Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

Der Bankenplatz Schweiz im Jahre 2022

Wo er sein könnte. Und wo er wohl sein wird.

Unzählige Gedanken, analytische und normative, schiessen einem durch den Kopf, wenn man nach der Zukunft des Bankenplatzes Schweiz fragt. Werden Google, Facebook & Co. Banklizenzen bald auch in der Schweiz beantragen? Würde dies zu einem Technologieschub führen? Würden dabei lokale Banken verdrängt? Würde die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma eine solche Entwicklung im Interesse der Kunden zulassen oder vielmehr die angestammten Banken schützen? Vollzieht sich dieser Prozess auch ohne schweizerische Banklizenzen, weil viele Kunden oder ihre Berater die Zahlungsverkehrs- und Anlagedienstleistungen zukünftig ohnehin über solche Technologiefirmen «irgendwo im Internet», wo es weniger oder keine behindernde Regulationen gibt, beziehen werden? Fördern Bundesrat und Verwaltung diese Verlagerung der Wertschöpfung von der Schweiz weg mit Hilfe neuer und tiefgreifender Regulationen absichtlich oder «nur» in Unkenntnis der Marktmechanismen? Wie lange hat – angesichts bevorstehender disruptiver Veränderungen in Richtung Internet – das Konzept eines physischen Bankenplatzes überhaupt noch eine Bedeutung? Welche Rolle spielt dabei das relative Vertrauen in die Schweiz, in Schweizer Banken beziehungsweise in solche Technologiefirmen? Führt diese Verlagerung der Geschäftsaktivitäten ins Internet zu einem Rückgang von Spezialisierung und Arbeitsteilung? Was bedeutet dieser Umbruch vor allem für den kleineren traditionellen Anleger? Wird er noch länger Beratung zu vernünftigen Preisen vor Ort finden? Kann sich der Vermögensverwaltungs-Cluster Schweiz durch eine tiefgreifende Transformation in die neue Zeit hinüberretten und weiterhin eine international bedeutende Rolle spielen? Wie vollzieht sich dieser Übergang? Ist die Zurückhaltung beziehungsweise die mit Händen greifbare Angst der Banken, eine Überweisung, eine Auszahlung oder eine Kontoeröffnung für einen nichtschweizerischen oder gar aussereuropäischen Kunden vorzunehmen, ein Vorbote der künftigen «Effizienz» des Bankenplatzes Schweiz? Wird der Bundesrat den Bankenplatz Schweiz mit seiner Einheitsfinanzplatzstrategie ins wirtschaftliche Abseits lotsen wie weiland die Uhrenindustrie unter dem Uhrenstatut? Wird die Bankiervereinigung weiterhin in den Fussstapfen des Bundesrates treten und für eine Gleichschaltung mit dem europäischen Ausland kämpfen?

Vor diesem Hintergrund stellen sich drei Fragen: Wie sähe, erstens, ein auch längerfristig erfolgreicher Bankenplatz aus (1)? Was müsste die Schweiz, zweitens, vorkehren, damit sich der Bankenplatz Schweiz in diese Richtung bewegt (2)? Was wird, drittens, vermutlich passieren (3)?

 

(1) Ein erfolgreicher Bankenplatz

Ein erfolgreicher Markt, auch der Markt für Bankdienstleistungen, muss – unabhängig davon, ob die Dienstleistungen lokal oder übers Internet angeboten werden – Normen genügen, damit Kunden ihre Wünsche erfüllen und Anbieter ihre komparativen Vorteile entfalten können: Der Kunde muss frei wählen können. Der Kunde muss wissen können, was er kauft beziehungsweise was ihm verkauft wird. Der Kunde muss wissen können, was das jeweilige Produkt oder die jeweilige Dienstleistung kostet. Der Kunde muss sich gerichtlich wehren können, wenn gegen diese drei Normen verstossen wird. Und er muss gute Aussicht auf Erfolg haben, wenn er im Recht ist. Schliesslich muss den Anbietern zugestanden werden, dass sie diese Normen nach eigenen Vorstellungen und im Rahmen ihrer eigenen Produktionsfunktion erfüllen können.

Solange diese Dienstleistungen vornehmlich lokal angeboten werden, beeinflusst das reale Umfeld diese Normen stark. Nehmen wir den Bankenplatz Schweiz. Er profitiert in besonderem Masse von der politischen und wirtschaftlichen Stabilität der Schweiz, einer grossen Wirtschaftsleistung, einem guten Ausbildungssystem, einem grossen Kapitalbestand, einer guten Infrastruktur, einem langsamen, aber glaubwürdigen Rechtssystem und einem zwar rasch wachsenden, aber dank Subsidiarität und Gemeindeautonomie noch immer relativ effizienten Staat. Das reale Umfeld ist für den Bankenplatz wie ein Produktionsfaktor, der nicht entschädigt werden muss.

Der Staat würde in einem solchen Markt für die Durchsetzung von Vertragsfreiheit, Rechtssicherheit, Transparenz und Wettbewerb sorgen. Auf eine koordinierte Strategie für den Bankenplatz würde verzichtet. Regulationen hätten, wenn überhaupt, zum Ziel, offensichtliche Verletzungen der genannten Normen zu vermeiden. Dabei müsste sichergestellt werden, dass jede Regulation vor ihrer Inkraftsetzung darauf hin untersucht wird, ob das mit dieser Regulation einhergehende Staatsversagen zuverlässig weniger schädliche Wirkungen verursachen wird als das gerügte Marktversagen. Überdies käme niemand auf die Idee, «gleich lange Spiesse» für unterschiedliche Anbieter zu propagieren, wo es doch – offensichtlich – darum geht, komparative Vorteile der unterschiedlichen Anbieter zu nutzen. In jedem Fall würde ein besonderes Augenmerk auf industriepolitische Wirkungen von Regulationen geworfen. Es müssten schon sehr gewichtige Gründe ins Feld geführt werden können, um einzelne Unternehmungen mittels regulatorischer Massnahmen gegenüber anderen indirekt oder direkt zu bevorteilen.

Der Staat wäre auf einem solchen Markt nie Eigentümer; nicht nur wegen der im Vergleich zu privaten Unternehmungen fehlenden Anreizstrukturen von privatem Eigentum, sondern auch wegen Interessenkonflikten zwischen Regulation und staatlichem Eigentum. Ein Too-Big-to-Fail-(TBTF-)Problem würde in dieser Welt nicht existieren, weil alle Anbieter genügend Eigenkapital hielten. Sollte eine Staatsgarantie trotzdem notwendig sein, würde diese über eine marktmässig bewertete Versicherungsgebühr abgegolten.

Die Aufsicht würde auf die effizientesten Regulationsin-strumente, d.h. Transparenz und Wettbewerb, zurückgreifen, um ihre Ziele zu erreichen, und nicht auf bürokratische Massnahmen. Interessengruppen der Banken würden sich für Rahmenbedingungen im geschilderten Sinne und für eine möglichst hohe Wertschöpfung ihrer Mitglieder einsetzen.

In dieser Welt würde lokal und im Internet viel experimentiert. Laufend kämen neue, transparente und kostengünstige Produkte und Dienstleistungen auf den Markt. Es würden neue Vertriebskanäle ausprobiert, und die Kunden würden jene Dienstleistungen und Vertriebswege aussuchen, wo das Preis-Leistungs-Verhältnis aus ihrer jeweiligen Sicht am besten ist. Die Bankarbeitsplätze würden bezüglich Lohn- und Ausbildungsdruck einer ähnlichen Dynamik unterliegen wie in der verarbeitenden Industrie. Im Hintergrund würde nicht nur ein Wettbewerb um wirtschaftliche Effizienz ablaufen, sondern ebenso ein Kampf um Vertrauen der Kunden in die Glaubwürdigkeit, Unabhängigkeit und Stabilität der Schweiz und in Schweizer Banken beziehungsweise in grosse Technologiefirmen. Schweizer Banken würden in dieser freiheitlichen Welt untergehen, wenn deren komparative Nachteile in der Produktion gegenüber internationalen Anbietern, die übers Internet direkt in der Schweiz anbieten, nicht durch einen Vertrauensbonus der Schweiz selber kompensiert würden.

So könnte der Schweizer Bankenplatz aussehen. So sieht er aber nicht aus.

 

(2) Massnahmen für eine Transformation zu einem langfristig erfolgreichen Bankenplatz

Der Bankenplatz Schweiz weist heute kaum Eigenschaften eines auf die Zukunft ausgerichteten, beweglichen und inno-vativen Finanzzentrums auf. Im Vordergrund der Kritik stehen:

  • Die öffentliche Hand ist Eigentümerin einer grossen Zahl von Banken – der meisten Kantonalbanken, der Post, des Zulieferers Swisscom, teilweise auch der beiden Grossbanken, die durch den Bund kostenlos garantiert werden, einiger Regionalbanken – und indirekt auch der Finanzplatzinfrastruktur der SIX Group.
  • Die Finma ist nicht darauf ausgerichtet, eine effiziente, industriepolitisch neutrale, auf Wettbewerb und Transparenz ausgerichtete Aufsicht auszuüben. Neue Regulationen werden nicht auf Staatsversagen und kaum auf ungünstige Kosten-Nutzen-Verhältnisse hin untersucht.
  • Die heutigen mehr als 1000 Seiten Gesetze und Verordnungen zur Finanzmarktregulierung im engeren Sinne, die mehr als 1000 Seiten Rundschreiben und ca. 1500 Seiten Selbstregulierung sollen durch weitreichende neue Gesetze – Finanz-marktinfrastrukturgesetz (Finfrag), Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg), Finanzinstitutsgesetz (Finig) – in den nächsten Jahren um rund 50 Prozent erhöht werden. Jede Bank wird auf dieser neuen Basis Hunderte oder gar Tausende von Seiten neuer Compliance-Vorschriften erlassen müssen. Die entstehenden Kosten sind für kleinere Banken und unabhängige Vermögensverwalter existenzbedrohend. Das ist schlechte Industriepolitik in Reinkultur. (Als ob die Bürokratie und die Parlamentarier wüssten, was im Interesse der einzelnen Bankkunden ist, und jene, die ihr Geld mit Dienstleistungen für diese Kunden verdienen, es nicht wüssten.)
  • Der Bundesrat hat eine Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie eingesetzt. Dieser Ansatz widerspricht allen Konzepten einer Marktwirtschaft, wo der Staat die Rahmenbedingungen festlegt und die Unternehmungen in diesem Rahmen ihre Strategie bestimmen. Dieses Vorgehen ist Ausdruck einer marktfeindlichen Haltung und ein Kniefall vor der schweizerischen und der EU-Bürokratie. Auf diese Weise wird der Bankenplatz Schweiz mit den Bankenplätzen der umliegenden Länder gleichgeschaltet.
  • Mit dem automatischen Informationsaustausch (AIA), den die Schweiz wohl als einziges Land von Anfang an ernsthaft umsetzen wird, werden die Schweizer Banken zum verlängerten Arm ausländischer Steuerämter. Dabei hatte der Bundesrat zugesagt, den AIA erst dann einzuführen, wenn die grossen Länder nachgewiesen haben, dass sie diesen Informationsaustausch korrekt umsetzen. Heute spricht man noch von einem Vorlauf der grossen Länder von einem Jahr. Über Umsetzungsqualität im Ausland wird nicht mehr gesprochen.
  • Die TBTF-Problematik ist nicht gelöst.

 

Will der Bankenplatz Schweiz in den kommenden sieben bis zehn Jahren gegen die aufkommende internationale Konkurrenz vor allem auch im Internet bestehen, braucht es einige tiefgreifende Massnahmen:

  • Der Bund beendet seine Eigentümerrolle im Bankenplatz.
  • Die Arbeiten an einer «Finanzplatzstrategie» des Bundes werden eingestellt.
  • Der Bund setzt die Rahmenbedingungen des Obligationenrechts und des Strafgesetzbuches durch. Der Langsamkeit und den Kosten der Gerichte wird ab sofort besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Richter werden vermehrt auch in ökonomischen Überlegungen geschult.
  • Die Strategie der Finma wird auf die Normen eines kunden-orientierten Marktes ausgerichtet. Die Aufsicht setzt in der Durchführung ihres Auftrags in allererster Linie auf Transparenz und Wettbewerb und nicht auf Weisungen, Kontrollen und Bewilligungsverfahren. Der Marktzutritt für kleinere Banken wird liberalisiert. Transparenz für das Publikum muss zu einem zentralen Instrument der Aufsicht werden.
  • Neue Gesetze werden im Rahmen einer echten Kosten-Nutzen-Analyse auf ihre Tauglichkeit hin analysiert, wie das bereits heute vorgesehen ist, aber nie wirklich umgesetzt wurde. Besondere Aufmerksamkeit gelten dabei den Themen Staatsversagen, Gleichbehandlung von Unternehmungen (z.B. TBTF-Problematik, Ungleichbehandlung kleiner und grosser Banken) und Kosten der Elimination ganzer Märkte.
  • Das Parlament tritt nicht auf die Gesetzesentwürfe für Fidleg und Finig ein. Wegen der Lugano-Übereinkunft müssen Schweizer Banken die «Richtlinie über Märkte für Finanzin-strumente» (Englisch: «Markets in Financial Instruments Directive Mifid»), das Vorbild für das Fidleg, anwenden, wenn sie Bürger der EU und einiger anderer europäischer Staaten beraten. Schweizer Anleger und andere Ausländer jeglicher Vermögenshöhe können sich diesen Bestimmungen freiwillig unterziehen («Opting-in»), wenn sie das wollen. Fidleg und Finig sind völlig überflüssig und verursachen nur unnötige Kosten und keine Erträge. Das «Opting-in» ermöglicht es den Schweizer Banken, bei der Betreuung von schweizerischen und aussereuropäischen Kunden einen komparativen Vorteil gegenüber europäischen Banken aufzubauen. Schweizer Anleger werden dadurch ebenfalls bessergestellt, weil sie die Wahl zwischen mehr oder weniger Aufsicht (bei entsprechenden Kosten) haben.
  • Beim AIA liefert die Schweiz dem Ausland nur administrative Angaben über bestehende Kontoverbindungen. Details zu Kontobewegungen, Beständen und Erträgen kann der jeweilige Staat bei seinen Bürgern selber beschaffen.

Bei allen diesen Massnahmen muss man sich bewusst sein, dass die Konkurrenz zum Bankenplatz Schweiz in verschiedenen Bereichen schon mittelfristig nicht in London, New York oder Singapur liegen wird, sondern im Internet, und dass die Prozesse dorthin nicht stetig, sondern disruptiv verlaufen werden. Es werden nicht nur die einfachen Dinge wie der Retailzahlungsverkehr ins Internet abwandern. Auch komplexe Anlageberatung wird schon bald in internettauglicher Form erbracht werden. (Die entsprechenden Applikationen existieren bereits.) Warnungen vor diesen tsunamiartigen Veränderungen einer neuartigen industriellen Revolution wird es keine geben, damit man sich «dann» anpassen könnte. Der einzige Ausweg besteht heute – nicht morgen – in der Wahrung der Vorteile des «First Mover».

 

(3) Was wird vermutlich passieren?

Vermutlich passiert nichts, und der Bankenplatz Schweiz transformiert sich von selber von einer Exportindustrie in eine Binnenindustrie, die wegen des Internets zunehmend unter Druck gerät. Drei Hebel scheinen trotz allem möglich, die notwendige Transformation des Bankenplatzes in eine erfolgreiche Zukunft zu bewerkstelligen: Transparenz und Wettbewerb seitens der Finma, Zurückhaltung in der Gesetzgebung und die Lösung des TBTF-Problems.

  • Die Finma müsste strategisch neu ausgerichtet werden. Sie müsste die echten Kundeninteressen – Wahlfreiheit, Transparenz, Gerichtsbarkeit und komparative Vorteile der Anbieter – mittels Wettbewerbs und Transparenz schützen. Es müsste verhindert werden, dass die Finma weiterhin in der Lage ist, die Transformation des Bankenplatzes Schweiz mittels Weisungen, Kontrollen und Bewilligungen zu behindern oder gar zu verunmöglichen.
  • Beim Erlass neuer Gesetze besteht die Chance, dass das Parlament Fidleg und Finig versenkt und das AIA-Gesetz radikal abspeckt. Die erstgenannten Gesetze braucht es nicht, weil viele Schweizer Banken ohnehin Mifid zum Einsatz bringen werden. Beim AIA reicht es, wenn die Schweiz dem Ausland administrative Angaben über die Existenz von Konten weiterreicht.
  • Schliesslich müsste das TBTF-Problem rasch gelöst werden. Die Schweiz verfolgt eine unglückliche Strategie, zwei weltweit führende Banken, die mehrheitlich in ausländischem Besitz stehen, mehrheitlich ausländische Mitarbeiter beschäftigen und Boni mehrheitlich im Ausland ausschütten, in einer Finanzkrise zu garantieren.

 

Man sollte meinen, dass es möglich sein sollte, 125 Personen (101 Nationalräte und 24 Ständeräte) zu überzeugen, dass die Wirtschaftsleistung der Schweiz massgebend von einem erfolgreichen Bankenplatz abhängig ist. Wir werden sehen, ob sie sich aufraffen werden, die ohnehin anstehenden Entscheide in diese Richtung zu treffen.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!