Der Generationenvertrag
funktioniert – auf Kosten der Generationengerechtigkeit
Die Rentensysteme in Deutschland und der Schweiz basieren auf einer impliziten Schuld, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Nun müssen sie die Jungen bezahlen.
Die meisten Menschen verbinden den Begriff Generationenvertrag unmittelbar mit der Alterssicherung. Ob die AHV in der Schweiz, die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland oder die gesetzliche Pensionsversicherung in Österreich – in allen Fällen finanzieren erwerbstätige Beitragszahler die Renten der alten Bevölkerung im sogenannten Umlageverfahren.
Dieser implizite, von niemandem unterschriebene «Vertrag» beruht im Wesentlichen auf der gesellschaftlichen Usance des do ut des, also des Gebens um des Nehmens willen. Die alte Generation nimmt, denn sie war selbst mal jung und hat gegeben; die junge Generation gibt im Vertrauen darauf, im Alter gegen die Widrigkeiten des Lebens abgesichert zu sein. Für Letztere ist das versicherungsmathematisch ein Risiko-Pooling, denn man kann alt werden, muss aber nicht; für Erstere ist die Sache klar, denn jeder Alte war einmal jung.
Bei den Widrigkeiten des Lebens geht es jedoch nicht nur um die Altersvorsorge, die aus der Nicht- oder eingeschränkten Erwerbstätigkeit resultiert. Auch die Gesundheitsvorsorge ist nur vordergründig eine Umverteilung zwischen den meist gesunden Gebenden und den kranken Nehmenden. Tatsächlich handelt es sich auch hierbei immer zugleich um einen Generationenvertrag, denn die Krankheitswahrscheinlichkeiten sind altersspezifisch verteilt und wachsen mit zunehmendem Alter exponentiell.
Der Vorteil eines Generationenvertrages oder des Umlageverfahrens im Allgemeinen liegt darin, dass bei Einführung immer Gewinne für diejenigen entstehen, die zu den Nutzniessern gehören, ohne jemals Beiträge oder Steuern dafür gezahlt zu haben. Diese Einführungsgewinne sind für die Politik – genauso wie die Erweiterungen des Versprechens – willkommene Versprechungen für den nächsten Wahlkampf. Die Alten werden beschenkt, die Jungen wissen, dass ihre Kinder das do ut des einhalten, und so beginnt ein juristisch zulässiger Kettenbrief. Dass der Windfall-Profit der Einführungsgewinner als implizite Staatsschuld von Generation zu Generation weitergegeben wird, interessiert die gegenwärtige Politik einen «feuchten Kehricht». Die Rückzahlung erfolgt auch nicht auf einen Schlag, sondern schleichend, und zwar auf Kosten zukünftiger Generationen.
Inzwischen dürfte jedem Zeitgenossen klar sein, dass die Akzeptanz der Generationenverträge vor extremen demografischen Herausforderungen steht. Durch den doppelten Alterungsprozess werden in den nächsten Jahren immer mehr Menschen von immer weniger Beitragszahlern immer länger zu versorgen sein. Dies gilt für die Schweiz, Deutschland und Österreich in gleichem Masse. Denn überall hat die niedrige Fertilität der Babyboomer im Takt mit der steigenden Lebenserwartung zu den gleichen, schon seit Jahrzehnten bekannten Effekten geführt. Damit unmittelbar verbunden ist die Frage der intergenerativen Umverteilung, genauer gesagt die der Generationengerechtigkeit. Was aber genau ist unter diesem unbestimmten Rechtsbegriff zu verstehen?
Starke Umverteilung zwischen Generationen
Rein versicherungsmathematisch ist ein Generationenvertrag dann fair oder gerecht, wenn dessen implizite Rendite der marktüblichen Verzinsung entspricht. Tatsächlich zeigt ein Generationenvertrag nur im Querschnitt die bekannte interpersonelle Umverteilung zwischen Jung und Alt. Im statistischen Längsschnitt, also aus der Sicht über den gesamten Lebenszyklus einer Generation, entpuppt sich dies unter Umständen als eine reine Umverteilung innerhalb des Lebens und damit um eine rein intertemporale Umverteilung. Da die Rendite des Umlageverfahrens der Wachstumsrate der Erwerbspersonen zuzüglich des (arbeitsvermehrenden) technischen Fortschritts entspricht, war diese versicherungsmathematische Fairness über lange Jahrzehnte gewährleistet. Mit den bekannten demografischen Entwicklungen der Nachkriegszeit ist damit jedoch aus mathematischer Sicht die «Gerechtigkeit» nicht mehr gegeben, denn das Erwerbspersonenpotenzial ist rückläufig, und beim technischen Fortschritt sind keine grösseren Sprünge zu erwarten. Somit ist jetzt der Zeitraum angebrochen, in dem die schwebende Schuld der Einführungsgewinner peu à peu zurückgezahlt wird.
Anders als für den Versicherungsmathematiker ist die Gerechtigkeit der Generationenverträge im ökonomischen Sinne eher ein mehr oder weniger starkes Gleichbehandlungsgebot des do ut des. Das macht die Sache deutlich komplizierter. Beispiel Deutschland: Das dortige Rentenversicherungssystem basiert auf einer (fast vollständig) äquivalenten Teilhabe nach dem Lebensleistungsprinzip. Für alle Personen, die weniger als das Doppelte des Durchschnittslohnes verdienen, friert die gesetzliche Rentenversicherung die relative Einkommensposition über die Erwerbstätigkeit hinaus ein. Will heissen: Wer 45 Jahre durchschnittlich verdient und einbezahlt hat, bekommt die Durchschnittsrente, wer das Doppelte verdient, erhält die doppelte Durchschnittsrente; und wer nur die Hälfte des Durchschnitts eingezahlt hat, kann auch nur die halbe Durchschnittsrente erwarten und läuft Gefahr, in die soziale Grundsicherung zu rutschen.
Anders als bei der Schweizer AHV, die aufgrund der Leistungshöhe eher eine umverteilende Form der Grundsicherung ist, gibt es also (fast) keine interpersonelle Umverteilung. Im Gegensatz dazu ist die intergenerative Umverteilung erheblich, denn in Deutschland hält man politisch am strikten Leistungsprimat fest. Das aktuell im Gesetzgebungsprozess befindliche Rentenreformpaket würde genau dies bis ins Jahr 2040 zementieren, denn das Rentenniveau soll auf 48 Prozent des Durchschnittslohnes bei konstantem Rentenzugangsalter eingefroren werden. Die dazu notwendigen Beitrags- und Steuererhöhungen für zukünftige Generationen werden politisch schöngerechnet und in Kauf genommen, da die politische Mehrheit der Wähler im Median bereits heute über 55 Jahre alt ist.
Unter Generationengerechtigkeit würde man gemeinhin allerdings das genaue Gegenteil dessen verstehen, was angedacht ist. Nicht das Leistungsprimat, sondern das Beitragsprimat wäre die gerechte Lösung des demografischen Problems. Denn dann würden zukünftige Beitragszahler die gleiche relative Last tragen wie die vorangegangenen Generationen. Wenn man dann noch, wie in den skandinavischen Ländern bereits geschehen, das Renteneintrittsalter an die Entwicklung der Lebenserwartung anpasst, würden alle Jahrgänge für ein Rentenbezugsjahr die gleiche Anzahl an Beitragsjahren geleistet haben.
Gleichheit und Gleichbehandlung über die Generationen hinweg sind also der Kern gerechter Generationenverträge. Damit sind die Verträge zugleich verursachergerecht, denn wenn Beiträge konstant bleiben, legt man die demografische Last durch das Abschmelzen des Rentenniveaus auf die Schultern der rentennahen Jahrgänge. Dies sind genau die Babyboomer, also jene, die dafür verantwortlich sind, dass zu wenige Beitragszahler in der Vergangenheit geboren wurden. Die geburtenstarken Jahrgänge sind die Verursacher des demografischen Problems, obgleich die meisten von ihnen glauben, eher ein Problem zu haben. Dies gilt analog in der Schweizer AHV. Wohlgemerkt, hier handelt es sich um eine Grundsicherung, denn das AHV-Rentenniveau liegt bei gut 20 Prozent, während die obligatorische berufliche Altersvorsorge auf kapitalgedeckter Basis ein Niveau finanziert, das deutlich oberhalb des deutschen Levels liegt. Nur die AHV ist ein umlagefinanzierter Generationenvertrag und unterliegt – wie bei der Abstimmung über die 13. AHV-Rente ersichtlich – dem gleichen Muster wie die politischen Mehrheiten im deutschen oder auch österreichischen System.
Keine Kündigungsmöglichkeit
Denn eines ist klar: Die Mehrheit der Wähler bevorzugt immer die Beibehaltung oder auch Ausweitung des ungerechten Leistungsprimats. Die jungen und zukünftigen Generationen haben zwar ein erhebliches Akzeptanzproblem mit den Generationenverträgen. Aber wie soll man einen Vertrag kündigen, den man gar nicht unterschrieben hat? In Deutschland ist für kleinere und eher privilegiertere Bevölkerungsgruppen die Auswanderung in die Schweiz, der Gang in die Selbstständigkeit oder die Verbeamtung ein rettendes Ufer. In der Schweiz ist dieser Weg versperrt.
Gibt es also keine Hoffnung, den Ausbeutungen durch die Generationenverträge im Leistungsprimat zu entkommen? Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es zuletzt dann doch. Politiker handeln nach politischen Mehrheiten, daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Und nur wenn die Mehrheit für das Beitragsprimat und damit für Gleichheit und Gerechtigkeit eintritt, kann es einen Paradigmenwechsel geben. Diese Mehrheit können die Jungen allein nicht schaffen. Nur wenn diejenigen unter den geburtenstarken Jahrgängen, die selbst Kinder haben, mit diesen koalieren, kann es eine politische Mehrheit der Vernunft und Generationengerechtigkeit geben.