeichnung) – dazu gehört Mozzarella eben nicht. In der Folge wurden weiterhin 20 Prozent Einfuhrzoll auf den Frischkäseexport im Wert von rund 6 Millionen Franken jährlich geschlagen.

Auf der Basis von einem Dutzend FHA-Auswertungen habe ich drei Faktoren definiert, die zusammen die «Goldene Formel» der FHA-Nutzung ausmachen: Anreiz plus Einfachheit plus Routine.

Zunächst muss ein Anreiz dafür bestehen, ein FHA aktiv zu nutzen. Wiederum dient Japan als Beispiel: Rund 88 Prozent der Schweizer Exporte nach Wert sind bereits zollfrei, da Japan in vielen Bereichen freihändlerisch aufgestellt ist. Alle WTO-Mitglieder, mit oder ohne FHA, können das meiste zollfrei nach Japan exportieren. Bei den Landwirtschaftserzeugnissen hingegen, also hauptsächlich Lebensmitteln, hat Japan noch relevante Zollsätze in Anwendung. Rund zwei Drittel der Schweizer Exporte in diesem Bereich nutzen deshalb das FHA tatkräftig, in den erwarteten Bereichen wie Kaffee und Schokolade zum Beispiel. An der Spitze der Einsparungen steht aber ein stark zuckerhaltiges Energiegetränk, das im St. Galler Rheintal abgefüllt wird und in jedem japanischen Konbini (Convenience Store) mit dem Label made in Switzerland steht.

Oft geschieht der Zollabbau aufgrund eines FHA in Teilschritten über 10 bis 15 Jahre. Das verringert unweigerlich den Anreiz zur Nutzung in den ersten Jahren und erklärt damit die anfängliche Ernüchterung mit dem für die Schweiz bedeutendsten Abkommen ausserhalb der EU, demjenigen mit der Volksrepublik China. Wir stehen jetzt im achten Jahr des chinesischen Zollabbaus, so dass der Anreiz zur Nutzung mittlerweile beträchtlich ist – schliesslich geht es um ein Sparvolumen, konservativ geschätzt, von einer halben Milliarde jährlich.

Einfachheit der Anwendung ist ein unmittelbar plausibler Faktor: Je komplizierter und zeitaufwendiger die Nutzung eines FHA, desto geringer fällt sie auch aus. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die FHA sich ja untereinander unterscheiden in den Bestimmungen, also zum Beispiel in der genauen Festlegung von «Schweizer Ursprung». Ich habe Unternehmen getroffen, die (vergeblich) versuchten, eine…

«Facettenreiche Perspektiven
statt monotoner Haltungsjournalismus.»
Peter Hettich, Professor für öffentliches Wirtschaftsrecht,
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