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Der Berner Bär hockt nicht nur herum

Der Berner Bär hockt nicht nur herum

Der Vorwurf, Bern mache zu wenig aus seinem Potenzial, wird der Realität nicht gerecht. Der Kanton versorgt die Schweiz mit Sauerstoff.

 

Mit einer Volte gegen Bern hat sich «Schweizer Monat»-Redaktor Lukas Leuzinger aus der Hauptstadt verabschiedet (Ausgabe Juni 2020). Trotz der Schönheit der Aare kann er nicht länger mitansehen, wie wenig Bern aus seinem Potenzial macht. Und darüber hinaus auch noch die Frechheit hat, um Almosen aus dem Finanzausgleich zu betteln. Doch das Bild, das er zeichnet, hat mit der Realität wenig zu tun.

Halten wir zunächst fest, dass der Bundesstaat kaum gegründet worden wäre, wenn man 1848 nur die Lösung politischer Fragen und nicht auch die Schaffung eines gemeinsamen Marktes im Auge gehabt hätte. Bern ist bis heute unser politisches Herz geblieben. Es versorgt die Schweiz mit Sauerstoff. Wo dieser knapp ist, wird es kritisch.

Dennoch ist die Frage berechtigt, ob die vielen Beamten in Bern einen hemmenden Einfluss auf die Dynamik des Kantons haben. Man stelle sich bloss Berns Steuereinnahmen vor, wenn im Bernerhof nicht das Finanzdepartement, sondern Nestlé oder Novartis den Hauptsitz hätte. Zum Glück ist Bern aber nicht nur der Sitz des Bundesrates, sondern mit über 80 000 Beschäftigten auch der grösste Industriekanton des Landes. Die Exporte von Berner Unternehmen generieren jährlich rund 14 Milliarden Franken Umsatz. Ihre wichtigsten Exportgüter sind Maschinen, dahinter folgen Uhren und chemisch-pharmazeutische Produkte. Hinzu kommt, dass zwischen Politik, Verwaltung, Dienstleistungsfirmen oder Lobbybüros viele wertschöpfende Interaktionen stattfinden. Hauptstädte wie Washington, Ottawa oder Bern spielen als vielfältig vernetzte Handlungsräume ökonomisch zunehmend eine Schlüsselrolle, auch wenn sie wirtschaftlich keine Hauptstädte sind. Politik schafft Wohlstand und Stabilität und fungiert in der Krise als Reparaturwerkstatt der Gesellschaft. Das ist trotz Swissair-Grounding, UBS-Debakel und Coronakrise noch zu wenig angekommen.

Fragen darf man auch, ob die Berner Patrizier 1353 einem Bündnis beigetreten wären, das mit Ausnahme der Städte Zürich und Luzern ausschliesslich aus ärmeren Orten wie Zug und Schwyz bestand, wenn sie besser gerechnet hätten. Bern hat damals mit Zöllen, die es auf den Chausseen für den internationalen Handel von Lyon über Genf und Zürich nach Augsburg erhoben hat, aber auch mit Getreide und Söldnern gutes Geld verdient. Die Chausseen mitten in Europa verliefen grossenteils über Berner Territorium. Macht und Reichtum waren damals eine Folge von Grösse und Kriegskunst. Aber Grösse war und ist relativ. Sie wurde für Bern seit 1789 zunehmend zum Nachteil. Die industrielle Revolution schuf nicht nur Wirtschaftszentren, sondern auch strukturschwache Regionen. Und der Flächenstaat Bern erlebte bis weit ins 20. Jahrhundert eine Hegemonie der SVP statt des Freisinns: Statt Chausseen jedem Tälchen sein Strässchen und Spitälchen. Das geht ins Geld und ist nicht ohne wirtschaftliche Risiken.

Bern erhält nächstes Jahr 20 Prozent weniger Geld aus dem Finanzausgleich, weil die steuerlich ausschöpfbare wirtschaftliche Leitungsfähigkeit im Vergleich zu anderen Kantonen zugenommen hat. Also nichts von «gäng wie gäng». Beim Finanzausgleich geht es aber eigentlich um etwas anderes. Er soll zu Einheit, Zusammenhalt und sozialem Frieden beitragen. Wie der Beitritt Berns zur Eidgenossenschaft zeigt, ist es falsch, einzelne Kantone und Regionen gegeneinander auszuspielen. Sie alle erfüllen im Interesse des grösseren Ganzen unterschiedliche Aufgaben für unser Land. Beim Finanzausgleich geht es also nicht darum zu wissen, wie viel die Schweiz kostet. Es geht darum, ihren Wert zu kennen. Oder ist ein Zürcher Bäcker etwa fleissiger als ein Berner Bäcker?

Bern ist heute wieder mit Offenheit, Pioniergeist und Innovationskraft unterwegs, so wie damals in der Belle Epoque. Zwischen 1880 und 1914 trug die Toblerone den Ruf der Schweizer Schokolade in die Welt. Berner bauten auf 3454 Metern Höhe auf dem Jungfraujoch den bis heute höchstgelegenen Bahnhof Europas. Die BKW schuf ein europäisches Stromnetz. Heute befindet sich am Inselspital das international renommierte Institut für Translationale und Unternehmerische Medizin. Ab Dezember ist man mit dem Eigerexpress fast eine Stunde schneller auf dem Jungfraujoch. Und die Wyss Academy for Nature will die Welt retten, natürlich von Bern aus.

Der Berner Bär kann also rennen, wenn es drauf ankommt. In der Coronakrise sprach der Regierungsrat À-fonds-perdu-Beiträge für Unternehmen, damit sie ihre Innovationsabteilungen nicht schliessen mussten. Und wo stand im April das erste Corona-Drive-in-Testcenter? Lukas Leuzinger kann wieder lachen. So himmeltraurig schlecht steht es nicht um Bern.

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