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Der Begleiter

In Erinnerung an Hermann Burger

«Der Schönheit dienen, die Gestalt suchen, ein Ästhet werden – in welcher Disziplin auch immer – bedeutet, einen Pakt mit dem Tod zu schliessen. Zeitlichkeit durch Kunst aufzuheben war nur möglich um den Preis einer höheren und verfrühten Einsicht in die nichteuklidische Geometrie des Todes.» – Hermann Burger, «Die Glorietten-Vision»

Im November 1989 betreten wir von der Schlossallee her die Symmetrie Schönbrunns. Die braunen Narben des ausgeräumten Blumenparterres zwischen Schloss und Neptunbrunnen drücken durch die dünne Schneedecke, Eiswind weht. Die russischen Rabenkrähen mit den grossen Schnäbeln mischen sich unters einheimische Taubenvolk. Grau hängt der Himmel in den Bogenarkaden der Gloriette. Die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, halten wir auf den mächtigen Kulissenbau am Horizont zu, der uns neue Fernsicht verspricht. Eine Fernsicht, von der ich allerdings weiss, dass die eigentliche Sensation des stets wieder erwarteten, überraschenden Ausblicks  das Zurückschauen sein wird.

1961 bin ich schon einmal, in milderem Lichte, durch diesen Park gegangen, als jüngstes Mitglied einer Gruppe reisender Seminaristen und Gymnasiasten aus der Schweiz. Hermann Burger, drei Jahre älter, aber im selben Dorf aufgewachsen wie ich, war auch dabei. Im spärlichen Reisegepäck führten wir als Hauptlast unsere dunklen Konfirmandenanzüge, die silbernen Krawatten mit, damit uns auch in der Staatsoper und im Burgtheater Einlass gewährt würde, unbedingt. 28 Jahre später wird Hermann Burger auf Schloss Brunegg, wo er, von seiner Familie getrennt, bei J.R. von Salis in Untermiete lebt, in seinem Schreibzimmer aufgefunden. Der inzwischen berühmt, auch «berüchtigt» gewordene Schriftsteller ist, nur drei Wochen nach dem Tode seines «Prosalehrers» Thomas Bernhard, freiwillig aus dem Leben geschieden.

«Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, / ist dem Tode schon anheim gegeben, / wird für keinen Dienst auf Erden taugen, / und doch wird er vor dem Tode beben, / wer die Schönheit angeschaut mit Augen!»

Diese erste Strophe aus August von Platens Tristan-Gedicht bildet das Herzstück in Hermann Burgers «Glorietten-Vision», der 1981 entstandenen Tagebuchaufzeichnung eines Wiener Spitalaufenthaltes. Während eines vermeintlichen Herzinfarktes in einem Etablissement in der Zirkusgasse begreift Hermann Burger 1981 schreibenderweise, was er 20 Jahre zuvor, anlässlich unseres gemeinsamen Schlossbesuches, beim Blick von der Gloriette herab, über den Zieradler hinweg, der die Weltkugel umkrallt hält, tatsächlich vor Augen gehabt hat und als angehender Architekturstudent schon schmerzlich vorempfunden hat, sein eigentliches Lebensmuster: Zwischen barocker Schlossfassade und Böcklinschem Totenweiher diese kurze Distanz.

An Hermann mussten wir unwillkürlich denken auf unserem Weg zur Gloriette. An den aufwendigen Kulissenbau seiner kunstvollen Prosa, durch die der Glanz und die Dunkelheiten des «Böcklinschen Totenweihers», den man vom Blumenparterre aus nicht erkennen kann, stets sichtbar bleiben:

«In der Herzkrampfnacht stand, vielmehr lag ich auf der anderen Seite meiner Vision und sah hinter die Kulissen. Ich linste durch die olivgrünen Jalousieläden der Schlossfenster und sah, zum Inventar des barocken Todeszentralbaus gehörend, wie winzig klein die Spanne gewesen war dort oben auf der Gloriette, zwischen Aufgang und Abtritt. Aber ich hatte auch die Gewissheit: Du hast nicht für dich behalten, was du gesehen hast. Du hast deine Möglichkeiten leidlich genützt und über die Friedhöfe dieser Welt – und was war der Park von Schönbrunn anderes als ein k. u. k. Friedhof von 1,6 Hektar – laut und deutlich gesagt, was es zu diesem Thema zu sagen gibt. Das Cimiterische ausgelotet, restlos.» In «Schilten», «Diabelli», «Blankenburg», «Die künstliche Mutter». Im «Tractatus logico-suicidalis».

Blieb also nur noch das eigene Sterben, das Hermann Burger, erst 46jährig, Ende Februar 1989 seiner Literatur endgültig «zur Seite» gestellt hat. Vorher aber lässt er seinen letzten «Helden» H.B., Hermann Arbogast Brenner, das Wort «finis» unter seine gesammelten «Tabakblätter» setzen, bevor er noch einmal in den Ebnet hinaufsteigt, eine Zigarre anzündet und gegen Süden blickt, Richtung Menzenmang, dem Ort der Kindheit «hinter dem eisernen Vorhang». Den roten Ferrari, die späte Erfüllung seines Tretauto-Traumes, vorgeführt durch die Gebrüder Engesser, die als Trost für den frühen Tod ihres Vaters von einem vermögenden Paten ein rotes, zweisitziges Austin-Cabriolet geschenkt bekommen hatten, um das wir Knaben die Kollegen gnadenlos beneideten, lässt H.B. im Brunegger Schlosshof stehen.

Und er lässt uns mit den Erinnerungen an seine literarischen und musikalischen Rhapsodien, an seine Zaubereien und manischen Ferrari-Fahrten, an verzweifelte Widerwärtigkeiten, vielfältige Maskeraden und tiefste Depression allein zurück. – Wahrscheinlich hätte er ja nur richtig in unsere Arme geschlossen werden wollen, doch dafür waren unsere Extremitäten einfach zu kurz. – Ich bin mir aber sicher, dass Hermann Burger seinen Leserinnen und Lesern stets als ein Autor entgegentreten wird, der zum Beispiel bei Schlossbesuchen, zwischen Hauptbau und Gloriette, vor allem aber zwischen Gloriette und rückwärtigem Teich, kraft seiner Sprache und seiner Visionen ein kompetenter und verlässlicher Begleiter sein wird.

Als wir Schönbrunn unter einsetzendem Schneefall Richtung Westen wieder verlassen, der Wind hat sich gelegt, trauen wir unseren Augen nicht, denn da steht mit seinem kleinen, tannengrünen Lastauto, der weissen Firmenanschrift auf der Wagentür, Wiener Kennzeichen, Gärtner Burger als Verstärkung der Schlosshauptmannschaft am Rande des grossen Areals. Wir grüssen.

Lesen Sie auch das Interview mit Klaus Merz zum Thema Hermann Burger im «Literarischen Monat #07»

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