Der Kampf um die Datenhoheit auf dem Handy
Jannik Belser, fotografiert von Andy Gawlowski.

Der Kampf um die Datenhoheit auf dem Handy

Messengerdienste wie WhatsApp verschlüsseln Nachrichten standardmässig. Doch wirklich geschützt sind private Daten erst, wenn der Anbieter seine Nutzer nicht kennt.

 

Im Frühjahr 2020 ereignete sich Erstaunliches: In der ganzen Welt machten sich selbst technisch wenig bewanderte Nutzer plötzlich ernsthafte Sorgen um ihre Privatsphäre. Was war geschehen? Der beliebte Kurznachrichtendienst WhatsApp, der seit 2014 Facebook gehört, revidierte seine Nutzungsrichtlinien. Und obwohl sich kaum jemand die Lektüre der neuen Vorgaben zu Gemüte führte und sich erkundigte, was bei der App überhaupt anders werde, kehrten zahlreiche wütende Nutzer dem Messengerdienst den Rücken. Alternativen wie Telegram und Signal profitierten.

Deutlich mehr Nutzer verzeichnete auch der Schweizer Messengerdienst Threema: Vergangenes Jahr hat er erstmals die Grenze von zehn Millionen Downloads weltweit geknackt. «Eigentlich können wir Facebook dankbar sein: Sie trampeln von einem Fettnäpfchen ins nächste und bescheren uns so Zulauf», sagt CEO Martin Blatter.

Entstanden ist Threema am Küchentisch: Vor rund zehn Jahren entwickelt Blatter mit zwei Freunden eine App, die eine Alternative zu den gängigen Kurznachrichtenanbietern sein soll. Die drei Informatiker nennen sie anfänglich EEEMA – kurz für «End-to-End Encrypted Messaging Application». Mit dem Taufnamen verdeutlichen die Entwickler ihre Vision: Sie wollen eine Kommunikation ermöglichen, bei welcher die Nachrichten des Absenders nur vom Empfänger gelesen werden können – ohne Möglichkeiten zur Einsehbarkeit durch Dritte, auch nicht durch den Anbieter. In der Fachsprache nennt man diesen sicheren Kanal eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. «2012 gab es so was eigentlich noch nicht», sagt Blatter.

Illustration von Stephan Schmitz.

Was Zuckerberg über Sie wissen will

2013 erhält die Debatte um den Schutz der privaten Kommunikation neue Dynamik: Edward Snowdens Enthüllungen zu den umfänglichen Überwachungstätigkeiten der amerikanischen Behörden sorgen dafür, dass immer mehr Nutzer auf Sicherheit vor Überwachung pochen. Zahlreiche Kurznachrichtenanbieter reagieren und satteln auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung um. Auch WhatsApp erhält seit 2016 standardmässig keine Einsicht in den Inhalt Ihrer Privatnachrichten mehr – es sei denn, Sie speicherten Ihre Chats mit einem Back-up auf der Cloud. Eine Ausnahme stellt bis heute der russische Anbieter Telegram dar, der letztes Jahr besonders unter Kritikern der Coronamassnahmen grossen Zulauf erhielt und paradoxerweise zu einem grossen Nutzniesser der neuen Nutzungsrichtlinien auf WhatsApp wurde: Hier muss die Verschlüsselung privater Konversationen optional aktiviert werden. In den beliebten Telegram-Gruppenchats ist die Kommunikation nach wie vor nur unverschlüsselt möglich.

Wenn selbst Facebook auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung setzt, darf man getrost bilanzieren: Kryptografie ist endgültig im Mainstream angekommen. Wo liegt also überhaupt Threemas Existenzberechtigung? Im Kern kann man diese Frage mit einem einzigen Wort beantworten: Meta­daten. WhatsApp mag zwar die genauen Inhalte Ihrer Textnachrichten nicht mitlesen können. Das heisst aber noch lange nicht, dass WhatsApp mit Ihren Handlungen auf der App keine Aussagen über Sie tätigen kann. Whats­App weiss zwar nicht, was Sie Ihren Bekanntschaften schreiben – WhatsApp weiss aber, wer Ihre Freunde sind und wie regelmässig Sie sich mit ihnen austauschen. Diese Kenntnis über Ihr Netzwerk lässt Rückschlüsse über Ihr Naturell zu: Wenn Ihr Cousin beispielsweise ein bekennender Anhänger der Fussballnationalmannschaft ist und Ihnen nach jedem Spiel eine minutenlange Sprachnachricht hinterlässt – wäre es dann nicht vielversprechend, Ihnen bei Facebook eine Werbung des neuen Nati-Trikots zu zeigen? Auf WhatsApp mögen Ihre Nachrichten noch so verschlüsselt und unlesbar sein – Ihre Daten tragen trotzdem zu Mark Zuckerbergs Reichtum bei. In den Metadaten liegt übrigens auch der ­Ursprung der letztjährigen Kontroverse um die Revision der Nutzungsrichtlinien von Whats­App: Mit der neuen Datenschutzverordnung wollte Whats­App die Weitergabe von Metadaten an private Unternehmen, allen voran an den Mutterkonzern Facebook, ausbauen. Die Option, die Datenweitergabe zu…