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Demokratie und Kultur

Wie geeignet ist Demokratie für Entwicklungsländer? Die europäisch geprägten Vorstellungen über Demokratie lassen sich nicht unbesehen auf
der ganzen Welt umsetzen. Unterschiedliche Demokratieverständnisse können jedoch auch ein positives Phänomen darstellen, das allseitige Lernprozesse ermöglicht.

Folgende Thesen von Walter Fust bildeten den Ausgangspunkt der Diskussion:

These 1: Demokratie kann weder verordnet noch verabreicht werden. Demokratie ist erlernbar, wenn dazu die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden.

These 2: Demokratie setzt mündige Bürger voraus. Rechte einzuräumen allein genügt nicht. Es gibt auch Verpflichtungen gegenüber Staat und Gesellschaft.

These 3: Der Wechsel des politischen Systems muss offensichtliche Vorteile innert nützlicher Frist bringen. Ohne Sicherstellung elementarer sozialer Leistungen ist eine Transition immens erschwert. Man kann Hungernden nicht Demokratie «predigen».

These 4: Es gibt keine verbindlichen, sich selbst übertragenden Rezepte. Es gibt aber Lernerfahrungen, Lehren und Wissen, die verfügbar sind für die Gestaltung demokratischer Gesellschaftssysteme im jeweiligen kulturellen Kontext.

These 5: Ohne tragende Rolle einer verantwortungsvollen Elite, ohne minimale ethische Grundregeln für das Zusammenleben in einer Gesellschaft, lässt sich kein Staat aufbauen und kein dauerhafter Wohlstand für alle erarbeiten.

These 6: Die Essenz der Demokratie ist es, den Schwachen eine Chance zu geben. Der Gewinner freier Wahlen ist nicht nur sich und seinen Wählern (=Klientel) verpflichtet, sondern dem Wohl der ganzen Nation.

These 7: Eine demokratische, freie Gesellschaft muss sich auf eine gut funktionierende, korruptionsfreie und bürgernahe Staatsverwaltung verlassen können. Das Verhältnis des Bürgers zum Staat ist entscheidend für das Funktionieren von Recht und Ordnung, von menschlicher Sicherheit und gesellschaftlicher Mitverantwortung.

 

«Normativ» oder «realistisch»?

Zum Begriff und zum Verständnis von «Demokratie» gibt es unterschiedliche Zugänge und Perspektiven. Man kann sich ihr normativ oder «realistisch» nähern. Zu jenem gehört die Geisteshaltung der Selbstbestimmung, die Achtung der Menschenwürde und der Humanität sowie – unbedingt – ein ethischer und transkultureller Grundkonsens. Demokratie will dann die verfasste Staatsform für das geregelte Zusammenleben der Menschen untereinander sein und gründet auf notwendigen Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann.

Realisten betonen hingegen die unvermeidbaren Konflikte, die zwischen und innerhalb mehreren legitimen Demokratieformen existieren. Viele Länder dieser Erde praktizieren Demokratie nur auf dem Papier und ohne Legitimation. Auch entwickeln sich Demokratien nicht naturgegeben, sondern sie brauchen einen äusseren, zuweilen auch nicht gewaltfreien Anstoss zum Systemwechsel. Historisch gesehen gilt dies auch für europäische Demokratien, ja selbst für die Schweiz.

Demokratie als Lernprozess

Demokratie als Prinzip allein kann nicht genügen noch tel quel übertragen werden. Sie muss sich in sozio-historischen Rahmenbedingungen und im jeweiligen Kulturkontext entwickeln. Die Veränderungsprozesse müssen von innen heraus gesteuert werden, und gerade für sogenannte Entwicklungsländer ist der Zugang zu Erfahrungen und Lernprozessen vital und möglichst offen zu gestalten. Sehr oft ist auch nicht die demokratische Staatsform entscheidend, sondern Good Governance, bzw. Buon governo. Der englische Dichter Alexander Pope hat sogar gesagt: «Whate’er is best administer’d, is best», hat also die Qualität von Regierung und Verwaltung über die theoretisch beste Staatsform gestellt, über die man die Narren streiten lassen könne. Innere Sicherheit, Frieden und Rechtsstaatlichkeit sind dann die anvisierten Hauptziele, ebenso wie Verlässlichkeit und Vertrauen, die nicht zuletzt durch Transparenz geschaffen werden. Eine solche Good Governance muss aber immer auch von der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft gelebt werden.

Von Afrika lernen

Im Dialog mit seinem afrikanischen Teilnehmer hat sich die Gruppe auch dem Gedankenexperiment gestellt, was wir eigentlich von anderen Demokratien lernen können. So sind für uns geheime Wahlen selbstverständlich; für den Afrikaner mit seiner «Kultur des Gesichtes» schaffen sie aber mehr Misstrauen als die offene Wahl. Im weiteren ist das Dorf eine Konsens-Gemeinschaft, die keine Parteien und praktisch keine Abstimmungen kennt. Aber am eindrücklichsten war wohl die Diskussion um die für uns selbstverständlichen und fast schon sakrosankten festen Amtsdauern in unserer Demokratie, während in Afrika – wie bei der amerikanischen und englischen Richterbestellung oder bis dato auch noch beim Schweizerischen Bundesrat – eine Herrschaft so lange währt, wie sie gut ausgeübt wird (quamdiu se bene gesserint). Ob ein König oder Chief im Amt ist, erfährt er jeden Morgen neu, wenn er sich mit dem Rat der Weisen zum Frühstück trifft: Sitzt er dort einmal alleine am Tisch, dann ist er abgewählt!

Allfällige (Neu-)Legitimierungen staatlicher Herrschaft – man denke an die Kammer der Älteren in F.A.v. Hayeks «Modellverfassung» der Freiheit – können sich dann sehr wohl aus solchen interkulturellen Vergleichen befruchten. Vielleicht sind Mischformen letztlich der Sache dienlicher als uns (nur allzu) vertraute Systeme.

Erosion des Gewaltmonopols

Gravierend und über den Erdball verteilt ist die Gefährdung der (Rechts-)Staatlichkeit, die Problematik des Staatszerfalls durch privatisierte Gewalt von unten oder von oben. Beides bedeutet letztlich Ero-sion des Gewaltmonopols, die Entstehung rechtsfreier Räume mangels Gewährleistung der inneren Sicherheit. Sicherheit muss aber unbedingt ein öffentliches Gut bleiben. Auch an einem Minimalstandard von Menschenrechten kommt man nicht vorbei: Menschenwürde, Schutz vor Willkür und Absurdität, ein nicht hinterfragbarer Bestand an Universalität müssen gewährleistet sein. Eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist die Wahrung und Stärkung der kulturellen Diversität, aber auch die Erziehung zu Weltbürgern und zu partnerschaftlicher Mitverantwortung für die Lösung globaler Probleme.

Schliesslich ist die Globalisierung zwar ein Faktum, doch die interkulturelle Kompetenz muss ständig gefördert werden. Auch moderne Informations- und Kommunikationsmittel können diese nicht ersetzen, und die interkulturelle Kommunikation ist wichtiger denn je.

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