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Der blaue Ozean als Staatslabor

Das Seasteading Institute will schwimmende Modellstädte bauen, in denen Menschen neue Regierungsformen ausprobieren. Die Umsetzung gestaltet sich schwieriger als gedacht.

Glitzernde Oberflächen und beruhigendes Rauschen können täuschen. Der Ozean ist ein rauer Ort: meterhohe Wellen schlagen denen entgegen, die sich auf hoher See bewegen. Das haben auch jene Visionäre erfahren, die das Meer mit schwimmenden Städten besiedeln wollen. 2008 hiess es, 2013 würden die ersten Menschen permanent auf dem Ozean wohnen und dort neue Arten des Zusammenlebens ausprobieren. Die Vision hat nach wie vor eine grosse Anziehungskraft. Aber die Umsetzung gestaltet sich schwieriger als gedacht. Wo steht die Initiative acht Jahre, nachdem Patri Friedman und der Investor Peter Thiel damit begonnen hatten, eine wagemutige Idee in die Tat umzusetzen?

«Wir waren zu Beginn vielleicht ein bisschen zu optimistisch», meint Randy Hencken, während im Hintergrund sein Hund um Aufmerksamkeit bittet. Hencken lebt in der Nähe von San Francisco und führt seit rund fünf Jahren das Seasteading Institute. Er ist derzeit damit beschäftigt, Anträge an Gastländer vorzubereiten. Der Vorschlag lautet: ihr stellt uns eine von der Brandung geschützte Bucht zur Verfügung. Wir sorgen dafür, dass sich in dieser Bucht eine schwimmende Stadt entwickelt, die Investitionen anziehen und unternehmerische Impulse für eine gesamte Region bieten wird.

 

Auf der Suche nach der nächsten «new frontier»

Beinahe auf diesen Deal eingegangen wäre Honduras. Das mittelamerikanische Land hat sich in den letzten Jahren zu einem Hotspot für Staatsexperimente libertärer Prägung entwickelt. Doch politische Opposition rund um die von Honduras initiierten Sonderentwicklungszonen haben die Umsetzung von Modellstädten bisher vereitelt. So auch im Falle von Seasteading. Kurz vor Abschluss einer Vereinbarung machte die honduranische Regierung einen Rückzieher. Und so steht Hencken heute wieder auf Feld 1.

Langfristig sei es unvermeidbar, dass Menschen die Besiedlung des Ozeans vorantreiben würden, zeigt sich Hencken zuversichtlich. «Es gibt ganz klar einen Appetit danach. Menschen suchen nach der nächsten ‹new frontier› – und wir bieten dafür eine Plattform.» Ziel ist, dass schwimmende Modellstädte Millionen von Menschen wirtschaftliche Aufstiegschancen bieten und gleichzeitig den ökologischen Zustand der Weltmeere verbessern. Wenn ökologisch bewusste Menschen auf den Ozeanen leben, so Henckens These, dann würden die ozeanischen Ökosysteme davon langfristig profitieren. Einer zügigen Umsetzung stehen zwei Hürden im Wege: die hohen Kosten für den Erhalt der schwimmenden Städte und die rechtlichen Unsicherheiten. Was passiert beispielsweise, wenn die Regierung eines Gastlandes wechselt? Wenn dieses mittels einer «Seereform» auf die Ressourcen einer erfolgreichen Modellstadt zurückgreift, also Enteignung im Stile des 19. Jahrhunderts betreibt? Oder unliebsame Kritiker – wie im Falle Chinas – in Gewahrsam nimmt?

 

Die Alternative vor Augen haben

In technischen Fragen zum Schutz vor Wellen und Korrosion arbeiten die Seasteaders mit Ingenieuren und Ozeanologen zusammen, die sich für das Projekt begeistern. Was Fragen der Rechtssprechung innerhalb von schwimmenden Modellstädten betrifft, greifen die Seasteaders auf die Arbeit von Juristen wie Tom Bell zurück. Letzterer propagiert ein polyzentrisches Recht, wie es beispielsweise von Wohnbaugenossenschaften praktiziert wird: jede Stadt kann ihre eigenen Regeln etablieren und durchsetzen.

Die Idee hinter den schwimmenden Städten ist immer noch die gleiche, wie sie Patri Friedman vor drei Jahren in dieser Zeitschrift formuliert hat: «Wir glauben, dass existierende Regierungsformen sich nicht wirklich verbessern, wenn sie nicht den Druck des Wettbewerbs spüren, Menschen und Unternehmen an Mitbewerber verlieren und ohne Alternativen vor Augen existieren.» Bis das Innovationspotential schwimmender Mikrostaaten ausgeschöpft werden kann, stehen Randy Hencken und seine Leute noch vor einem Wasserberg an Arbeit. «Rufen Sie mich Ende 2016 nochmals an, dann sind wir wieder einen Schritt weiter.»

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