
Der Euro hängt an der Politik
Die Europäische Zentralbank schützt den Euro mit allen Mitteln. Sie bricht dafür Regeln und erleichtert so die Schuldenwirtschaft. Wie lange funktioniert dieses Rezept noch?
Eigentlich ist 2022 für den Euro ein Superjubiläumsjahr. Im Februar 1992 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft (EG) den Vertrag von Maastricht. Sie legten damit den Grundstein für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, die in der Folge, weil das erste W wenig Spektakuläres hervorbrachte, meist als EWU abgekürzt wurde. Das zweite W hingegen führte zur Schaffung einer supranationalen Notenbank, der Europäischen Zentralbank (EZB), an welche die bestehenden nationalen Zentralbanken ihre geldpolitische Hoheit übertrugen, und natürlich zur Gemeinschaftswährung, die 1995 auf Vorschlag des damaligen deutschen Finanzministers Theo Waigel «Euro» getauft wurde. Im Januar 2002 hielten die Bürgerinnen und Bürger der elf Gründungsmitglieder der Währungsunion tatsächlich die ersten auf Euro lautenden Noten und Münzen in ihren Händen (die Einführung als Buchgeld war bereits 1999 erfolgt); ihre Begeisterung für den historischen Schritt war auch, aber nicht nur medial und kommunikativ inszeniert. Und nochmals zehn Jahre später, im Juli 2012, sorgte der damalige EZB-Präsident Mario Draghi mit seiner «Whatever it takes»-Formulierung für den Anfang des Endes der europäischen Staatsschuldenkrise, die vor allem Griechenland, Mitglied seit 2001, fast aus der Währungsunion katapultiert hätte. Er signalisierte den Märkten damit, dass die EZB bereit sei, unbeschränkt Staatsanleihen zu kaufen, sollte dies erforderlich sein, um den Euro und damit die EWU zu erhalten.
Dass sich die Festfreude derzeit inner- und ausserhalb der EWU in engen Grenzen hält, ist angesichts der aktuellen Entwicklungen – Stichwort Inflationswelle und Euroschwäche – verständlich. Eurokritiker der ersten Generation sehen sich bestätigt. Sie hatten schon Anfang der 1990er-Jahre davor gewarnt, das Primat der Politik anstelle der Logik der Ökonomie zu setzen, also eine Währungsunion zu schaffen, bevor die wirtschaftlichen Voraussetzungen in den Ländern erfüllt sind und die politischen Vorstellungen einigermassen übereinstimmen. Auch hierzulande geniesst der Euro heute nur wenig Kredit. Zu offenkundig sind die Vorteile, welche die eigene Währung der Schweiz bringt, und entsprechend steht eine Preisgabe des Frankens nicht ernsthaft zur Debatte.
Beifall aus der Schweiz
Es gerät dabei leicht in Vergessenheit, dass dies auch schon mal ganz anders war. Im Abstimmungskampf um den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vor dem 6. Dezember 1992 spielte die Währungsfrage zwar keine prominente Rolle, weil ein Beitritt die Schweizer Geldpolitik nicht unmittelbar tangiert hätte. Allerdings hatten sich die Mitglieder zu Jahresbeginn in Maastricht zur Schaffung einer Union mit eigener Währung verpflichtet. Bundesrat Adolf Ogi, der sich von der Dynamik und der Begeisterung für diese historischen Integrationsschritte mitreissen liess, hatte bereits im Oktober 1991 das Offensichtliche ausgesprochen, nämlich dass Bern die EWR-Mitgliedschaft als «Trainingslager» für eine EG-Vollmitgliedschaft betrachtete. Im Mai 1992 reichte der Bundesrat das entsprechende Beitrittsgesuch ein. Aber schon der Beitritt zum EWR hätte für die Schweiz einen grossen Schritt hin zur Übernahme der neuen europäischen Kunstwährung bedeutet, auch wenn bis zur Aufgabe des Frankens noch einige Hürden zu überspringen gewesen wären. Das hielt Bundesrat, die grosse Mehrheit der Parteien und der Wirtschaft sowie fast die Hälfte des Stimmvolkes nicht davon ab, Ja zu stimmen.
Verdrängt werden heute auch die glücklichen Kindheitsjahre, die dem Euro bis in die Finanzkrise von 2008 hinein beschieden waren. Wie von seinen Verfechtern vorausgesagt, sicherte die EZB mit ihrer institutionell vorbildlich geschützten Unabhängigkeit von der Politik zunächst die Preisstabilität im ganzen Euroraum. Transaktionskosten, die mit der Umrechnung, der Absicherung und dem Halten der verschiedenen Landeswährungen verbunden waren, fielen weg. Auch viele Schweizer fanden es praktisch, fast ganz Europa nur noch mit einer Fremdwährung im Portemonnaie und einem Wechselkurs im Kopf bereisen zu können. Der Umstand, dass die frischgebackene Einheitswährung den Franken aus dem vorletzten Jahrhundert am Devisenmarkt etwas blass aussehen liess und 2007 auf einen Höchstkurs von 1.68 kletterte, dämpfte indes die Reiselust leicht. Profiteurin war auch die Schweizer Exportwirtschaft,…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1101 – November 2022 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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