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Lukas Leuzinger, zvg.

«Der Aufruf zu Verzicht ist falsch»

Bei einem Mittagessen erklärt Agrarökonomin Priska Baur, was Nachhaltigkeit bei der Ernährung heisst. Und räumt dabei mit einigen Mythen auf.

 

Bio, aus der Region und am besten ohne Tiere: Die allgemeinen Vorstellungen einer moralisch korrekten Ernährung sind relativ klar. Doch was taugen sie in der Praxis? Wie nachhaltig ist das, was auf unsere Teller kommt? Was heisst überhaupt Nachhaltigkeit, wenn es um Ernährung geht?

Priska Baur, zvg.

Um diese Fragen zu beantworten, vereinbare ich mich mit der Agrarökonomin Priska Baur zum Mittagessen. Das Ziel: Herauszufinden, woher die Zutaten für ein typisches Mittagsmenü stammen und welchen Einfluss sie auf die Umwelt haben. Wir treffen uns im Restaurant Spiga in Zürich. Mir ist nach einem leichten, gesunden Zmittag. Wie wär’s mit einem Salat? Der Insalate Cesare tönt verlockend. Baur bestellt eine Pizza vegetariana. «Ich war in meiner Jugend der ‹Fleischtiger› in der Familie, seit über 40 Jahren esse ich jedoch kein Fleisch», sagt sie. Ein erster Hinweis, worauf es bei Ernährung und Nachhaltigkeit ankommt?

Mythos 1: Importe sind des Teufels

Die SV Group, die das «Spiga» betreibt, stellt uns Informationen zur Zusammensetzung der Gerichte zur Verfügung. Auf den ersten Blick wirkt der Insalate Cesare durchaus vernünftig: Lattich, Cherrytomaten, Eier, Pouletbruststreifen, Speck, Basilikum und Croutons stammen alle aus Schweizer Produktion. Einzig der Reibkäse kommt aus Italien. Ich klopfe mir innerlich auf die Schulter.

  • BTS: besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme

Priska Baur ist weniger überzeugt. Grundsätzlich sei es sinnvoll, wenn Zutaten nicht über weite Strecken transportiert würden, vor allem nicht mit dem Flugzeug. Der Transport mache aber im allgemeinen nur einen kleinen Anteil der Umweltbelastung eines Produkts aus – entscheidend sei die Produktion. Und diesbezüglich sei Fleisch aus der Schweiz nicht umweltfreundlicher. «Die Schweizer Tierproduktion ist nicht an das knappe Land und das Klima angepasst. Wir halten zu viele Tiere», sagt sie. Unberücksichtigt bleibe oft, dass grosse Mengen Futtermittel importiert würden. Obwohl auf rund 90 Prozent des Landwirtschaftslandes Tierfutter wachse, genüge das nicht, um die Schweizer Tierbestände zu ernähren. «Ohne hohe Futtermittelimporte könnte nur die Hälfte der heutigen Fleischmenge produziert werden. Und am Ende exportieren wir die Nährstoffüberschüsse als Dünger – das ist ökologischer Unsinn.» Aus Sicht von Baur wäre es das kleinere Übel, aus Brasilien anstatt Sojafutter direkt Poulets zu importieren.

Die mengenmässig bedeutendste Zutat von Baurs Pizza – der Teig – kommt aus Italien, die gehackten Tomaten für die Sauce ebenfalls. Dagegen wurde der Mozzarella überraschenderweise hierzulande produziert, ebenso die Zucchetti, Peperoni, Auberginen und Cherrytomaten. Anders die Peperoncini: Sie sind aus den Niederlanden.

Mythos 2: Poulet ist umweltschonender

Generell hinterlassen tierische Produkte einen grösseren ökologischen Fussabdruck. Gemüse verbraucht einen Bruchteil der Ressourcen, die man für den gleichen Nährwert durch Verzehr eines Stücks Fleisch zu sich nimmt – beim «Umweg» über das Tier geht viel verloren. Bei Milchprodukten sieht die Bilanz etwas besser aus. Die Pizza vegetariana scheint aus dieser Perspektive also eine vernünftige Wahl zu sein.

Baur hält es allerdings für problematisch, die Umweltbelastung in einer Zahl auszudrücken; diese hänge von vielen Annahmen und Bewertungen ab, die nicht transparent seien und zudem den Standort nicht berücksichtigten. So gelte Hühnerfleisch als besonders effizient und Rindfleisch als besonders klimaschädlich, weil es pro Kilogramm Geflügelfleisch weniger Kilogramm Futter brauche und pro Kilogramm Rindfleisch mehr Treibhausgase entstünden. «Bei dieser Rechnung bleibt unberücksichtigt, dass das Geflügel grösstenteils von Futter lebt, das wir Menschen direkt essen könnten, während Kühe hauptsächlich Gras fressen.» Vor allem sogenannte Zweinutzungsrassen, bei der die Kühe sowohl Milch als auch Fleisch lieferten, ermöglichten eine sinnvolle Nutzung von Grasland.

Mythos 3: Es gibt nur einen Königsweg

Überrascht bin ich davon, dass keine Biozutaten auf unseren Tellern sind. Wäre es nicht besser, nur Essen aus biologischer Produktion zu konsumieren? Baur ist skeptisch. «Die biologische Landwirtschaft in der Schweiz ist stark reglementiert und wenig innovativ.» Weil sich Milch- und Rindfleischproduktion leichter auf Bio umstellen liessen, sei der Schweizer Biolandbau vor allem auf die Tierproduktion ausgerichtet. Zudem fehle bei gentechnischen Verfahren eine differenzierte Diskussion, sie seien prinzipiell ausgeschlossen. «Schweizer Bio ist eine Nische und kein globaler Königsweg», sagt Baur. Einen solchen gebe es auch gar nicht. «Wir müssen viele Wege verfolgen, um eine auf den jeweiligen Standort angepasste umweltschonende Nahrungsmittelproduktion und Ernährung zu ermöglichen. Die Schweiz mit ihrer hochsubventionierten bürokratischen Agrarpolitik ist kein Modell für die Welt.» Für die Schweiz empfiehlt Baur, «deutlich weniger tierische Nahrungsmittel zu produzieren und dafür eine Vielfalt von traditionellen und neuen pflanzlichen Nahrungsmitteln anzubauen, beispielsweise Linsen und Speisesoja oder Hirse und Quinoa, für die es eine zunehmende Nachfrage gibt».

Mythos 4: Wir müssen uns einschränken

Was aber kann ich persönlich tun für eine nachhaltigere Ernährung? Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich Fleisch esse? «Wenn Ihnen die Umwelt wichtig ist, so müssen Sie nicht vegan leben, jedoch deutlich weniger tierische Nahrungsmittel essen», sagt Baur. Weniger Fleisch, dafür umso bewusster, sei auch ein Weg für Fleischliebhaber.

Die Agrarökonomin ist überzeugt, dass gut essen auch mit weniger tierischen Nahrungsmitteln möglich ist. «Der Aufruf zu Verzicht ist falsch.» Allerdings müsse das Angebot massiv besser werden. «Was wir brauchen, ist ein Kulturwandel in der Gastronomie.»

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