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Der Gegenstand abstrakter Kunst

Zum Begriff des «Symbols» in der Ästhetik der Bildenden Kunst Die abstrakte Kunst befindet sich in einem Interpretationsnotstand, da sie weder abbildet noch darstellt. Der Autor des folgenden Beitrags argumentiert, dass die ästhetische Kategorie des «Symbols» bei der Deutung weiterhelfen kann, und holt dafür bis in die ästhetische Theorie Kants aus.

Seitdem in der Klassischen Moderne die Kunst abstrakt geworden ist, hat die Ästhetik der Bildenden Kunst ein schwerwiegendes Problem: Was ist der Inhalt oder der Gegenstand der Kunstwerke, wenn nicht mehr religiöse, historische oder naturale Szenen abgebildet werden, aber auch nicht nichts dargestellt wird? Man hat sich mit Metaphern aus anderen Bereichen beholfen und die Sprache übernommen, die für die längst als ungegenständlich anerkannte Musik gefunden wurde; oder man hat die Form zum Inhalt erklärt und damit das Problem schlicht umgangen. Eine Interpretation zweier Kunstwerke, von James A. M. Whistler («Nocturne: Blue and Gold – Old Battersea Bridge») und Jackson Pollock («One (Number 31)»), zeigt, dass es lohnt, bei dem Begriff des «Symbols» anzusetzen – zumal dieser Ansatz auch zur Beurteilung der «alten», gegenständlichen Kunst taugt.

Der zerbrochene Ring

Die Bedeutung des Symbolbegriffs lässt sich durch eine Erinnerung an den Wortsinn im Griechischen veranschaulichen. Mit «Symbol» wird – ein wenig unbestimmt – ein konkretes sinnliches Zeichen benannt, an das ein geistiger Bedeutungsgehalt oder ein Begriff geknüpft ist. Diese enge Zusammengehörigkeit und innere Beziehung von sinnlichem Zeichen und ab-strakter Bedeutung ist von entscheidender Wichtigkeit. Ernst Cassirer hat bei seiner Definition der «symbolischen Form» davon gesprochen, dass hier der «geistige Bedeutungsgehalt … (dem) Zeichen innerlich zugeeignet wird» (Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, S. 174 f.). Im Griechischen ist diese enge Beziehung in einer besonderen Bedeutung des Wortes -noch spürbar: mit smbolon wird nämlich auch der kleine Gegenstand – häufig ein Würfel oder ein Ring – bezeichnet, der bei einem Gastbesuch auseinandergebrochen wird und dessen eine Hälfte der Gast, dessen andere Hälfte der Gastgeber erhält. Das Aneinanderhalten und Zusammenpassen der beiden Stücke bei einem Wiedersehen soll beide an die Freundschaft erinnern, die sie bei dem ersten Gastbesuch miteinander verbunden hatte. In der real stattfindenden Zusammenfügung der beiden Hälften beim Wiedersehen, aber auch in der fiktiven Ergänzung der anderen Hälfte, auf die man angewiesen ist, solange man voneinander getrennt ist, springt der Geist gleichsam von dem halben Ring oder Würfel zum symbolisierten Bedeutungsgehalt der Freundschaft über. Denn die Zusammenfügung oder die Ergänzung im Sinnlichen erzwingt eine Reflexion auf ihren Sinn, die dann aber mühe- und zwanglos auch zu diesem Sinn führt: zu dem Gedanken der Zusammenführung der Freunde. So wird beim Symbol auch die Kluft zwischen sinnlichem Zeichen und bezeichnetem Abstraktum im Nu überbrückt. Wie die beiden materiellen Hälften gehören nicht nur die Freunde zusammen, sondern auch das Symbol und seine Bedeutung, das zweiteilige, eine materielle Ding und die eine Bedeutung, dass es zwei sind, die in einer unverbrüchlichen Freundschaftsbeziehung zueinander stehen. Weil im Symbol Zeichen und geistige Bedeutung so eng und innerlich miteinander verbunden sind, haben vor allem Künstler in ihren Kunstwerken auf Symbole zum Ausdruck ihrer ästhetischen Ideen zurückgegriffen.

Die auseinandergerissenen Liebenden

Ein für die Bedeutungsgeschichte des ästhetischen «Symbols» besonders wichtiger Fall findet sich schon in der Antike: Im «Symposion», dem Dialog Platons, in dem sich die am Gastmahl beteiligten Personen damit unterhalten, reihum Lobreden auf den göttlichen Eros zu halten, trägt der Komödiendichter Aristophanes eine Geschichte vor, die die erotische Anziehungskraft zwischen zwei Liebenden mit künstlerisch-poetischen Mitteln erklärt. Aristophanes erfindet für das Verhältnis der Liebenden das Bild zweier auseinandergerissener Hälften, die ehemals eine Einheit gebildet haben und sich zur Reparatur ihrer Unvollständigkeit wieder vereinigen wollen. Das Besondere an diesem Fall ist nun, dass Aristophanes (bzw. Platon) diese Hälften mit dem Namen smbolon bezeichnet, und zwar indem er sie nicht etwa nur mit einem smbolon, einem auseinandergebrochenen Würfel oder Ring, vergleicht, sondern ohne Vergleich, also metaphorisch, smbolon nennt. Er charakterisiert seine anschaulich-poetische Vorstellung vom halben Kugelmenschen mit dem Begriff des «Symbols», weil er das von ihm konstruierte Verhältnis zwischen dem bildlichen Zeichen vom Kugelmenschen und dem Liebesverlangen, von der jede Hälfte getrieben wird, in dem Verhältnis wiederfindet, das jede Hälfte des auseinandergebrochenen Rings oder Würfels zu dem Gedankeninhalt «Gastfreundschaft» hat. Damit gibt er auch ein Beispiel für die Anwendung der ästhetischen Kategorie «Symbol», die genau der Bedeutung entspricht, die Kant dem Begriff des «Symbols» in der «Kritik der Urteilskraft» gegeben hat, in dem Werk, mit dem die Geschichte der Ästhetik als eines eigenständigen Bereichs innerhalb einer systematisch geordneten Philosophie beginnt.

Kants Symbolbegriff

Auch Kant nimmt das Symbol als anschauliches Zeichen, das in einem besonderen Verhältnis zu dem von ihm bezeichneten geistigen Bedeutungsgehalt steht. Es «stellt» seinen Begriff «dar», so Kants Formulierung, und das heisst, dass das Zeichen mit dem Begriff nicht nur konventionell, also nicht durch willkürliche Assoziation verbunden ist. Die «Darstellung» zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass sie eine «Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt korrespondieren kann», auslöst (B-Auflage, S. 257). Für diese Übertragung findet Kant den glücklichen Terminus der «Analogie». Er trifft insofern das Phänomen, als die Reflexion, die sich auf das sinnliche Zeichen richtet, darin auf einen regelhaften Zusammenhang stösst, den sie in dem symbolisierten Gedankengehalt wenn auch in einem anderen Medium, so doch als denselben regelhaften Zusammenhang wiederfinden soll. Kants Beispiele liegen denn auch auf einer Linie mit dem antiken Beispiel: Das passende Symbol für einen monarchischen Staat, der, wie Kant sagt, nach «inneren Volksgesetzen» regiert wird, sei ein beseelter Körper; und für einen monarchischen Staat, der «durch einen einzelnen absoluten Willen beherrscht wird», eine Handmühle (vgl. ebd. S. 256).

Zugleich gibt Kant dem Symbolbegriff aber auch eine neue Bedeutung. In den Ausführungen zur Schönheit «als Symbol der Sittlichkeit» bezeichnet Kant mit Hilfe des Symbolbegriffs die philosophisch-systematisch entscheidende Funktion, durch die die ästhetische Urteilskraft zwischen theoretischer und praktischer Philosophie vermittelt – eine Funktion, die der Ästhetik bis heute zugetraut wird und für das hohe Ansehen der Kunst als Ort der kreativen Produktion des Schönen verantwortlich ist.

Spiel von Einbildung und Verstand

«Schöne» Werke, die sich zur Symbolisierung des Sittlichguten eignen, erfüllen demnach die Forderungen, die die Analyse für das Zustandekommen eines gültigen subjektiven ästhetischen Urteils ermittelt hat. Das bedeutet: Die sinnlichen Qualitäten des schönen Gegenstandes müssen ein «unmittelbares» Wohlgefallen auslösen, das zu empfinden jeder und jedem zugemutet oder, wie Kant sich ausdrückt, «angesonnen» werden kann; denn anders wären alle Ansprüche auf Allgemeinheit des ästhetischen Urteils schon von vornherein verloren. Dieses zentrale Problem einer jeden Ästhetik, die Lust am Schönen so zu bestimmen, dass sie zu empfinden nicht dem Belieben und der Willkür eines jeden überlassen ist, löst Kant, indem er die Bedingungen anzugeben sucht, die bei jedem Subjekt erfüllt sein müssen, damit eine solche Lust zustandekommt. Das Ergebnis dieser Analyse ist die bekannte und sicher etwas dunkle Vorstellung vom «freien Spiel der Einbildungskraft und des Verstandes» gegenüber dem sinnlich-gegebenen Gegenstand (§ 9). Es ist ein Zustand der ästhetischen Reflexion, an dem nach Kant eines niemand verleugnen kann: die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand. Eine solche Zusammenstimmung ist nämlich in ihrer kategorial gebundenen, also nicht-freien Variante der Reflexion die notwendige Bedingung für das Zustandekommen gültiger Naturerkenntnis. So jedenfalls lautete das Ergebnis der «Kritik der reinen Vernunft». Man sieht hier, wie das Schöne auf der Ebene der Bedingungen im Subjekt mit der theoretischen Philosophie verbunden ist: Einen Übergang gibt es dort, wo die ästhetische Reflexion in völliger Autonomie dieselben Momente frei und spielerisch miteinander in Beziehung bringt, die in der theoretischen Erkenntnis unter Leitung der reinen Verstandesbegriffe zusammentreten müssen.

Schönheit durch freie Zwecksetzung

Wenn aber Autonomie heisst, sich seine Gesetze selbst geben zu können, fragt sich danach zwingend, welcher Art die Gesetze sein sollen, die sich das ästhetisch reflektierende Subjekt im freien Spiel selbst gibt und die diesem freien Spiel keinen Abbruch tun. Die gesuchten Gesetze müssen, weil schon das freie Spiel der Vermögen auf die Ebene der Bedingungen im Subjekt führte, ebenfalls auf dieser Ebene wirksam sein. Sie müssen dem Spiel eine bestimmte Gestalt geben, die Vermögen in eine bestimmte Proportion bringen, ohne dass deshalb die Freiheit enden dürfte. Ja, Freiheit des Spiels muss heissen, dass das Subjekt sich selbst als Gestaltgeber des Spiels erlebt. Übertragen auf den schönen Gegenstand, ist deshalb für diesen gefordert, dass seine sinnlichen Qualitäten in eine bestimmte konkrete Konstellation und Gestalt gebracht sind, die der ästhetischen Reflexion als frei gefügt erscheinen, d.h. nach Regeln und Gesetzen konstruiert, die nur ein frei seine Zwecke setzendes Subjekt erdacht haben kann.

Die schönen Gestalten mögen sich unterscheiden. Gemeinsam muss ihnen allen danach jedoch der Zweck sein, in der jeweiligen konkreten Gestalt die Überzeugung zum Ausdruck zu bringen, dass die menschlichen Kompetenzen oder «Vermögen» zur Erkenntnis der Welt zusammenstimmen und dass insbesondere die Vernunft sich selbst den Zweck setzt, in der erkannten Welt die Freiheit zu realisieren. «Schön» ist, was den Zweck erfüllt, das Verhältnis des Subjekts zur Welt so darzustellen, als sei alles wohl geordnet und eingerichtet, damit die Welt erkannt und auf der Grundlage dieser Erkenntnis die Vernunft in ihr verwirklicht werden kann. Man sieht hier die Verbindung der ästhetischen Reflexion zur praktischen Vernunft, dem Reich der Zwecke: Die ästhetische Reflexion findet in der Gestalt die formale Struktur von freier Zwecksetzung und ihrer Verwirklichung. Im praktischen Leben wird diese formale Struktur dadurch in

haltlich bestimmt, dass sich die Vernunft im Subjekt die vernünftige Praxis zum Zweck setzt. Im ästhetischen Erleben zeigt sich die schöne sinnliche Gestalt für die Reflexion nach einer Regel geformt, die, übertragen auf das Medium der praktischen Selbstbestimmung, für das Leben zu wünschen ist: Im grundsätzlich anderen Medium der geformten sinnlichen Materie scheint die Einrichtung verwirklichter Autonomie, Freiheit und Vernunft gelungen.

Symbolisierung des intellektuellen Gehalts

Freilich bleiben nach dieser Analyse einige schwerwiegende Probleme ungelöst: Schon Schiller hat etwa kritisiert, dass der schöne Gegenstand durch die urteilstheoretische Ausrichtung der Kantischen Ästhetik gewissermassen nur als Abstraktum existiert. Ausserdem darf die Materialität des schönen Gegenstandes, das materielle Medium seiner Gestaltung, bei der Bestimmung seiner Schönheit nicht vernachlässigt werden. Das Naturschöne, das Schöne in der Literatur, Musik, bildenden Kunst und so weiter bedürfe jeweils spezifischer Begriffe. Systematisch wiederum ist Kants Unterscheidung des Schönen und Erhabenen noch nicht befriedigend, und schwierig ist von Kant aus auch eine Erklärung für den Reiz des Hässlichen und all der Werke von offener Form, in denen ein bestimmtes Mass an Ungeordnetheit, Gesetzlosigkeit und Undurchschaubarkeit zur Schönheit beiträgt.

Dennoch kann die ästhetische Deutung einzelner Werke vom Kantischen Symbolbegriff ausgehen. Die Bestimmung, dass das schöne Kunstwerk einen intellektuellen Gehalt symbolisiert, der mit dem anschaulich Gegebenen nur die Regel der Reflexion gemeinsam hat, der mit dem Gegebenen also in der engen Beziehung einer Analogie steht, ist hochbedeutsam. Bei den Werken der Bildenden Kunst darf danach in der ästhetischen Deutung nicht mehr der dargestellte Gegenstand mit dem Wissen vom Gegenstand verglichen werden. Die Schönheit des Kunstwerks ist nur von der kreativen Konstruktion im sinnlichen Material abhängig – von einer Konstruktion, die durch Analogie ein Intelligibles zur Erscheinung bringt. Dieses Intelligible ist – und dessen positive Bestimmung ist wieder Kant zu verdanken – der Gedanke, dass die subjektiven Kompetenzen und ihre besondere Zusammenstimmung das Wissen von der Welt und von der vernünftige Weltordnung bedingen.

Kants Ästhetik in der Praxis

Das erste Beispiel, an dem die Leistungsfähigkeit einer von Kant beeinflussten Ästhetik demonstriert werden kann, ist ein Bild von James A. M. Whistler, eines Zeitgenossen von Oscar Wilde und von diesem sehr bewundert. Zu diesem Bild bzw. seiner Deutung liegen Dokumente vor, die zeigen, gegen welche Widerstände bei der Deutung sich eine kantianisierende Ästhetik durchgesetzt hat. Dass es sich – zumindest in ihrer kritischen Intention – um kantische Gedanken handelt, wird zwar von dem Protagonisten Whistler nicht ausgesprochen, nach dem Vorangegangenen kann aber darüber kein Zweifel bestehen. Das Bild trägt den Titel: «Nocturne: Blue and Gold – Old Battersea Bridge», wurde um 1872 bis 1873 gemalt und befindet sich heute in der Tate Gallery in London. Über seine Deutung wurde vor Gericht gestritten. Whistler selbst hat den berühmten Kunstkritiker John Ruskin auf Schadenersatz verklagt, weil dieser in der Besprechung behauptet hatte, Whistler werfe dem Publikum einen Topf Farbe ins Gesicht und fordere dafür noch 200 Guineen (vgl. Whistler, J. A. M., «The Gentle Art of Making Enemies», New York 1967, S. 1).

200 Guineen für «the knowledge of a lifetime»

Der Prozess wurde von Whistler veröffentlicht. Die Geschworenen hatten unerwarteterweise für ihn votiert – und das gegen die massive Meinungsmache des Richters, der sich auf die Position des abwesenden Ruskin stellte und sich schliesslich dadurch rächte, dass er den Schadenersatz für den finanziell schlecht gestellten Whistler durch Teilung der Gerichtskosten auf weniger als Null herunterbrachte, ihm also neue Schulden bescherte. Für uns von Interesse ist vor allem die Antwort, die Whistler auf die polemische Frage des Richters gibt: «Do you say that this is a correct representation of Battersea Bridge?» Whistler antwortet: «I did not intend it to be a ‹correct› portrait of the bridge. It is only a moonlight scene, and the pier in the centre of the picture may not be like the piers at Battersea Bridge as you know them in broad daylight. As to what the picture represents, that depends upon who looks at it. To some persons it may represent all that is intended; to others it may represent nothing.» Und genauer noch bestimmt er den insistierenden Richter – «Are those figures on the top of the bridge intended for people?» – zum Verzicht auf das die Ästhetik bis dahin beherrschende Nachahmungsgebot: «They are just what you like.»

Was aber, wenn nicht die Battersea Bridge, hat Whistler darstellen wollen? Es ist nicht allein «a certain harmony of colour», sondern es sind «die Erfahrungen eines Menschenlebens», «the knowledge of a lifetime», wie Whistler sagt (The Gentle Art, S. 8). Sie will er in seinen Bildern ausdrücken, und für deren Ausdruck glaubt er sich auch berechtigt, 200 Guineen zu fordern. Wenn man sich nicht darauf versteift, dieses Wort nur als nichtssagendes Bonmot zu nehmen, dann heisst es, dass in der sinnlichen Gestalt des Bildes, in den Formen und in den Harmonien der Farben die subjektiven Erfahrungen zu finden sind, die Whistler hinein gelegt hat, indem er sich auf sich als sehendes, empfindendes, hoffendes, das Dunkel der Nacht durchdringen und erkennen wollendes Subjekt gegenüber der Battersea Bridge bei Nacht besonnen hat.

Er hat, nun vollends Kantisch gesprochen, auf die subjektiven Bedingungen reflektiert, die angenommen werden müssen, damit ein Subjekt durch das Sehen des Bildes allein in die besondere Stimmung versetzt werde, in der ihm auf besondere Weise die Welt erkennbar und durch seine subjektiven Kräfte beeinflussbar erscheint. Ja, er hat nicht nur darauf reflektiert und jedem Betrachter, sich selbst eingeschlossen, die Rekonstruktion der Stimmung ermöglicht, sondern er hat in gewisser Weise seine Reflexion selbst ins Bild gesetzt, indem er die Bedingungen der Konstruktion zeigt, nicht das vollständig fertige Produkt. Symbolisiert wurde somit nicht das Ergebnis der Reflexion, dass die Welt zweckmässig für unser Erkennen und für die Realisierung unserer Freiheit sei, sondern die Reflexion selbst, insofern sie Bedingung für die Konstruktion der Welt ist. Die Einzelformen müssen vom Betrachter stets noch zu verstehbaren Formen zusammengesetzt werden, verstehbar vor dem Hintergrund der subjektiven Erfahrungen des Einzelnen. Deshalb liegt ein tieferer Sinn in Whistlers Aussage, die Figuren auf der Brücke – aber dies gilt für alle Formen – seien «just what you like» und für manche Betrachter möge das Bild «represent all that is intended», für andere dagegen «nothing». In den Goldflecken mag der eine sofort ein Feuerwerk erkennen, das es vielleicht wirklich gegeben hat. Die Tatsache aber, dass dies so eindeutig nicht identifizierbar ist, setzt die Reflexion in Gang, erzwingt die Frage, was es ist und was es soll, und ob es nicht vielleicht doch der Einbruch des Übersinnlichen in die Welt der Erscheinungen ist. Jedenfalls ist man enttäuscht, wenn man darauf festgelegt wird, die Goldflecken als Feuerwerk lesen und die eigene Reflexion abbrechen zu müssen.

Abstraktion als Gegenstandsbestimmung

Was ich demonstrieren möchte, ist aber nicht der Allgemeinplatz, dass die moderne Kunst die Mittel der Darstellung zum Gegenstand der künstlerischen Darstellung macht und insofern selbstreflexiv geworden ist, sondern dies, dass diese richtige Einsicht vom Standpunkt der Kantischen Ästhetik aus konsistent formuliert werden kann. Kants Begriff des «Symbols» hat Bedeutung für die Ästhetik, weil er eine adäquate ästhetische Deutung von Werken auch der modernen Kunst ermöglicht. Dies zeigt sich nur um so deutlicher bei Werken, in denen auf einen gegenständlichen Gehalt ganz verzichtet wird, also im Bereich der Bildenden Kunst bei abstrakten Bildern. Die Ästhetik muss hier das Schöne als solches bestimmen, das gefällt, auch ohne dass gewusst wird, welcher Gegenstand der Natur dargestellt ist. Eine kantianisierende Ästhetik liefert einen Ansatz zur Lösung dieses Problems. Dies kann man an einem zweiten Beispiel noch genauer erfahren: an Jackson Pollocks monumentalem Gemälde «One (Number 31)» aus dem Jahre 1950, das sich im Museum of Modern Art in New York befindet. Es ist ca. 2,7 m hoch und 5,3 m breit, und doch findet sich auf der riesigen Fläche nicht ein Gegenstand, auf den man zeigen und sagen könnte, dies ist eine Brücke, dies sind Personen und das ist ein Feuerwerk. Man muss nicht von einem gegebenen Inhalt des Bildes abstrahieren, um die Form, das Künstlerische der Darstellung zu erhalten. Die Abstraktion ist schon vollzogen, und wenn man noch von einem dargestellten «Gegenstand» sprechen will, dann muss man einen positiven Begriff von dem entwickeln, worauf sich die ästhetische Reflexion nun richten soll. Der Verzicht, das Abstrahieren vom Gegenstand im üblichen Sinn ist nur eine negative Bestimmung; will man positiv wenden, was beim Abstrahieren und Negieren ge-schieht, so ist dies der Prozess der Gegenstandsbestimmung; denn Abstrahieren und Negieren sind Formen der Bestimmung. Will man also daran festhalten, auch bei den abstrakten Bildern einen dargestellten «Gegenstand» anzunehmen, dann kann dieser «Gegenstand» nur der Prozess der Gegenstandsbestimmung sein. Die ästhetische Reflexion richtet sich auf die Formung und Gestaltung als Prozesse, die ihre Gegenstände erzeugen, erzeugen sollen. Tritt man mit diesem Begriff vom «Gegenstand» der Darstellung an Pollocks Bild heran, so erhält man einen guten Sinn: Die Formung und Gestaltung selbst, das Problem der Bestimmung des Gegenstandes durch die Formen und Farben – auf diesen ästhetischen Gehalt zielt die besondere Darstellung durch ihre besonderen Formen und Farben. Was bei Whistler beginnt, ist bei Pollock voll entwickelt: Die Bedingungen der Gegenstandsbestimmung im Subjekt, die Bedingungen, die Bestimmung von Gegenständen als Akt unserer Freiheit zu verstehen, all diese Bedingungen, auf die bei Kant die Analyse des Schönheitsurteils zurückschliesst, werden hier zum Gegenstand der Darstellung gemacht. Während Whistler noch dafür plädieren musste, dass in seinen Bildern «the knowledge of a lifetime» enthalten sei, ist bei Pollocks Bild nach dieser Deutung unstrittig, dass es die Einsichten und Erfahrungen Pollocks mit Beziehung auf die Bedingungen der Welterkenntnis, der Freiheit des Handelns und Wollens und der Freiheit der künstlerischen Gestaltung in ihr enthält und zwar in Form der besonderen Gestaltung, die nur von bestimmten Einsichten und Erfahrungen mitgeteilt wird.

Schwarze und weisse Linien

Kann man dies im einzelnen belegen? In der konkreten ästhetischen Reflexion einzelner Formen ist zunächst unübersehbar, dass Einzelformen kaum von anderen Einzelformen unterscheidbar sind. Das Bemühen um Isolierung von Einzelformen wird vielmehr merkbar als Bemühung um Identifikation einzelner Gegenstände im üblichen Sinne erlebt. Naheliegenderweise wird der Betrachter bei diesen Bemühungen den Formen gleicher Farbe nachgehen, beispielsweise den schwarzen oder weissen Linien. Das Gefühl der Störung, Unterbrechung, Überlagerung, Auflösung und das Gefühl des Durchdringens, des Festhaltenkönnens, der unmittelbar bevorstehenden Identifikation wechseln miteinander ab. Das Wechselspiel kann nicht anders denn als völlig individuell und subjektiv erlebt werden. Sowohl das Scheitern als auch das Gelingen der Bemühung um Isolierung und Identifikation der Einzelformen führt so, wenn auf sie reflektiert wird, zu der Einsicht, dass sich die Bestimmtheit der Gegenstände ausschliesslich dem kreativ-konstitutiven Prozess der Bestimmung verdankt und dass sich die Unbestimmbarkeit ebenfalls aus diesem Prozess ergibt.

Vom Erkennen, von der Erkennbarkeit und Unerkennbarkeit der Einzelformen kann sich der reflektierende Betrachter der Form und Gestalt als ganzen zuwenden. Gesetze ihrer Formung sind zu suchen, Regeln ihrer Gestaltung aus den Einzelformen. Ersichtlich ist nun auch hier, dass die Formen ihr Gesetz durch den Prozess ihrer Entstehung erhalten haben müssen. Weil das Ergebnis in hohem Masse regellos ist, muss dieser Prozess in ebensolchem Masse vom Zufall geprägt sein. Insofern an den Formen sich aber Erwartungen entwickeln lassen, die sich bei der Betrachtung anderer Formen als begründet erweisen, wird der Prozess seine Gesetzmässigkeit gehabt haben. Der Rand beispielsweise ist fast überall als Grenze des gestaltbaren Raums akzeptiert: Es gibt kaum Überschneidungen der Randlinie. Auch werden die Punkte, die Linien sowie die Verdickungen aus Punktfeldern und Liniennetzen ein und derselben Farbe einem einzelnen Teilprozess zuzuordnen sein, so dass als Regel der Gestaltung ein Nacheinander unterscheidbarer Teilprozesse auszumachen ist. Wirksam war als Regel weiterhin, dass die ganze Fläche für jeden Teilprozess zur Verfügung stehen sollte und alle diese Teilprozesse aber von einer ähnlichen Dynamik geprägt sind.

Was soll das bedeuten? Die Freiheit der künstlerischen Gestaltung – und damit womöglich die Freiheit in der gestaltbaren Wirklichkeit überhaupt – erscheint uns nur an wenige Regeln gebunden zu sein. Sie ist darüber hinaus auch dadurch schon «symbolisch» als gross vorgestellt, als der Raum – das ist hier die Fläche der Gestaltung – so viel grösser ist als bei Werken anderer Künstler. Das Gesetz dieser Freiheit aber ist das Gesetz der aktiven Bestimmung der Gegenständlichkeit durch den auf diese Bestimmung abgezweckten dynamischen kreativen Prozess. Dabei ist lediglich das notwendige Nacheinander der Schritte einzuhalten und mit der Grenze und dem Zufall als dem Unverfügbaren zu rechnen.

Andreas Eckl, geboren 1959, promovierte an der Universität Bonn in Philosophie mit einer Arbeit über Ästhetik («Kategorien der Anschauung», München 1996).

2003 habilitierte er sich, ebenfalls in Bonn. Zur Zeit ist er Lehrbeauftragter für Philosophie an der Universität München. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen gehört das Buch «Sprache und Logik bei Platon» (Würzburg 2003).

(eckl@uni-bonn.de)

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