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Der Chef ist kein Papa

Freunde in der Not sind nicht so selten, wie uns das Sprichwort glauben macht. Einige warten geradezu auf die Not, um zu helfen. Mit dem Eifer eines Trüffelhundes suchen sie das Missliche. Es ist ihnen verdriesslich, nicht helfen zu können. Sie ärgern sich, wenn der Kollege mit seiner Not selber fertig wird. Denn sie werden arbeitslos. Erzürnter […]

Freunde in der Not sind nicht so selten, wie uns das Sprichwort glauben macht. Einige warten geradezu auf die Not, um zu helfen. Mit dem Eifer eines Trüffelhundes suchen sie das Missliche. Es ist ihnen verdriesslich, nicht helfen zu können. Sie ärgern sich, wenn der Kollege mit seiner Not selber fertig wird. Denn sie werden arbeitslos. Erzürnter Zwischenruf: «Wie verhält es sich denn mit der Fürsorgepflicht des Vorgesetzten?»

Die Idee, die Mitarbeiter als Objekte eigener moralischer Pflichterfüllung wahrzunehmen, hatte schon immer die Schwäche, den Mitarbeitern Bedürftigkeit zu unterstellen und damit die Besonderheit der beteiligten Personen auszuklammern. Wer als Vorgesetzter moralisch und verantwortlich handeln wollte, hat also Unterschiede, Fähigkeiten und Reifegrade der Mitarbeiter zugunsten einer reflexhaften Helfensfixierung verdrängt.

Als guter Vorgesetzter gilt bis heute, wer «seine Leute» verteidigt. Es ist einigen Mitarbeitern nach wie vor recht, unter dem Regenschirm des Vorgesetzten die behütete Sicherheit des Kindes zu geniessen. Nicht selten infantilisieren sie sich gerne selbst, um passiv bleiben zu können. Sie appellieren an die Fürsorgepflicht ihres Vorgesetzten, nutzen diese geradezu aus, überfordern sie mitunter, muten ihm moralischen Druck und Hilfeleistung bedenkenlos zu («Wozu ist er denn da?») und manipulieren ihn mit kalkulierter Selbstviktimisierung.

Das hat Folgen: Fürsorgliches Verhalten hat immer einen Zug zur Entmündigung des angeblich zu Schützenden. Beschützen hält die Menschen klein. Das alles unter dem Vorzeichen des Verstehens, Verständnishabens und Verständniszeigens. Solches Führungsrollenverhalten produziert am Ende gerade jene gelernte Hilflosigkeit, die von vielen Vorgesetzten ausgebeutet wird, um ihre Unersetzlichkeit zu inszenieren: «Ich werd’ mal sehen, was ich für Sie tun kann…» Die eitle Selbstdarstellung des Beschützers: Wer sich in seiner gütigen Vater- bzw. Mutterrolle gefällt, muss alles tun, um erwachsenes Verhalten seiner Mitarbeiter zu verhindern.

Wer das so offen ausspricht, erntet Empörung. Viele wohlmeinende und ehrlich bemühte Führungskräfte fühlen sich missverstanden. Sie erreiche ich nur, wenn ich an ihrer guten Absicht ansetze und sie bitte, diesen Gedanken nicht vorschnell zu verwerfen: Auch ein ehrlich wohlmeinender Paternalismus ist blind für den zugreifenden und bevormundenden Modus seiner Beziehung zum Menschen. Er hat die patriarchalische Struktur nur «netter» gemacht.

Es ist schon einigermassen widersinnig, dass jene, die sonst hartnäckig auf dem Gleichheitsgrundsatz beharren, gleichzeitig an der schiefen Beziehung der Fürsorge festhalten. Um den eigenen Bestand zu sichern? Wichtig ist: Fürsorge und Gleichbehandlung schliessen sich wechselseitig aus. Ist der Mitarbeiter ein gleichberechtigter Partner, dann sind Respekt, Distanz und Achtung geeignete Beziehungsqualitäten. Das muss dann das Grundgesetz sein: Gegenüber Personen, die ihre Interessen und Ansprüche öffentlich artikulieren können, verbietet sich Fürsorglichkeit.

Aus all dem darf nun nicht geschlossen werden, jede gefühlte Bindung, jede gegenseitige Unterstützung, gar Nächstenliebe aufzukündigen. Gemeinschaftliche Interessen müssen auch durch den Vorgesetzten wahrgenommen werden. Doch gilt es, zwischen Fürsorge und Unerbittlichkeit von Fall zu Fall zu unterscheiden. Das ist keine leichte Aufgabe. Die Versuchungen liegen an beiden Enden der Skala: ganz auf Distanz zu gehen oder sich in öliger Kumpanei zu wärmen. Beide Extreme verfehlen die Führungsaufgabe: Spannungen auszuhalten und produktiv zu machen. Andere zu achten heisst immer auch, sie in ihren selbstgewählten Vorhaben zu unterstützen. Ein solches Verhalten darf aber nicht der Vorgesetztenrolle geschuldet sein. Es kann allenfalls unserem Menschsein entspringen, dem Grundsatz, alle Menschen in gleicher Weise als autonome Individuen zu achten, gleichgültig, wie sie mir begegnen. Es darf weder als Geber noch als Nehmer den anderen als defizitär voraussetzen, noch seine Selbständigkeit verletzen.

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